Wir dokumentieren einen Artikel von Freund*innen aus Lesbos:
Am 22. Juli 2016 eröffnete (zeitlich parallel zum No Border Camp in Thessaloniki) nach zweimonatiger Vorbereitung die No Border Kitchen (NBK) Lesbos in einer alten Fabrik ein Social Center. Dieses war ein Ort an dem Menschen den miesen Bedingungen aus dem Lager Moria entfliehen konnten. Dort gab es einen Bereich zum Ausruhen, Reden, Schachspielen, Handyladen… Es gab Snacks und Getränke sowie rechtliche Informationen. Es existierte ein separater Frauenraum und ein Kinderspielbereich. Diese Zeit ist Allen in starker Erinnerung als ein solidarisches Miteinander geblieben.
Nach wenigen Tagen wurde die Fabrik auf Antrag der Eigentümerin (Alpha Bank) geräumt, begleitet von großem Protest und Solidaritätsaktionen.
Die Besetzung der Fabrik lief jedoch weiter, als „stille“ Besetzung wohnten im „Old Squat“ fast ein Jahr bis zu 70 Menschen zeitgleich aus aller Welt selbstverwaltet zusammen.
Am 28. April 2017 morgens um 7 kamen die Ortspolizei sowie Polizisten der Spezialeinheit OPKE zur Räumung. (Tage zuvor hatten Arbeiter das Fabrikgelände mit einem Natodrahtzaun umgeben.) Mehr als 30 Leute wurden in den Hof gebracht. Alle Personen, die wie Refugees aussahen, wurden in eine Ecke gesammelt und in der Polizeiwache in Zellen eingesperrt. Alle Personen, die europäisch aussahen, wurde ebenfalls zur Wache gebracht, konnten aber auf dem Flur warten.
Nach vielen Stunden des Wartens wurde erklärt, dass allen Beschuldigten Vandalismus und Hausfriedensbruch vorgeworfen werde. Fingerabdrücke und Fotos wurden gemacht. Alle wurden im Laufe des Tages freigelassen.
Die Räumung war keine Überraschung, in den Monaten zuvor wurde die Repressionen gegen Geflüchtete und auch gegen solidarisch agierende Mensch mit Papieren stärker. Die Räumung war nicht das Ende, sondern der Begin von Repressionen, Verhaftungen, Gefängnisaufenthalte und Abschiebungen wurden häufiger (siehe auch MORIA35).
Mieserweise veranlasste die Alpha Bank die Räumung, obwohl sie nichts mit dem Gebäude vorhatte. Das selbstverwaltete Wohnprojekt ist seitdem wieder ein altes ungenutztes Gebäude, das nun 24/7 von einer Security bewacht wird. Auf dem NBK Blog zur Räumung: “What was destroyed by the state and capitalism was not just a building. It was a home. It was a community. It was a place for friendship, for solidarity, for struggling together against this border and this system that creates them”
Insgesamt 35 Personen (mit und ohne europäische Pässe) sind des Hausfriedensbruchs und Vandalismus angeklagt.
Termin für den Prozess war der 16. Oktober 2018, Mytilini (Lesbos). Der Prozess fand aber wegen Zeitmangel des Gerichts nicht statt. Der Prozess wurde um 13 Monate verschoben. Es soll jetzt im November 2019 stattfinden.
Das Social Center der No Border Kitchen Lesbos bestand in anderer Form noch mehr als ein Jahr weiter: Zunächst einige Wochen am der Fabrik gegenüberliegenden Strand. Dann nach einer erneuten Vertreibung durch die Cops in einer vom Stadtzentrum weiter entfernt liegenden Bucht. Im Zuge der Androhung einer erneuten Räumung des Strandcamps und des aufgekommenen Winters wurde nach und nach drei leerstehende Häuser in der Nähe bezogen. Ein Haus wurde eine Weile weiter auch als Social Center genutzt.
Nach der Räumung eines dieser Häuser („Casa Blanca“), das von Leuten mit und ohne Papiere bewohnt war, wurde nur Menschen mit gültigen Reisepapieren angeklagt. Besonderheit des Verfahrens: der Mieter stellte Strafanzeige und nicht der Vermieter. Es kam im November 2017 zu einer Einigung zwischen den Anwälten des Mieters und der Beschuldigten, so dass das Verfahren ohne Urteil und ohne Strafe beendet wurde. Der Besitzer selbst ist nie aufgetaucht.
Auch die beiden anderen Häuser („Big Squat und „Chapati House“) erhielten immer wieder ungebetenen Besuch. Die Cops gingen teils brutal durch jeden Raum, verlangten Ausweise/Papiere, schlugen die Leute und/oder verhafteten diese. Einige Leute wurden nach Kontrolle der Papiere freigelassen, andere blieben brutalerweise Wochen oder Monate im Knast und wurden dann abgeschoben. Die Häuser wurden bisher nie endgültig geräumt und Anklage wegen Hausbesetzungen wurde gegen niemanden erhoben.
Im Herbst 2016 wurde ein besetztes Haus in der Stadt Mytilini („Villa“) nach nur 2 Wochen Besetzung geräumt. Es wurde gegen 4 Personen (davon 2 Refugees) Anklage erhoben. Es kam zu einer Verurteilung: 11 Monate auf Bewährung bzw. 15 Monate auf Bewährung für eine Person, die nicht bereit war Fingerabdrücke abzugeben.