Aktuelle Situation in Mazedonien in Bezug auf Migration, Refugees & Aktivismus – Bericht und Interview mit einem Aktivisten aus Skopje von Januar 2018 –
Wie auch Serbien gehört Mazedonien zu den Haupttransitländern entlang der Balkanroute. Tausende von Menschen haben diesen Staat auf ihrer Flucht Richtung EU passiert. Die Fluchtroute von Griechenland, über Mazedonien, Serbien und weiter in den Norden existiert nicht erst seit 2015 – dem sogenannten langen Sommer der Migration – wurde jedoch dadurch besonders sichtbar. Während dieser Zeit sah man tausende Menschen, die zu Fuß entlang den Schienen und dem Highway liefen. Beides verläuft von Süden nach Norden durch das Land.
Nach dem der sogenannte staatlich organisierte „Korridor“ über die Balkanroute beendet und der hoch militarisierte mazedonisch-griechischen Grenzübergang Idomeni im März 2016 endgültig geschlossen wurde, ist die Migration durch Mazedonien nahezu unsichtbar geworden. Staatliche Repressionen und Kriminalisierungen gegenüber Refugees und denjenigen, die ihnen auf ihrer Flucht durch jegliche Art an Unterstützung geholfen haben, haben enorm zugenommen und Mazedonien als Transitland für viele zu einer großen und gefährlichen Herausforderung gemacht. Auch selbstorganisierte, unabhängige aktivistische Gruppen, die monatelang in Mazedonien entlang der Fluchtroute aktiv waren, haben sich mittlerweile aus Repressionsgründen zurückgezogen. Lediglich NGOs wie u.a. Legis können derzeit noch in den offiziellen Transitcamps Gevgeljia und Tabanovce arbeiten.
Die Menschen, die Mazedonien auf ihrer Flucht passieren, wollen nicht dort bleiben, sondern schnellst möglich weiterreisen. Die Wege, die sie mittlerweile nehmen müssen, sind versteckt, weit entfernt von der Straße oder den Schienen und daher oftmals gefährlicher und voraussetzungsvoller was körperliche Fitness und den Gesundheitszustand der Personen angeht. Seit 2015 haben nur sehr wenige Menschen in Mazedonien Asyl beantragt. Es gibt immer wieder rechtswidrige Push-Backs nach Griechenland oder Inhaftierungen von Geflüchteten, die dann in den Abschiebeknast Gazibaba gebracht werden. Von außen kommt dort niemand herein; die Bedingungen sind laut der lokalen Aktivist*innen jedoch katastrophal. Mittlerweile werden immer mehr Fälle publik, von Menschen, die freiwillig umkehren und zurück Richtung Süden reisen, weil es durch die starke Kriminalisierung, Repressionen und Militarisierung insbesondere für Familien oder vulnerable Personen kaum möglich ist ohne Verhaftung, Gewalterfahrungen, Ausbeutung oder Push-Backs Mazedonien, Serbien und Ungarn zu passieren.
Generell ist die sozialpolitische Lage in Mazedonien angespannt, repressiv und für viele Menschen von alltäglicher Prekarität geprägt. Neben Bosnien gehört Mazedonien zu den ärmsten Ländern Europas. Das Sozialsystem stellt keine Unterstützungsgelder bereit, sodass alle Menschen abhängig von Lohnarbeit sind, deren finanzielles Outcome eine geringfügige Beschäftigung kaum zulässt. Als Konsequenz bedeutet das für linke Aktivist*innen und politisch Aktive, dass neben der Lohnarbeit nur wenig Zeit für politische Arbeit und Aktivismus übrig bleibt. Auch die nötigen finanziellen Mittel, die für politische Arbeit gebraucht werden, fehlen: z.B. für das Zahlen der monatlichen Miete für das Soziale Zentrum oder für den Druck von Flyern, Postern, die Fahrtkosten zu wichtigen Treffen oder das Organisieren von Veranstaltungen und Protesten. Die meisten Kosten werden über Crowdfunding-Kampagnen gedeckt oder von anderen solidarischen europäischen Gruppen unterstützt. Die linke Bewegung in Mazedonien besteht daher hauptsächlich aus Einzelpersonen, die es schaffen sich nebst ihrer Arbeitsstelle noch politisch zu engagieren. Laut ihnen nimmt die Anzahl aktiver Menschen – jenseits von NGOs – jedoch eher ab. So hat eine der wenigen linksradikalen Gruppen in der mazedonischen Hauptstadt Skopje in den letzten Jahren mehrere Mitglieder verloren. So stehen natürlich die wenigen Aktivist*innen im besonderen Fokus der Polizei und der staatlichen Repressionen.
Über ein Jahrzehnt hatte die nationalistische Partei die Mehrheit in Mazedonien. Das hat sich durch die letzten Wahlen 2017 zum Glück geändert, sodass mittlerweile nur noch etwa drei Gemeinden nationalistische Lokalregierungen haben und der Rest des Landes von den „Sozialdemokraten“ regiert wird, was die sozialpolitische Gesamtsituation jedoch nur mäßig verbessert. Im Frühjahr 2016 kam es trotz der repressiven Grundstimmung zu Massenprotesten in Mazedonien, nachdem knapp 60 Politiker*innen und hochrangige Beamte, die der Korruption und teilweise des Wahlbetrugs beschuldigt waren, begnadigt wurden. Im Zuge dessen wurden Verschwörungstheorien laut, die auch in Serbien und Ungarn existieren; nämlich die Annahme, die Proteste seien vom Ausland organisiert und gesteuert (namentlich durch George Soros). Letztendlich jedoch waren die Proteste aus Sicht einiger Aktivist*innen aus Skopje ein Erfolg, denn es wurden gerichtliche Verfahren gegen die Begnadigten aufgenommen.
Interview mit einem Aktivisten aus Skopje
1. Kannst du etwas zur Situation von Refugees in Mazedonien erzählen? Welche Refugee-Camps spielen in diesem Land eine Rolle?
Insgesamt ist die Situation hier ziemlich hart. Es gibt zwei Camps an der Grenze, eins im Süden und eins im Norden, und außerdem ein Asylzentrum in der Hauptstadt [Skopje]. Wie viele Menschen in den Camps sind, ist schwierig zu sagen, da es oft von Tag zu Tag variiert. An manchen Tagen sind in den Grenzcamps 30 Menschen, an anderen nur zwei oder drei. Die Refugees kommen und gehen – meist auch weil sie sehen, dass das Asylsystem nicht funktioniert – oder sie realisieren, dass es kaum eine Möglichkeit gibt weiterzureisen und dann entscheiden informell zurück nach Griechenland zu gehen. Sogar aus Serbien gehen manche Refugees informell zurück nach Griechenland und durchqueren dabei Mazedonien, weil das auch in Serbien das System so schlecht funktioniert. Die Leute sehen also letztendlich in Griechenland noch eine Chance auf Relocation oder darauf, Asyl zu bekommen. Da Griechenland im Vergleich zu Serbien und Mazedonien ein EU-Staat ist, wurden diese beiden Länder ohnehin immer eher als Transitstaaten betrachtet. Doch selbst wenn Refugees in Mazedonien bleiben wollen würden, ist das mazedonische Asylsystem ein ziemlich schlimmes und langsames. Nur einer Handvoll Menschen wurde bisher temporärer, subsidärer Schutz zugestanden. Die Camps an den Grenzen sind geschlossen, das heißt die Menschen darin können nicht frei ein- und ausgehen außer in Begleitung vom Roten Kreuz. Das bedeutet, dass Refugees dadurch in diesem Land quasi unsichtbar sind. Darüber hinaus ist das einzige Asylzentrum in der Hauptstadt [Skopje] außerhalb des Zentrums gelegen und nicht gut erreichbar für z.B. NGOs oder Individuen, denen ohnehin nicht erlaubt ist, das Asylzentrum zu betreten. Refugees können das Asylzentrum zwar auch verlassen, sind allerdings meist nicht wirklich daran interessiert, an öffentlichen Debatten oder bewusstseinsschaffenden Kampagnen teilzunehmen aus Angst vor Stigmatisierung, weil sie nicht dauerhaft in Mazedonien bleiben möchten. Viele Refugees fürchten, sich öffentlich zu zeigen oder einzubringen könnte weitere Schwierigkeiten nach sich ziehen. Sprich: Sogar die Sichtbarkeit derjenigen, die entschieden haben in Mazedonien zu bleiben, ist somit kaum existent. Es gibt Kontakt zu Organisationen und sozialen Bewegungen, jedoch sind die meisten Refugees – wie gesagt – eher zurückhaltend was öffentliches Engagement betrifft – vor allem wenn es sich gegen Rassismus und Xenophobie kämpft. Es ist ein Teufelskreis. Die Lebensbedingungen im Asylzentrum bezüglich Essen, Heizung etc. sind schlecht. In den Grenzcamps sind die Umstände ein bisschen besser. Nicht was das Essen angeht, doch es gibt zumindest eine Heizung und Internet. Auf der anderen Seite wird die Bewegungsfreiheit dort komplett eingeschränkt.
2. Wie hat sich die Situation seit 2015 verändert?
Der Ausnahmezustand wurde bis zum 30.Juni 2018 verlängert. Im Jahr 2015 konnten die Menschen auf der Flucht noch durch Städte reisen, aber nachdem die EU-Grenzen 2016 [März] geschlossen hat, schloss auch Mazedonien seine Grenzen. Seither ist die Anzahl an Refugees in Mazedonien stark zurückgegangen. Das bedeutet jedoch nicht, dass generell die Migration durch Mazedonien beendet ist. Es wird mittlerweile bloß wesentlich stärker kriminalisiert, wenn Refugees durch Städte kommen. Deshalb wählen die Menschen, die jetzt durch Mazedonien kommen, eher Wege über Felder oder Berge, die gleichzeitig aber auch nicht zugänglich für Organisationen oder Solidaritätsstrukturen sind. Die Unterstützungsarbeit – insbesondere durch Mazedonier*innen – welche 2015 noch möglich war und an der viele Ortsansässige auf zumindest humanitäre Art und Weise beteiligt waren, wird zunehmend staatlich kriminalisiert. Mittlerweile wird alles kontrolliert und lediglich ausgewählte registrierte NGOs haben die Befugnis Refugee-Camps zu betreten und Unterstützung anzubieten, während informelle Solidaritätsstrukturen gar keinen Zugang mehr haben.
3. Wie ist die gesellschaftliche Stimmung sowie die Wahrnehmung und der der öffentliche Diskurs bezüglich Migration und Refugees zur Zeit? Was hat sich verändert in den letzten Jahren?
Was Migration angeht folgt Mazedonien dem globalen Trend. Im Jahr 2015, als Hilfe durch Ortsansässige und Aktivist*innen noch nicht in dem aktuellen Ausmaß kriminalisiert wurde, gab es [in Mazedonien] zahlreiche Menschen, die Refugees unterstützen wollten. Als sich der allgemeine Diskurs eine migrationsfeindliche Wendung nahm, nutzten auch rechtspopulistische Politiker*innen vor der letzten Wahl 2017 den Anti-Migrationskurs stark. Der Fokus ihrer gesamten [Wahl-]Kampagne lag schließlich darauf, eine Propaganda zu verbreiten nach dem Motto: „Tausende Refugees kommen nach Mazedonien, um sich dort niederzulassen, unsere Jobs wegzunehmen , unser Land zu islamisieren etc.“ Das folgte anderen rechtspolitischen Parteien der EU und der USA. Natürlich ist es in der Realität so, dass niemand herkommt, um sich hier niederzulassen. Doch rechte Parteien nutzten diesen Diskurs als ein verzweifeltes Angebot, um die Wahlen zu gewinnen, die sie offenkundig im Oktober 2017 verlieren würden, nachdem im Juni die sozialdemokratische Partei die Regierung übernommen hatte. Wie vorher beschrieben, ist die Sichtbarkeit von Refugees im Land extrem niedrig, was bedeutet, dass Xenophobie und anti-migrantische Ressentiments zunehmen. Die öffentliche Wahrnehmung von Geflüchteten war besser als sie 2015 noch in der Lage waren durch die Städte zu reisen und dadurch mehr Kontakt zu Ortsansässigen hatten. Heutzutage scheint Xenophobie langsam wieder stärker zu werden, obwohl das Thema Refugees kein allzu heikles Thema mehr ist.
4. Wie sind die Repressionen und Kriminalisierungen gegen Refugees, unterstützende Strukturen und selbstorganisierte Aktivist*innen? Hat sich das in den letzten Jahren verändert?
Wie schon erwähnt waren lokale Menschen und Aktivist*innen 2015 in der Lage Refugees zu helfen, die durch ihre Städte kamen. Trotz Repressionen und Kriminalisierung, die es zu dem Zeitpunkt auch schon gegeben hat, ist es jetzt viel schlimmer geworden. Die Geflüchteten, die [Mazedonien] jetzt durchqueren, tun dies so versteckt und durch wilde Gebiete, dass sie für Aktivist*innen quasi unzugänglich sind – und selbst wenn sie zugänglich wären, würde kaum jemand den Mut haben dorthin zu gehen. Man kann eigentlich nur in den Camps oder beim Asylzentrum mit Refugees in Kontakt kommen, jedoch nur ausgewählte NGOs (s.o.) haben die Erlaubnis dahin zu gehen. Es gibt keinen Raum für Selbstorganisation. Es ist als wenn das System so strukturiert wurde, dass jeglicher Versuch von Selbstorganisation im Keim erstickt wird.
5. Wie ist es in Mazedonien mit Geflüchteten oder zum Thema Migration und Antirassismus zu arbeiten?
Erklärt unter Punlt 4. Ich kann nur hinzufügen, dass es besonders hart ist ein Bewusstsein in der Gesellschaft zu schaffen, weil der beste Weg dafür ist, die Menschen selber auf öffentlichen Veranstaltungen sprechen zu lassen. Wie schon erwähnt, wird ihnen das kaum ermöglicht oder sie möchten es lieber nicht tun.
6. Wer arbeitet zu den oben genannten Themen hier?
Derzeit gibt es in den Camps NGOs – und es gibt auch welche, die nicht so schlecht sind. Außerdem gibt es in der Hauptstadt Skopje das Dunja-Kollektiv, das durch Veranstaltungen Öffentlichkeit zu den Themen schafft. Das ist jedoch ein selbstorganisiertes Kollektiv und keine NGO und hat damit keinen Zugang zu den Camps. Darin sind Aktivist*innen organisiert, die sehr aktiv in dem Bereich waren, als Geflüchtete noch erreichbar waren. In Bezug auf internationale Volonteers ist Mazedonien wie ein schwarzes Loch, wenn es um Migration geht. Sie brauchen ein Freiwilligen-Visum und waren nie wirklich (zumindest öffentlichkeitswirksam) in der Lage innerhalb des Landes zu helfen. Die Behörden sind was dieses Freiwilliges-Visum angeht sehr streng.
Quellenverweise & mehr Infos:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/mazedonien-in-der-krise-land-in-aufloesung-a-1087967.html
https://ffm-online.org/osteuropa/mazedonien/