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[Pressemitteilung 9.12.2022] Verspätete „Gerechtigkeit“ im Berufungsverfahren: Amir und Akif kommen endlich frei!

Pressemitteilung 9.12.2022

Pressemitteilung der Initiativen Legal Center Lesvos, Aegean Migrant Solidarity, borderline-europe e.V., You can’t evict Solidarity und Deportation Monitoring Aegean vom 8. Dezember 2022

Verspätete „Gerechtigkeit“ im Berufungsverfahren: Amir und Akif kommen endlich frei!

Am gestrigen 8. Dezember 2022 fand in Mytilini, Griechenland, der zweimal verschobene Berufungsprozess gegen Amir Zahiri und Akif Razuli statt. Am Ende sprach das Berufungsgericht mit drei Richtern Akif frei, befand Amir jedoch des „Bootsteuerns“ für schuldig und verurteilte ihn zu 8 Jahren Gefängnis. Im Vergleich zur erstinstanzlichen Entscheidung wurde seine Strafe erheblich reduziert, was bedeutet, dass er vorzeitig auf Bewährung entlassen werden kann. Die Initiativen Legal Center Lesvos, Aegean Migrant Solidarity, borderline-europe e.V., You can’t evict Solidarity und Deportation Monitoring Aegean beobachten den Fall der beiden auf Lesbos und begrüßen ihre bevorstehende Haftentlassung.

Nach einem Tag der Ungewissheit, ob der Prozess stattfinden oder erneut verschoben wird, hat der Prozess am späten Donnerstagnachmittag endlich begonnen. Vier Zeugen sagten für die Angeklagten aus, die von Anwält_innen des Legal Centre Lesvos und des Human Rights Legal Project Samos vertreten wurden.

Am Ende des Prozesses schlug der Staatsanwalt vor, Akif für nicht schuldig zu erklären, da keinerlei Beweise dafür vorlagen, dass er das Boot fuhr, und die Richter_innen stimmten zu.

Obwohl Zweifel an Amirs Schuld geäußert wurden, befand das Gericht Amir für schuldig, die “unbefugte Einreise undokumentierter Migrants” durch Steuern des Boots ermöglicht zu haben. Sie wiesen das Argument zurück, dass Amir gezwungen war, das Boot aus der Not heraus zu fahren, um das Leben seiner Familie und anderer auf dem Boot zu retten – ein rechtlicher Grund für einen Freispruch. Allerdings hat das Gericht seine Haftstrafe aufgrund mildernder Umstände auf 8 Jahre herabgesetzt, so dass er nun eine vorzeitige Entlassung beantragen kann, da er seine Haftzeit durch Arbeits- und Schulzeit während der Haft erheblichen reduzieren kann. Dieses Ergebnis ist zwar unzureichend, aber eine willkommene Nachricht für seine Familie.

Obwohl es nie glaubwürdige Beweise gegen sie gab, sitzen beide Angeklagten nun seit fast 3 Jahren im Gefängnis.

Der Zeuge der Küstenwache – der einzige Zeuge des Staates gegen Akif und Amir – ist gestern erneut nicht erschienen, um vor Gericht auszusagen. An dem für April 2022 angresetzten Termin für die Berufungsverfahren  erschien der Zeuge nicht, was als Grund für die Verschiebung des Prozesses diente und für Amir und Akif acht weitere Monate  warten im Gefängnis bedeutete.

Dies ist leider ein häufiger Vorfall in diesen „boatdriving“-Fällen, in denen die Küstenwache oder die Polizei die einzigen Zeugen gegen den Angeklagten sind. Erst an diesem Montag (5.9.2022) hat das Gericht von Mytilene im Fall von A.B., der auf Mai 2023 verschoben, weil der Zeuge der Küstenwache nicht zum Prozess erschienen ist und auch keine Entschuldigung für seine Abwesenheit angab. Während das Gericht den Beamten der Küstenwache wegen Nichterscheinens mit einer Geldstrafe von 200 Euro belegte, ist dies nur ein Klapser, während A.B.s Leben erneut für weitere sechs Monate in der Schwebe gehalten wird.

Gestern nahm der Zeuge der Küstenwache, der schriftlich gegen Amir und Akif ausgesagt hatte, erneut nicht an der Verhandlung teil. Diesmal ging der Fall glücklicherweise voran.

Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass die Angeklagten im ersten Prozess aussagten, dass die griechische Küstenwache, als sie auf ihrer Reise von der Türkei im März 2020 griechische Gewässer erreichten, versuchte, sie in die Türkei zurückzudrängen, und dabei das Boot beschädigte, was dazu führte, dass es anfanging zu sinken. Nach Aussage der Angeklagten war die Küstenwache daraufhin gezwungen, alle Passagiere an Bord zu nehmen und nach Griechenland zu bringen. Von besonderer Bedeutung ist, dass es gestern der Staatsanwalt war, der bei seiner Befragung der Angeklagten die Frage aufwarf, ob es während der Überfahrt von Amir und Akif zu einem versuchten Pushback durch die Küstenwache gekommen war oder nicht. Die fortgesetzte Abwesenheit des Zeugen der Küstenwache ist ebenfalls bemerkenswert angesichts der Bedeutung, dass er möglicherweise an diesem versuchten Pushback beteiligt war – dem eigentlichen Verbrechen in diesem Fall.

Ungefähr 40 Personen aus Solidaritätsgruppen und der Presse waren im Gerichtssaal anwesend und versammelten sich nach dem Prozess draußen. Um 19 Uhr, als die Urteile und Urteile verkündet wurden, wurden die beiden mit Spruchbändern und Gesängen begrüßt, die ihre Freiheit feierten.

“Der gestrige Freispruch von Akif Razuli und die reduzierte Strafe für Amir Zahiri waren ein kleiner Sieg. Aber das ist ein sehr kleiner Schritt in dem Kontext, in dem immer noch Tausende von Menschen in Griechenland mit der gleichen Anklage inhaftiert sind, einfach weil sie nach einer besseren Zukunft suchen. Wir werden all jenen beistehen, die wegen Grenzübertritts inhaftiert sind, und mit ihnen für ihre Freiheit kämpfen.”, so Kim Schneider von der Initiative You can`t evict Solidarity.

Vicky Aggelidou vom Legal Center Lesvos, die Akif Razuli vertrat, erklärte: „Nach fast drei Jahren ist dieses Ergebnis das absolute Minimum dessen, was Akif verdient. Er kam als Schutzsuchender nach Griechenland und fand sich ohne Beweise gegen ihn im Gefängnis wieder. Wir hoffen, dass das ungerechte Anti-Schmuggel-Gesetz, wegen dem er und Amir angeklagt wurden, abgeschafft wird und dass die Verfolgung von Migrants in den Rädchen der griechischen Justiz ein Ende findet.“

Annina Mullis, Trial Observer von European Lawyers for Democracy and Human Rights & Swiss Democractic Lawyers: “Wenn ich nur diesen einen Prozess betrachte, habe ich aus prozessualer Sicht nichts zu bemängeln. Die Strafverfolgung von Akif Razuli und Amir Zahiri basiert jedoch nicht auf diesem einen Prozess. Selbst wenn frühere Verstöße durch den Freispruch von Akif Razuli korrigiert wurden, wird er keine der fast drei Jahre, die er grundlos im Gefängnis verbracht hat, zurückbekommen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass Amir Zahiri erneut für schuldig befunden wurde. Obwohl die Strafe drastisch reduziert wurde und Amir Zahiri nun auf eine baldige Freilassung auf Bewährung hoffen kann, handelt es sich dennoch um eine politisch motivierte Verurteilung in einem Prozess, der gar nicht erst hätte stattfinden dürfen.”

Das CPT-AMS-Team stellte fest: „Der gestrige Prozess hat eine große Ungerechtigkeit gegen Amir und Akif teilweise wiederhergestellt. Wir hoffen, dass wir in Zukunft nie wieder ähnliche Fälle sehen werden, in denen Menschen ohne Beweise und Zeugen und ohne angemessene Übersetzung verurteilt wurden, wie es der Fall war im ersten Prozess gegen Amir und Akif.”

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Lorraine Leete
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[Pressemitteilung] Zweifach verschobener Berufungsprozesses von Amir Zahiri und Akif Razuli auf Lesbos findet diese Woche statt

Presseerklärung 6.12.2022

Presseerklärung der Initiativen Legal Centre Lesvos, Aegean Migrant Solidarity, borderline-europe e.V., You can’t evict Solidarity und Deportation Monitoring Aegean am 6. Dezember 2022

Zweifach verschobener Berufungsprozesses von Amir Zahiri und Akif Razuli auf Lesbos findet diese Woche statt – Forderung nach Freispruch und Ende der ungerechtfertigten Inhaftierung

Nachdem die beiden Schutzuchenden aus Afghanistan Amir Zahiri (27) und Akif Razuli (24) im September 2020 trotz fehlender Beweise wegen “Beihilfe zur unerlaubten Einreise undokumentierter Migrant:innen” zu 50-jährigen Haftstrafen verurteilt wurden, findet am kommenden Donnerstag, den 8. Dezember 2022, die mehrfach verschobene Berufungsverhandlung in Mytiline statt. Die beiden Angeklagten werden beschuldigt, “Schleuser” zu sein. Mehrere Initiativen fordern den Freispruch und die Freilassung der beiden Angeklagten.

Amir und Akif flohen auf der Suche nach einem Leben in Sicherheit aus Afghanistan nach Europa. Angesichts Europas zunehmender Abschottungspolitik, die es Geflüchteten unmöglich macht, legal nach Europa einzureisen und Asyl zu beantragen, waren sie gezwungen, sich auf den gefährlichen Weg über die Ägäis zu begeben. Mit auf dem Boot befanden sich unter anderem auch Amirs kleine Tochter und seine hochschwangere Frau.
Sie traten ihre Reise im März 2020 an – dem Monat, in dem die griechische Regierung die Aussetzung des Asylrechts als eines der grundlegendsten Menschenrechte verkündete und infolgedessen Schutzsuchende für ihre eigene „unerlaubte Einreise“ anklagte. Dies steht in drastischem Widerspruch zu EU-Recht und der Genfer Flüchtlingskonvention.
In ihrem ersten Gerichtsprozess sagten Amir and Akif aus, dass die griechische Küstenwache das Boot angriff, sobald es in griechische Gewässer eingelaufen war. Die Küstenwache versuchte, das Boot mit Metallstangen zurück in türkische Gewässer zu drängen. Dabei durchbohrten sie das Schlauchboot, sodass Wasser eindrang und die Menschen an Bord in Lebensgefahr gerieten. Als das Boot zu sinken drohte, nahm die Küstenwache die Fliehenden schließlich an Bord.
Nach dieser zutiefst traumatisierenden Erfahrung wurden Amir und Akif zusätzlich von Beamten der sogenannten “Küstenwachte” verprügelt und willkürlich beschuldigt, „Schmuggler“ zu sein. Laut Amirs Frau, die gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter all dies miterleben musste, hörten sie erst damit auf, als sie ihr kleines Kind schützend vor ihren Mann hielt und die Männer anflehte, aufzuhören.
Sobald sie auf der griechischen Insel Lesbos ankamen, wurden Amir und Akif vom Rest der Gruppe getrennt und auf die Polizeiwache gebracht. Sie kamen direkt in Untersuchungshaft und wurden am 8. September 2020 zu 50 Jahren Gefängnis verurteilt.

Die Berufungsverhandlung, die bereits zweimal verschoben wurde, wird am 8. Dezember 2022 in Mytilene auf Lesbos stattfinden. Die Berufungsverhandlung wurde zunächst am 18. März 2022 unterbrochen und später erneut am 7. April 2022 aus fragwürdigen Gründen vertagt. Auch der Antrag auf Freilassung der beiden Angeklagten bis zum nächsten Verhandlungstermin wurde damals, obwohl von der Staatsanwaltsschaft vorgeschlagen, vom Gericht abgelehnt.

Obwohl keinerlei Beweise gegen sie vorliegen, sitzen beide Angeklagte nun bereits seit fast 3 Jahren in Haft und warten auf ihr Berufungsverfahren.

Schon lange wird vonseiten der Behörden versucht, entgegen der Fülle an Beweisen für systematische Push-Backs durch die griechische Küstenwache, die Schuldzuweisung in der Öffentlichkeit durch die Kriminalisierung von Migrant:innen auf diese zu übertragen. Dies steht im krassen Gegensatz zur völligen Straffreiheit von Gewalt gegen Migrant_innen an den griechischen Grenzen.

Die Fälle von Amir Zaheri und Akif Razuli sind dabei kein Einzelfall.
“Menschen, die als Schleuser angeklagt sind, bilden die zweitgrößte Gefängnispopulation in Griechenland. Endlich werden diese ungerechten Verfahren ins Rampenlicht gerückt. Regelmäßig werden Migrant:innen in das Gefängnissystem gesteckt und ohne glaubwürdige Beweise verurteilt, ohne dass jemand weiß oder sich darum kümmert, wer sie sind.” CPT-Aegean Migrant Solidarity

Alle Beobachter:innen, Angehörige und Menschen die sich solidarisch zeigen hoffen, dass diese Woche dem rechstwidrigen und politischen Gerichtsverfahren von Amir Zahiri und Akif Razuli ein Ende gesetzt wird.

Lorraine Leete vom Legal Centre Lesvos, dessen Anwält*innen Akif Razuli verteidigen, erklärt:
“Amir und Razuli hätten niemals verhaftet, geschweige denn ohne Beweise für das vorgeworfene Verbrechen verurteilt und ins Gefängnis gesteckt werden dürfen. Auch wenn die beiden die fast drei Jahre, die sie im Gefängnis verbracht haben, nie zurückbekommen werden, hoffen wir, dass dieser Justizirrtum bei der Fortsetzung ihres Berufungsverfahrens korrigiert wird.”

borderline-europe: “Lange Haftstrafen für Menschen auf der Flucht, weil sie es gewagt haben, in Europa anzukommen? Der Umgang der Europäischen Union mit Schutzsuchenden im 21. Jahrhundert ist nichts anderes als schändlich und erbärmlich und wir müssen gemeinsam dagegen ankämpfen.”

Das Legal Centre Lesvos, Aegean Migrant Solidarity, borderline-europe e.V., You can’t evict Solidarity und Deportation Monitoring Aegean haben den Prozess seit Beginn verfolgt. Wir sind weiterhin mit den Angeklagten solidarisch, egal wie lange es dauern wird, bis Amir Zaheri und Akif Razuli endlich wieder in Freiheit sein können.

Wir fordern die Freilassung von Amir Zaheri und Akif Razuli sowie Freispruch in allen Anklagepunkten!

Wir fordern Freiheit für alle, die als “Bootsfahrer” inhaftiert sind und ein Ende der Kriminalisierung von Menschen auf der Flucht!

Die Europäische Union muss die willkürliche Inhaftierung von Geflüchteten und Migrant:innen beenden!

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[7.04.2022] Presseerklärung: Grausame und ungerechtfertigte Vertagung des Berufungsverfahrens von Amir und Razuli

Presseerklärung der Initiativen Legal Centre Lesvos, Aegean Migrant Solidarity, borderline-europe e.V., You can’t evict Solidarity und Deportation Monitoring Aegean am 7. April 2022

Grausame und ungerechtfertigte Vertagung des Berufungsverfahrens von Amir und Razuli
#FreeAmirAndRazuli

Der für heute angesetzte Berufungsprozess von Amir Zahiri (27) und Akif Razuli (24) vor dem Gericht in Mytilene wurde erneut auf einen späteren Termin, den 8. Dezember 2022, verschoben.

Nach der Unterbrechung am 18. März (1) aufgrund der Arbeitsbelastung des Gerichts wurde der Prozess nun unter dem Vorwand verschoben, dass ein Zeuge, ein Offizier der griechischen Küstenwache, nicht vor Gericht erschienen ist.

Dieser Zeuge war bereits im erstinstanzlichen Verfahren abwesend und hatte einen schriftlichen Bericht vorgelegt, der sich nur auf den Vorwurf der “Verursachung eines Schiffbruchs” bezog, wofür beide Angeklagten in erster Instanz freigesprochen wurden. Es ist daher höchst fraglich, warum seine irrelevante Aussage ein ausreichender Grund für eine erneute Vertagung des Prozesses sein sollte. Außerdem war das Gericht befugt, seine schriftliche Aussage vor Gericht zu verlesen, anstatt die Verhandlung zu verschieben, wie es im ersten Prozess geschehen war.

Zudem lehnte das Gericht mit drei Richter_innen den Antrag der Anwält_innen, beide Männer bis zu ihrem Verhandlungstermin im Dezember freizulassen, dem die Staatsanwaltschaft zustimmte, schließlich ab und ordnete an, dass sie in Haft bleiben.

Nach der heutigen Anhörung werden Amir und Razuli daher für mindestens acht weitere Monate ins Gefängnis zurückkehren müssen, fernab von ihren Familien und Freund_innen. Bislang haben sie bereits über zwei Jahre hinter Gittern verbracht, obwohl keine Beweise gegen sie vorliegen. Razuli und Amir wurden bereits zweimal zwischen Lesbos und den Haftanstalten in Serres bzw. Chios hin- und hergeschickt, jedes Mal in der Hoffnung auf eine endgültige Entscheidung in ihrem Fall und ihre Freilassung. Jeder Aufschub ist ein Hindernis für eine gerechte und zügige Rechtsprechung und verursacht extreme und unnötige Qualen. Diese weitere Verzögerung ist eine Verweigerung von Gerechtigkeit.

Die wiederholte Kriminalisierung von Migrant_innen, wie in diesem Fall, steht in krassem Gegensatz zur völligen Straffreiheit von Gewalt gegen Migrant_innen an den griechischen Grenzen, trotz der Fülle an Beweisen für systematische Push-Backs durch die griechische Küstenwache in Zusammenarbeit mit der griechischen Polizei.

Vicky Angelidou vom Legal Center Lesbos und eine der Anwältinnen der Angeklagten erklärte: “Mit schockierenden Entscheidungen wie der heutigen und der Entscheidung im ersten Prozess zerstören griechische Gerichte das Leben von Menschen, die nur eine bessere Zukunft in Europa wollten, und zeigen damit, dass sie sich völlig von der Realität und dem Leben der Menschen, über die sie urteilen, entfernt haben.”

Eine Sprecherin der CPT-Aegean Migrant Solidarity sagte: “Menschen, die wegen Schleusungsdelikten angeklagt sind, bilden die zweitgrößte Gefängnispopulation in Griechenland. Wir sind froh, dass diese ungerechten Verfahren endlich ins Rampenlicht gerückt werden, aber wie die heutige Entscheidung gezeigt hat, reicht auch das nicht aus. Regelmäßig werden Migranten in das Gefängnissystem gesteckt und verurteilt, ohne dass jemand weiß oder sich darum kümmert, wer sie sind.”

Annina Mullis, Vertreterin der Vereinigung Demokratische Jurist*innen Schweiz und European Lawyers for Democracy and Human Rights, die den heutigen Prozess beobachtete, erklärte: “Ein achtmonatiger Aufschub ohne Grund ist eine klare Verletzung des Beschleunigungsgebotes – auf der Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention sind die Gerichte verpflichtet, Verfahren zügig voranzutreiben, insbesondere wenn sich Angeklagte im Gefängnis befinden. Was wir heute erlebt haben, war eine willkürliche Machtdemonstration in einem politisierten Gerichtsverfahren”.

Kim Schneider, Sprecherin der Solidaritätsinitiative You can`t evict Solidarity, betonte: “Es ist unfassbar. Wieder einmal wurde der Prozess gegen Amir und Razuli verschoben. Wir sind so wütend, dass wir sprachlos sind. Wir können dies weder den jungen Männern noch ihren Familien, deren Leben zerstört wird, erklären. Wir müssen jetzt politisch aktiv werden.”

Das Legal Centre Lesvos, Aegean Migrant Solidarity, borderline-europe e.V., You can’t evict Solidarity und Deportation Monitoring Aegean haben den Prozess aufmerksam verfolgt. Wir sind weiterhin mit den Angeklagten solidarisch, egal wie lange es dauern wird, bis Amir und Razuli Gerechtigkeit widerfährt.

Pressekontakte:
Marion Bouchetel
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(1) 03.2022 – Presseerklärung: Berufungsprozess gegen Amir und Razuli nach zwei Tagen Wartezeit bis zum 7. April 2022 verschoben (https://www.borderline-europe.de/unsere-arbeit/press-release-appeal-trial-against-amir-and-razuli-interrupted-after-two-days-waiting)

Berufungsprozess gegen Amir und Razuli nach zwei Tagen Wartezeit bis zum 7. April 2022 unterbrochen

Presseerklärung, 18. März 2022
 
Berufungsprozess gegen Amir und Razuli nach zwei Tagen Wartezeit bis zum 7. April 2022 
#FreeAmirAndRazuli

Das Berufungsverfahren gegen die beiden jungen afghanischen Männer, die in erster Instanz wegen “Beihilfe zur illegalen Einreise” und “illegaler Einreise” nach Griechenland verurteilt wurden, wurde pausiert. Die Angeklagten Amir Zahiri (27) und Akif Razuli (24) wurden aus den Gefängnissen von Chios bzw. Serres nach Mytilene auf Lesbos gebracht und mussten dort an zwei aufeinanderfolgenden Tagen stunden lang mit Handschellen im Gerichtssaal warten und anderen Prozessen zusehen, während sie auf ihren eigenen warteten. Sie erhielten keinerlei Informationen darüber, ob und wann der Prozess stattfinden würde. Dieses Vorgehen verstösst gegen die griechische Strafprozessordnung. Schließlich wurde das Verfahren heute, am 18. März, um 14.30 Uhr eröffnet – nur um unmittelbar danach pausiert zu werden. Auch alle Zeug_innen, darunter Amirs Frau und ihre beiden Kinder sowie die internationalen Prozessbeobachter_innen, die aus verschiedenen europäischen Ländern und dem griechischen Festland nach Mytilene gereist waren, mussten ebenfalls erzwungenermaßen vor und im Gerichtsgebäude ausharren. Drei Mitglieder des Europäischen Parlaments waren gekommen, um als Zeug_innen auszusagen und den Prozess zu beobachten, ebenso wie der Seenotretter Iasonas Apostolopoulos.

Der Prozess wird in 20 Tagen, am 7. April 2022, fortgesetzt. Damit setzt sich die Kette der Ungerechtigkeit fort, mit der Amir und Razuli in den letzten Jahren konfrontiert waren: Amir und Razuli wurden am 12. März 2020 willkürlich verhaftet, für sieben Monate in Untersuchungshaft gehalten und im September 2020 ohne jegliche Beweise zu 50 Jahren Haft verurteilt. Nun wurde ihr Berufungsverfahren unterbrochene.

Ein griechische Prozessbeobachterin von Aegean Migrant Solidarity erklärte: “Die letzten zwei Tage waren sehr schwierig, vor allem für die Menschen, die schon so lange ohne Beweise inhaftiert sind. In diesen zwei Tagen wusste niemand, ob der Prozess stattfinden wird oder nicht. Das Gericht hat beschlossen, den Prozess heute zu starten und am 7. April 2022 fortzusetzen. Sie mussten anerkennen, dass der Prozess zu einer angemessenen Tageszeit beginnen muss, um durchgeführt werden zu können. Lasst uns alle am 7. April vor Ort sein!”

Marco Aparicio, Prozessbeobachter des spanischen Observatori DESC (ESCR Observatory) bemerkte: “Das Urteil zu verschieben bedeutet, dass die Angeklagten nun noch länger in einem elenden Zustand verharren müssen. Amir und Razuli, ihre Angehörigen und Freund:innen haben das Recht, endlich über ihre Zukunft Bescheid zu wissen. Dieser Prozess zeigt in der Tat, dass Europa dazu benutzt wird, nicht die Verursacher des Leids zu kriminalisieren, sondern die Menschen, die leiden.”

Lorraine Leete vom Legal Centre Lesvos, welches die Verteidigung von Akif Razuli übernommen hat, erklärt: “Amir und Razuli hätten niemals verhaftet, geschweige denn verurteilt und ins Gefängnis gesteckt werden dürfen. Es gibt keine Beweise dafür, dass sie das Verbrechen begangen haben, das ihnen vorgeworfen wird. Auch wenn Amir und Razuli die zwei Jahre, die sie im Gefängnis verbracht haben, nie zurückbekommen werden, hoffen wir, dass dieser Justizirrtum bei der Fortsetzung d Berufungsverfahrens im nächsten Monat korrigiert wird.”

Das Legal Centre Lesvos, Aegean Migrant Solidarity, borderline-europe e.V., You can’t evict Solidarity und Deportation Monitoring Aegean haben den Prozess aufmerksam verfolgt. Wir werden uns weiterhin mit den Angeklagten solidarisieren, egal wie lange es dauern wird, bis Amir und Razuli Gerechtigkeit widerfährt.

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[3. März 2022] Pressemitteilung: Gerechtigkeit für Amir und Razuli!

Das Legal Centre Lesvos, Aegean Migrant Solidarity, Borderline Europe e.V., You can’t evict Solidarity und Deportation Monitoring Aegean fordern Freiheit für zwei junge Geflüchtete.

Die beiden Männer aus Afghanistan haben Schutz in Europa gesucht. Stattdessen wurden sie willkürlich zu 50 Jahren Haft verurteilt. Das Berufungsverfahren findet am 17. März 2022 auf Lesbos statt.

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Amir und Razuli versuchten im März 2020 mit einem Schlauchboot Griechenland zu erreichen. Ihrer Aussage zufolge wurden sie von der griechischen „Küstenwache“ angegriffen, die versuchte, sie unter Gewaltanwendung zurück in türkische Gewässer zu drängen. Die „Küstenwache“ beschädigte das Boot dabei so, dass es unterzugehen drohte und die Küstenwache die Menschen letztlich an Bord nehmen musste. Amir und Razuli wurden festgenommen und willkürlich der “Beihilfe zur illegalen Einreise” und “Verursachung eines Schiffbruchs” angeklagt, außerdem für ihre eigene illegale Einreise. Am 8. September wurden sie zu 50 Jahren Gefängnis verurteilt.

Amir und Razuli, 25 und 23 Jahre alt, flohen auf der Suche nach einem Leben in Sicherheit aus Afghanistan nach Europa. Angesichts Europas zunehmender Abschottungspolitik, die es Geflüchteten unmöglich macht, legal nach Europa einzureisen und Asyl zu beantragen, waren sie gezwungen, sich auf den gefährlichen Weg über die Ägäis zu begeben. Mit auf dem Boot befanden sich unter anderem auch Amirs kleine Tochter und seine hochschwangere Frau1.

Sie traten ihre Reise im März 2020 an – dem Monat, in dem die griechische Regierung die Aussetzung des Asylrechts als eines der grundlegendsten Menschenrechte verkündete und infolgedessen Schutzsuchende für ihre eigene „illegale Einreise“ anklagte. Dies steht in drastischem Widerspruch zum EU-Recht und der Genfer Flüchtlingskonvention.

In ihrem ersten Gerichtsprozess sagten Razuli und Amir aus, dass die griechische Küstenwache das Boot angriff sobald es in griechische Gewässer eingelaufen war. Die Küstenwache versuchte, das Boot mit Metallstangen zurück in türkische Gewässer zu drängen. Dabei durchbohrten sie das Schlauchboot, sodass Wasser eindrang und die Menschen an Bord in Lebensgefahr gerieten.2 Als das Boot zu sinken drohte, nahm die Küstenwache die Fliehenden schließlich an Bord.

Nach dieser zutiefst traumatisierenden Erfahrung wurden Amir und Razuli zusätzlich von Küstenwächtern verprügelt und willkürlich beschuldigt, „Schmuggler“ zu sein. Laut Amirs Frau, die gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter all dies miterleben musste, hörten sie erst damit auf, als sie ihr kleines Kind schützend vor ihren Mann hielt und die Männer anflehte, aufzuhören.

Sobald sie auf der griechischen Insel Lesbos ankamen, wurden Amir und Razuli vom Rest der Gruppe getrennt und auf die Polizeiwache gebracht. Die Küstenwache beschuldigte sie der eigenen „illegalen Einreise“, der „Beihilfe zur illegalen Einreise anderer Personen“ und der „Gefährdung des Lebens anderer Menschen“.

Sie kamen direkt in Untersuchungshaft und wurden am 8. September 2020 zu 50 Jahren Gefängnis verurteilt. Obwohl es außer den Aussagen der Küstenwache keine Beweise gegen sie gibt, wurden sie lediglich vom Vorwurf freigesprochen, das Leben der anderen im Boot gefährdet zu haben.

Die Berufungsverhandlung wird am 17. März 2022 in Lesbos stattfinden. Anwält:innen des Legal Centre Lesvos und des Human Rights Legal Project Samos werden Amir und Razuli in dem bevorstehenden Prozess verteidigen.

Fast täglich werden Schutzsuchende für ihre eigene Flucht kriminalisiert und willkürlich zu langen Haft- und hohen Geldstrafen verurteilt. Kürzlich wurde ein Überlebender eines Schiffsunglücks sogar für den Tod seines sechsjährigen Sohnes kriminalisiert, der starb, als die Familie versuchte von der Türkei nach Griechenland zu gelangen (siehe Kampagne Free the #Samos2). Angeklagte oder was als “Opfer” dieser ungerechten Gesetzgebung bezeichnet werden kann, haben in der Regel nur begrenzt Zugang zu Rechtsbeistand; Urteile werden oft trotz fehlender Beweise und mangelhafter oder gar fehlender Übersetzung gefällt. In Griechenland dauert ein derartiges Gerichtsverfahren im Schnitt lediglich 30 Minuten und mündet in einer durchschnittlichen Gefängnisstrafe von 44 Jahren und einer Geldstrafe von 370.000 Euro. Nach offiziellen Angaben des griechischen Justizministeriums befinden sich derzeit fast 2.000 Menschen aus diesem Grund in griechischen Gefängnissen. Die Schicksale dieser Menschen sind jedoch nur selten bekannt. Sie werden meist unmittelbar nach ihrer Ankunft verhaftet und unbemerkt weggesperrt, ohne dass ihre Namen bekannt sind und ohne Zugang zu Unterstützung von außen.

Wir fordern eine gründliche Untersuchung, Gerechtigkeit und die Freilassung von Amir und Razuli sowie Freispruch in allen Anklagepunkten!

Wir fordern Freiheit für alle, die als “Bootsfahrer” inhaftiert sind und ein Ende der Kriminalisierung von Menschen auf der Flucht!

Die Europäische Union muss die willkürliche Inhaftierung von Geflüchteten und Migrant:innen beenden!

 

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1Amirs Frau hat inzwischen ihr zweites Kind zur Welt gebracht. Nach der ersten Gerichtsverhandlung traf Amir zum ersten Mal auf sein zwei Monate altes Baby. Als er sein Kind zum ersten Mal in den Armen hielt, wurden er von Beamt*innen angeschrien, er solle den Säugling der Mutter zurückgeben.

2 In den vergangenen Monaten sind zahlreiche Berichte erschienen, die das illegale und grausame Vorgehen der griechischen Küstenwache belegen: Menschen werden systematische und illegale zurückgepusht, die Motoren der Boote von Geflüchteten zerstört und die Menschen auf Schwimminseln mitten auf dem offenen Meer ausgesetzt und sich selbst überlassen. Mehr Informationen gibt es bei New York Times, Deutsche Welle und Spiegel.