Im Jahr 2015 im Zeitraum des sogenannten langen Sommers der Migration prägten tausende Menschen, die Serbien als Transitland auf der Fluchtroute passierten und sich auf den öffentlichen Plätzen Belgrads aufhielten, das Bild der serbischen Hauptstadt. Leerstehende Gebäude und Fabrikhallen wurden von den Menschen besetzt, um sie als kollektiven Wohnraum und als Schutz vor Kälte zu nutzen. In zentralen Parks wurde gecampt, geschlafen und auf neue Möglichkeiten der Weiterreise Richtung Norden gewartet.
Mittlerweile sind die Parks leer, besetzte Hallen und Gebäude wurden geräumt und/ oder abgerissen – insbesondere im Frühjahr 2017. Die meisten Menschen wurden in Refugee-Camps außerhalb von Belgrad gebracht. Auch das Camp im südlichen Preŝevo existiert noch immer. Dieses fungierte im Kontext des staatlich organisierten „Korridors“ in den Jahren 2015/ 2016 als Transitcamp, wo Refugees, die gerade die mazedonisch-serbische Grenze passiert hatten, registriert wurden. Zu dieser Zeit war die humanitäre Situation dort katastrophal. Aussagen serbischer Akivist*innen zufolge, scheint das Camp und die Region Preŝevo mittlerweile zu einer Art offenem Gefängnis geworden zu sein, wo etwa 1000 Menschen bereits monatelang festsitzen. Es scheint derzeit sehr schwierig zu sein die Gegend um Preŝevo zu verlassen um weiter zu reisen, da die öffentlichen Reisebusse (unter Druck gesetzt werden) Geflüchteten die Mitfahrt Richtung Belgrad zu verweigern – obgleich die Menschen Serbien bereits betreten und sich dort (ordnungsgemäß) registriert haben. Dass viele Menschen im Süden von Serbien festsitzen und eigentlich nach Belgrad und weiter reisen wollen, eröffnet einen profitablen Markt für mafia-ähnliche Strukturen und Schleuser*innen. Diese können nun hohe Geldbeträge von den Refugees verlangen, die für den Weitertransport auf andere angewiesen sind, da es keine Alternative gibt. Regelmäßig betritt die serbische Polizei das Camp in Preŝevo: Zum Einen werden Menschen von dort aus rechtswidrig in Form von Push-Backs nach Mazedonien abgeschoben, zum Anderen wird ihnen die sogenannte „freiwillige Ausreise“ nach Mazedonien „angeboten“. Informationen über Kriterien, nach denen diese Prozeduren durchgeführt werden, liegen leider nicht vor. Laut Berichten von Refugees nehmen jedoch einige Menschen aus dem Camp das „Angebot“ einer „freiwillige Ausreise“ in Anspruch, da die Chance in einem erneuten Versuch nach Serbien zu kommen, ohne dabei in die Preŝevo-Falle zu laufen, besser seien. Im Norden Serbiens angekommen, macht Ungarns Migrationspolitik es allerdings nahezu unmöglich die Grenze von Serbien nach Ungarn zu passieren ohne entweder von der ungarischen Grenzpolizei und/oder gewalttätigen Grenzjägern aufgegriffen, festgenommen, inhaftiert oder nach Serbien zurück gepusht zu werden. Deshalb probieren viele Menschen mittlerweile wieder die Route über Kroatien. Erst kürzlich saßen hunderte Menschen am serbisch-kroatischen Grenzübergang bei Sid fest. Dort bildete sich für einige Tage ein sogenanntes „wildes“ Camp der Festsitzenden, die gegen das rigide Grenzregime protestierten. Die Polizei reagierte auf den Protest der Menschen, die ihr Recht auf Bewegungsfreiheit forderten, indem sie sie auf verschiedene serbische Refugee-Camps verteilte.
Unschwer zu erkennen ist die große Herausforderung, Grenzen entlang der Balkanroute seit der finalen Grenzschließung in Idomeni. Dennoch versuchen es die Menschen weiterhin. Wo Grenzen, Mauern und Zäune ihnen den Weg versperren, müssen Alternativrouten gefunden werden. So gab es in Bosnien im vergangenen Jahr 2017 im Vergleich zu 2016 eine 380 %ige Steigerung an Refugees, die das Land betreten haben, um von dort weiter nach Kroatien und somit in die EU zu gelangen. Die Rolle Serbiens, aber auch die von Mazedonien und Kroatien verdeutlichte sich während der letzten Jahre zunehmend: Diese Staaten fungieren als Pufferzone vor den Toren Europas. Wobei anzumerken ist, dass die Mehrheit der Geflüchteten nicht in diesen Ländern bleiben will, sondern diese nur als Transitländer durchreist auf dem Weg in die nördlichen europäischen Staaten.
Generell kann eine aktive Verdrängung von Geflüchteten aus öffentlichen Räumen durch Isolation und Inhaftierung wahrgenommen werden. Als Konsequenz werden nicht nur diese Menschen und das Thema Migration, sondern auch das Grenzregime mit all seiner Gewalt und Repression unsichtbar gemacht und verschwindet aus dem Bewusstsein der Gesellschaft.
Interview mit einem Aktivisten, der mit Refugees in Belgrad arbeitet.
Das Interview wurde von Aktivist*innen der Anti-Repressionskampagne You cant evict Solidarity aus Deutschland geführt. Neben vielen persönlichen Gesprächen mit No Border-Aktivist*innen in Serbien wurde das folgende Interview per Mail geschickt.
1. Kannst du etwas über die Situation von Refugees in Serbien und Belgrad erzählen?
Heute sind in Serbien etwa 4000 bis 5000 Refugees. Die meisten leben in offiziellen Camps, die im ganzen Land verteilt sind. Zirka 500 Menschen leben außerhalb dieser offiziellen Zentren (Camps) in inoffiziellen Formen von Unterkünften – ob in den sogenannten „Jungles“ nahe der ungarischen Grenze, in verlassenen Fabrikhallen in Sid an serbisch-kroatischen Grenze oder in leerstehenden Gebäuden in Belgrad. Sie haben nur sehr begrenzten Zugang zu grundlegenden Bedürfnissen wie Wasser oder sanitären Anlagen. Jedoch leben alle, ob innerhalb oder außerhalb der offiziellen Camps unter konstant prekären Bedingungen. Die Möglichkeit einen Asylantrag in Serbien zu stellen, bleibt sporadisch und sehr eingeschränkt. Im Jahr 2017 haben lediglich drei Personen einen Refugee-Status in Serbien erhalten, die restlichen Antragsteller*innen wurden abgelehnt. Die meisten jedoch schaffen es gar nicht erst Asyl zu beantragen, weil die juristische und administrative Unterstützung so gering ist und in vielen Camps nicht zur Verfügung steht.
2. Welche (Refugee-) Camps spielen in diesem Land eine wichtige Rolle?
Preŝevo (serbisch-mazedonische Grenze): Der mazedonische Grenzübergang wird weiterhin vom Ministerium für Arbeit verwaltet. Durch die sehr restriktive Überwachung der Bewegungsfreiheit wird es von den meisten Refugees als offenes Gefängnis wahrgenommen. Im Gegensatz dazu sind die Lebensbedingungen und der Zugang zu bestimmten Dienstleistungen besser als in anderen Camps.
Obrenovac/Krnjaca (Camp südlich von Belgrad): Dieses Camp im Süden Belgrads ist vor allem für allein-reisende junge Männer und Kinder unter 15 Jahren, also unbegleitete Minderjährige, gedacht. Diese beiden nicht weit von Belgrad entfernten Camps sind die Hauptorte, um einen Weg aus Serbien heraus zu finden. Die Sicherheit und Lebensbedingungen vor Ort verschlechtern sich seit dem Sommer. Es wird von Banden berichtet und die Menschen, die in den Camps leben erzählen von gewalttätigen Auseinandersetzungen sowie Belästigungen durch die Polizei und den Mitarbeitern des „Kommissariat für Flüchtlinge und Migration“.
3. Wie hat sich die Situation seit 2015 verändert?
Während Serbien früher ein Transitland war, ist es heute eher eine Falle – ein Ort, an dem die Leute feststecken. Allein gelassen und festsitzend, müssen sie somit ein höheres Risiko eingehen um voranzukommen. 2015 war Serbien nur eines von vielen Ländern, welches die Menschen durchquerten um ihre Reise fortzusetzen. Heute ist es immer noch ein wichtiger Knotenpunkt, ist aber auch immer häufiger eine Sackgasse, die nicht mehr zu verlassen ist.
4. Wie ist die Atmosphäre, die Wahrnehmung und der Diskurs in der Öffentlichkeit bezüglich Migration und Refugees im Moment? Hat es sich in den letzten Jahren verändert? Über den sich verändernden politischen Diskurs in Serbien kann ich etwas erzählen: Dieser hat sich an die anderen V4-Länder ( Vizegrad: Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei) angepasst. Ausländerfeindlichkeit und Diskriminierung haben sich weiter verbreitet. Während Serbien versucht der EU treu zu bleiben und den V4-Ländern nicht öffentlich beitritt, da Serbien sobald wie möglich in den europäischen Markt eintreten möchte.
5. Wie ist die Situation bezüglich Repression und Kriminalisierung von Refugees, Unterstützungsstrukturen und selbstorganisierten Aktivist* innen?
Weiterhin werden solidarische Strukturen häufig kriminalisiert, jedoch geschieht dies mittlerweile subtiler und weniger offensichtlich im Vergleich zu 2016. Damals hat die Regierung einen offenen Brief veröffentlicht, in dem unterschiedliche Organisationen verboten wurde und auch Essen in der Innenstadt anzubieten.
6. Wie ist es mit Refugees oder zu Themen wie Migration/ Refugees/ Anti-Rassismus in Belgrad und Serbien zu arbeiten?
Es ist schmerzhaft aber auch lohnend. Jedoch haben sich die Gegebenheiten sehr verändert; von einer Notsituation hin zu einer anderen Ebene der politischen und humanitären Antwort bzw. Arbeit. Mit anderen Worten kann man sagen, dass das Geld nun direkt in die Ministerien und nicht mehr in den Sektor der Nichtregierungsorganisationen geht. Dadurch entsteht eine großes Loch welches die Verfügbarkeit gewisser Dienstleistungen verschlechtert. Dadurch werden die Politik der serbischen Regierung und die europäische Politik der Exklusion und Diskriminierung legitimiert. Denn für diese ist es besser tausende von Menschen außerhalb der europäischen Grenzen zu halten, als sie in das europäische Asylsystem zu integrieren.
7. Wer arbeitet hier zu diesen Themen?
Obwohl es weiterhin unterschiedliche Organisationen gibt, die immer noch aktiv sind, hat sich die individuelle und selbstorganisierte Reaktion auf die Situation nach mehr als zwei Jahren des Engagements verringert. Was es heute braucht, sind neue Narrative und neue Kämpfe, denn der Kontext hat sich stark verändert. In Serbien sowie in anderen europäischen Ländern braucht es weiterhin neue Formen und Möglichkeiten der Teilhabe, ein Recht auf Wohnraum, Bildung und Arbeit.
8. Welche Informationen bzgl. der Situation von Refugees/ Migration/ Aktivismus in Serbien würdest du gerne noch hinzufügen?
Was wir heute in Serbien sehen, zeigt die sehr komplexen lokalen und regionalen Dynamiken, die durch die europäische Migrationspolitik an den europäischen Außengrenzen entstehen. Die beständige Gewalt an den europäischen Grenzen dient der Abschreckung; zusätzlich werden die erzwungene Unterbringung in Lagern und die Verschlechterung des politischen Diskurses als Strategien zur Legitimierung von Ausländerfeindlichkeit und vermeintlich benötigten Sicherheitsmaßnahmen genutzt, während Inklusion und der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen nachlassen.
Verweise: https://www.neues-deutschland.de/artikel/1074347.die-neue-balkanroute.html http://bordermonitoring.eu/berichte/2017-Mazedonien-Serbien/
http://www.spiegel.de/fotostrecke/fluechtlinge-auf-der-balkanroute-das-spiel-fotostrecke-156822.html