Nach Brand in Moria 2020: Sechs jugendliche Migranten werden zu Sündenböcken einer gescheiterten EU-Migrationen Politik gemacht – Forderung nach fairem und transparentem Gerichtsverfahren für die Moria 6 am 6. März 2023 in Lesbos

Presseerklärung vom 27/02/2023 von der Solidaritätskampagne #FreeTheMoria6

Nach Brand in Moria 2020: Sechs jugendliche Migranten werden zu Sündenböcken einer gescheiterten EU-Migrationen Politik gemacht –
Forderung nach fairem und transparentem Gerichtsverfahren für die Moria 6 am 6. März 2023 in Lesbos

Nachdem zwei der sechs angeklagten migrantischen Jugendlichen bereits im Juni 2022 rechtskräftig verurteilt wurden, findet nun am 6. März 2023 auf der griechischen Insel Lesbos die Berufungsverhandlung gegen die vier weiteren Angeklagten statt. Sie werden beschuldigt, das Camp Moria im September 2020 niedergebrannt zu haben. Sie waren am 11. Juni 2021 in erster Instanz der Brandstiftung mit Gefährdung von Menschenleben schuldig gesprochen und zu 10 Jahren Haft verurteilt worden – trotz fehlender Beweise!

Ab dem Moment ihrer Verhaftung, lange vor dem Start eines Gerichtsverfahrens wurden sie der Öffentlichkeit bereits als Schuldige präsentiert. Am 16. September 2020, nur eine Woche nach den Bränden, erklärte der griechische Minister für Migration und Asyl Mitarakis in einem Interview mit CNN, dass “das Lager von sechs afghanischen Flüchtlingen in Brand gesetzt wurde, die verhaftet wurden” Diese frühzeitige Erklärung verletzte der Unschuldsvermutung, die allen Angeklagten zusteht und Voraussetzung für faire Gerichtsprozesse ist.

Die Befürchtung, dass die vier jungen Migranten das Recht auf einen fairen und gerechten Prozess nicht gewährleistet ist und sie stattdessen zu Sündenböcken für die unmenschliche EU-Migrationspolitik gemacht werden, hat sich bisher im Verfahren in erster Instanz bewahrheitet.

Nach dem Urteil am 11. Juni 2021 kritisierten internationale Prozessbeobachter*innen den Mangel an Beweisen und sprachen von einem unfairen Verfahren, bei dem die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde. Die lautstarke Forderung nach einem transparenten Prozess, die von über 70 europäischen Organisationen und hunderten von Einzelpersonen gestellt wurde, wurde nicht erfüllt. Trotz fehlender Beweise für die Beteiligung der vier Angeklagten an den Bränden, wurden sie nach einem zweitägigen Prozess schuldig gesprochen.

Das Gericht stützte sich einzig auf die schriftliche Aussage eines angeblich nicht mehr auffindbaren Zeugen, der die Angeklagten gesehen haben will, als sie in der ersten Brandnacht im Camp Moria Feuer gelegt hätten. Seine Aussage ist jedoch voller Widersprüche. So legten die Anwält*innen zum Beispiel dar, dass er nur häufige Vornamen von Personen aus dem Lager benannt hatte, auf deren Grundlage die Polizei sechs Personen festnahm. Zusätzlich wurden die vorliegenden Dokumente, die die Minderjährigkeit von drei der Angeklagten belegten, nicht anerkannt.

Die Befürchtung einer Vorverurteilung hatte sich bereits bewahrheitet, als die beiden offiziell als Minderjährige anerkannten Jugendlichen der Moria 6 im März 2021 vom Jugendgericht auf Lesbos zu fünf Jahren Haft verurteilt wurden. Schon damals hatten Beobachter_innen von einem unfairen Prozess gesprochen. Am 7. Juni 2022, in einem erneut sehr feindseligen und alles andere als unparteiischen Gerichtsverfahren wurde das Urteil aus erster Instanz vom Jugendberufungsgericht bestätigt, obwohl nach wie vor keine glaubwürdigen Beweise vorlagen. Lediglich das Strafmaß wurde wegen “guter Führung im Gefängnis” von fünf auf vier Jahre reduziert. Das Legal Center Lesbos stellte einen Antrag auf Annullierung des unfairen Urteils. Er soll am 10. März 2023 vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt werden.

Zumindest einer der sechs Angeklagten ist inzwischen in Freiheit, da sein Antrag auf Freilassung auf Bewährung stattgegeben wurde. Die anderen fünf Jugendlichen befinden sich nunmehr seit fast 2,5 Jahren im Gefängnis.

Hintergrund

Am 8. September 2020 brannte – angefacht durch einen starken Wind – das berüchtigte Camp Moria auf der griechischen Insel Lesbos vollständig ab. Die großflächigen und langandauerten Brände, die gut dokumentiert und nahezu live über soziale Medien übertragen wurden, brachten die anhaltende Politik der Abschreckung durch unmenschliche Bedingungen in Europas Hotspot-Lagern in der Ägäis zurück in das mediale Rampenlicht. 

Anstatt das Feuer als unvermeidliche Katastrophe in einer tödlichen Lagerinfrastruktur zu sehen, verhaftete der griechische Staat sechs junge afghanische Migranten und präsentierte sie als die Schuldigen und alleinige Auslöser des Feuers. Damit wurde versucht, eine weitere öffentliche Debatte über die Lebensbedingungen im Lager und die politische Verantwortung im Keim zu ersticken. Die Brände ereigneten sich zu einer Zeit, als die Zahl der im Lager lebenden Menschen 12.000 erreicht hatte, Bewegungseinschränkungen seit fast sechs Monaten in Kraft waren und sich zunehmend Angst vor Covid-19 im Lager ausbreitete. Eine Woche vor dem Brand war der erste Campbewohner positiv getestet worden. Statt die infizierten Menschen aus dem Lager zu bringen und die Lebensbedingungen für die Eingeschlossenen zu verbessern, plante die Regierung, das gesamte Lager mit einem doppelten Nato-Hochsicherheitszaun komplett abzuriegeln und ging gewaltsam gegen jeden Protest vor. 

Die Verurteilung der sechs Jugendlichen ist ein weiteres schockierendes Beispiel dafür, wie Menschen auf der Flucht kriminalisiert werden, um von dem Verbrechen von EU und Griechenland abzulenken, menschenunwürdige Camps wie Moria zu bauen und aufrecht zu erhalten.

Der Fall der Moria 6 ist nicht das erste Mal, dass Migrant*innen in Griechenland willkürlich verhaftet und angeklagt wurden. Diese Praxis ist schon lange Teil des unmenschlichen EU-Grenzregimes. Im aktuellen politischen Umfeld hat die Kriminalisierung von Migration jedoch eine neue Stufe erreicht, ebenso wie die illegalen Pushbacks von Migrant*innen durch die Behörden.

Wir fordern einen fairen und transparenten Prozess am 6. März 2023!

Wir stehen in Solidarität mit den Moria 6 und gegen das tödliche europäische Grenzregime!

Wir fordern die EU und den griechischen Staat auf, Verantwortung für die unmenschlichen Lager, die sie mutwillig geschaffen haben, und für das menschliche Leid, das daraus resultiert, zu übernehmen!

– Stoppt die Abschottung der Menschen am Rande der EU!
– Schluss mit dem EU-Türkei-Deal!
– No more Morias!
– Free the Moria 6!

++Teilt die Infos, organisiert Solidaritätsaktionen unter dem Hashtag #FreeTheMoria6

++Informationen zum rechtlichen Kontext siehe Legal Centre Lesvos ,

Weitere Informationen und Kontakte:

E-Mail: freethemoria6@riseup.net , Twitter: #FreeTheMoria6

Blog: https://freethemoria6.noblogs.org/