Gerechtigkeit für die Moria 6!
Für eine detailliertere Darstellung des Prozessverlaufs siehe auch den Beitrag der Anwält*innen vom Legal Centre Lesvos: https://legalcentrelesvos.org/2021/03/09/justice-for-the-moria-6/
Am 9. März 2021 wurden A.A. und M.H. auf der Insel Lesbos wegen Brandstiftung mit Gefährdung von Menschenleben schuldig gesprochen und auf zu 5 Jahren Haft verurteilt. Zweieinhalb Jahre der Haftstrafe werden sie im Gefängnis von Avlona auf dem griechischen Festland absitzen müssen.
Die beiden jungen Männer waren als Asylsuchende aus Afghanistan nach Lesvos gekommen und zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung vergangenen Jahres gerade 17 Jahre alt. Sie wurden festgenommen, nachdem das Lager Moria am 8. September 2020 vollständig niedergebrannt war, und sechs Monate lang in Untersuchungshaft festgehalten.
Der gestrige Gerichtsprozess war von Unregelmäßigkeiten durchzogen und hat zentrale rechtsstaatliche Prinzipien der Fairness und Unschuldsvermutung verletzt. Bereits vor Beginn des Verfahrens war klar, dass die beiden Angeklagten schuldig gesprochen werden würden. Sie wurden in ein politisiertes Spiel geworfen, in dem sie als Sündenbock für den Brand des Lagers herhalten solltenen. Durch ihre Verurteilung wird von der Verantwortung der EU und des griechischen Staats für die katastrophalen Zuständen in den europäischen Hotspot Lagern abgelenkt, die durch den Brand erneut mediale Sichtbarkeit bekamen.
Während des Prozesses wurden solidarische Unterstützer*innen und Freund*innen der Angklagten vor dem Gerichtsgebäude von der Polizei weggeschickt, angezeigt und mit weiteren Repression bedroht. Aus “Sicherheitsgründen” durften sie den Gerichtssaal nicht betreten – angeblich, um die Identität der Angeklagten im Jugendgericht zu schützen – wohingegen allerdings 5-7 Polizeibeamte ständig im Gerichtssaal anwesend waren. Außerdem kam es zu Schikanierungen von Unterstützer*innen beim Warten vor dem Gericht. Einige müssen nun für ihre bloße Anwesenheit 300 Euro Strafe zahlen. Am Tag zuvor, an dem die Verhandlung eröffnet und gleich darauf verschoben wurde, wurde eine Person auf die Polizeiwache gebracht und ihre persönlichen Sachen durchsucht.
Obwohl viele Freund*innene und Verwandte der Angeklagten gekommen waren, um zu bezeugen, dass diese den Brand nicht gelegt hatten, durften lediglich zwei Zeug*innen der Verteidigung an der Verhandlung teilnehmen. Auf der Seite der Kläger sagten 17 Zeug*innen gegen die Angeklagten aus, konnten jedoch keine stichhaltigen Beweise gegen diese vorlegen.
Der Hauptzeuge – der Sprecher der afghanischen Community – dessen Aussage zur Verhaftung der zwei Angeklagten geführt hatte, erschien nicht zum Prozess und konnte von den Behörden nicht ausfindig gemacht werden. Dennoch wurde seine schriftliche Aussage als glaubwürdig erachtet.
Die meisten anderen Zeug*innen sagten nur über persönliche Verluste durch den Brand aus, die nicht direkt mit den Angeklagten in Verbindung standen. Lediglich zwei Polizeibeamte behaupteten, die Angeklagten anhand eines Videos identifiziert zu haben, das zwei Personen mit ähnlicher Kleidung von hinten zeigt. Sie widersprachen sich jedoch in ihren Aussagen und beschrieben einen der Angeklagten als “winzig und klein”, während sich im Gericht zeigte, dass dieser tatsächlich wesentlich größer als der aussagende Polizist selbst ist.
Am Ende wurden die Angeklagten zumindest vom Vorwurf der “Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung” freigesprochen – die gemeinsam mit dem Brandstiftungs-Vorwurf eine Strafe von 15 Jahren hätte bedeuten können. Ihre Anwält*innen des Legal Centre Lesvos werden zudem gegen das Urteil Berufung einlegen.
Nichtsdestotrotz ist die Verurteilung der beiden ein weiteres empörendes Beispiel, wie Menschen auf der Flucht kriminalisiert werden, um von den Verantwortlichkeiten derer abzulenken, die die Existenz eines Lagers wie “Moria“ und des neuen Camps “Kara Tepe” überhaupt erst möglich machen. Wir haben es satt, einen Fall nach dem anderen zu beobachten, bei dem Migrant*innen willkürlich verhaftet, geschlagen, gedemütigt, inhaftiert und von der sogenannten “Rechtsstaat” zu Gefängnisstrafen verurteilt werden. Diese Taktik ist ebenso durchschaubar und lächerlich wie sie gewalttätig, rassistisch und widerlich ist. Diejenigen, die dafür mit ihrem Leben bezahlen müssen, sind Menschen die ihr Recht auf Bewegungsfreiheit wahrnehmen und als Konsequenz entrechtet und bestraft werden.
Wie schon so oft, wenn wir Gerichtsverfahren gegen Menschen auf der Flucht verfolgen, sind wir traurig und wütend. Der 9. März war ein schrecklicher Tag für alle, die sich für Gerechtigkeit und Gleichheit einsetzen. Aber wir müssen weiter kämpfen.
Die noch folgenden Gerichtsprozesse für vier weitere Personen, die für Brandstiftung in Moria angeklagt sind, werden vermutlich ebenfalls bald stattfinden. Die beiden Verurteilten, A.A. und M.H., werden Berufung gegen das Urteil einlegen.
Wir müssen diese Infos verbreiten, sie den Verantwortlichen ins Gesicht schreien: denen, die die Hotspot-Lager und den EU-Türkei-Deal geschaffen haben, denen, die die Lager am Laufen halten und denen, die vom System des Rassismus und der Ungleichheit profitieren.
Freiheit für die Moria 6!