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[18. März] Redebeitrag unserer Kampagne zum Tag der politischen Gefangenen

Liebe Freund*innen & Genoss*innen

Heute ist der 18. März. Und heute vor genau 150 Jahren, am 18. März 1871 begann die Pariser Kommune. Deswegen begehen wir heute den internationalen Tag der politischen und sozialen Gefangenen.

Heute ist aber nicht nur der Jahrestag der Pariser Kommune. Heute vor genau fünf Jahren, am 18. März 2016 verabschiedeten die Europäische Union und die Republik Türkei ein Abkommen, das als EU-Türkei-Deal bekannt wurde.

Mit diesem dreckigen Deal versuchte das Europäische Grenzregime den sogenannten Langen Sommer der Migration, in welchem zehntausende Menschen selbstbestimmt die Grenzen der Festung Europa überwunden hatten, wieder unter ihre Kontrolle zu bringen.

Leider hat auch dieser Jahrestag etwas mit dem Tag der politischen und sozialen Gefangenen zu tun – Denn Knäste sind ein fester Bestandteil des Grenzregimes und sind es seit dem EU-Türkei-Deal um so mehr geworden.

Allein im Jahr 2016 wurden in Griechenland nach offiziellen Zahlen 4.072 Asylsuchende inhaftiert und zigtausende Haftbefehle für Migrant*innen erlassen.

In den europäischen Hot-Spot-Camps auf den griechischen Inseln Lesvos, Chios, Samos, Leros und Kos befinden sich überall Knäste innerhalb der europäischen Erstaufnahme-Lager. Hier werden Menschen eingesperrt, die gerade die Überfahrt über das Aegäische Meer in einem Schlauchboot überlebt haben, viele direkt nach ihrer Ankunft.

Das heißt dann “Detention upon arrival”. In “Detention upon arrival” werden vor allem Personen inhaftiert, weil sie aus Ländern kommen, für die die Anerkennungsquote nach europäischer Statistik für ihren Asyl-Antrag als gering gilt. Eingesperrt wird also, wer die “falschen” Papiere hat oder aus dem “falschen” Land kommt. Und das ist selbst nach Dienstanweisung der griechischen Polizei der einzige Grund.

An den europäischen Außengrenzen ist Knast ein rassistisches Instrument, das die vereinfachte Abschiebung von Menschen mit bestimmten Nationalitäten erlaubt. Damit werden die Zukunftsperspektiven von Menschen abhängig von ihrer Herkunft sortiert. Die Beachtung individueller Fluchtgründe sind von diesem System nicht vorgesehen – sie werden gänzlich außer Acht gelassen.

Doch nicht nur Abschiebeknäste sind ein Mittel der europäischen Grenzpolitik. Flüchtende werden zudem auch immer wieder mit Kriminalisierungen überzogen, insbesondere, wenn sie sich politisch gegen die unhaltbaren Zustände organisieren, protestieren oder anders Widerstand leisten.

Auch die Flucht selbst wird kriminalisiert: regelmäßig werden diejenigen, die das Schlauchboot bei der Überfahrt auf die Inseln einfach nur gesteuert haben sollen, als Schmuggler*innen angeklagt und in Schnellverfahren zu absurd hohen Haftstrafen bis zu –  ungelogen – 130 Jahren verurteilt.

Wenn es dann zum Prozess kommt, gibt es fast nie einen Zugang zu richtiger juristischer Vertretung oder einer angemessenen Übersetzung.

Als Antirepressions-Kampagne You cant evict Solidarity haben wir uns 2016 gegründet, nachdem  bei der Räumung verschiedener Squats in Thessaloniki auch Geflüchtete inhaftiert wurden, und es kaum solidarische und politische Unterstützung zu erwarten gab. Aktuell unterstützen wir viele, migrantische Kämpfe gegen das EU-Grenz-Regime.

Wir wollen heute, am Tag der politischen und sozialen Gefangenen, vor allem auch auf diejenigen aufmerksam machen, deren Kämpfe gegen staatliche Repressionen, Rassismus, Gewalt und Unterdrückung in Europa und hier in Deutschland kaum sichtbar oder hörbar sind.

Menschen, die systematisch diskriminiert,  kriminalisiert, weggesperrt werden – und zwar dafür, dass sie versuchen, für ein besserers Leben oder um ihr Überleben zu kämpfen. Dafür, dass sie aus politischen, humanitären, ökonomischen oder sonstwas für Gründen in die Flucht gezwungen wurden. Dafür, dass sie durch Proteste und Widerstände ihre Würde und ihre psychische und körperliche Unversehrtheit verteidigen. Festgenommen aus rassistischen Motiven und zur Sicherung des europäischen Grenzregimes.

People on the move, die in Knäste gesperrt werden, sind dabei immer auch politische Gefangene! Flüchtende sind keine passiven Opfer, denen aus Europa paternalistisch die eine oder andere humanitäre Hilfe angeboten werden kann – oder eben auch nicht. Menschen, die Grenzen überwinden, nehmen ihr Schicksal in die eigene Hand und wehren sich damit auch gegen die Repression und Abschottung des Grenzregimes. Wenn sie dewegen kriminalisiert werden, dann ist das eine Kriminalisierung von politischen Aktionen!

Aber nicht nur  wenn Widerstand oder Protest organisiert werden – jedes Überwinden von Grenzen wirkt als Akt gegen eine politische Ordnung, die die Bewegungsfreiheit von Menschen im globalen Maßstab einschränken und kontrollieren will. Jede Kriminalisierung von Migration und von Menschen auf der Flucht ist deswegen auch politische Justiz, jede eingesperrte Flüchtende ist eine politische Gefangene!

Menschen werden in unsägliche Lebensbedingungen gezwungen, gegen die es selbstverständlich Widerstände gibt, weil sie einfach unerträglich sind. Proteste werden nieder geknüppelt, Menschen aus rassistischen Motiven und willkürlich verhaftet und ohne faire Prozesse, geschweige denn Zugang zu notwendigem legal support unter Ausschluss der Öffentlichkeit, mit haarsträubenden Haftstrafen eingeknastet.

Wie absurd und unmenschlich diese politische Justiz gegen people on the move ist und welche Ausmaße sie annimmt, zeigen unzählige Beispiele:

erst letzte Woche wurden zwei minderjährige zu fünf Jahren Knast auf Lesvos verurteilt, weil ihnen ohne jeglichen Beweis der Brand des Elends-Lagers Moria angehängt wurde und sie dafür nun als Sündenböcke herhalten sollen. Der Prozess dauerte einen Tag, fand unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit statt und der Prozesstermin wurde vorher nicht angekündigt.

Einziger Belastungszeuge war ein community-leader, bei dem einiges dafür spricht, dass er mit der Polizei dealt. Dieser ist dann zum Prozess nicht mal erschienen, stattdessen wurde einfach seine schriftliche Aussage von vor sechs Monaten gewertet. Entlastungszeug:innen, die für die Angeklagten aussagen wollten, wurden vom Gericht einfach nicht angehört.

Ein anderes, ebenfalls sehr tragisches Beispiel: als am 8. November 2020 eine Gruppe Flüchtender  versucht, mit dem Boot von der türkischen Küste auf die Insel Samos über zu setzten, kentert das Boot. Ein sechs Jahre altes Kind verliert dabei sein Leben.

Die griechische Küstenwache reagiert anscheinend erst Stunden nach dem Notruf, statt direkt und damit das Leben des Kindes zu retten. Die Polizei aber verhaftet den Vater des sechs-Jährigen, der gerade die Überfahrt überlebt und sein Kind verloren hat. Der Vorwurf lautet, dass er das Leben seines Kindes durch die Überfahrt gefährdet hat. Kriminalisiert wird der Vater -wohlgemerkt nicht die Küstenwache!  Dabei fährt die Küstenwache seit Monaten  hochriskante Mannöver bei push-backs und gefährdet dabei wissentlich und willentlich immer wieder Menschenleben.

Ende Februar diesen Jahres versucht eine schwangere Frau im Moria-Ersatz-Lager Kara Tepe auf Lesvos aus Verzweiflung Selbstmord zu begehen, nachdem sie dachte, dass ihr Ausreiseantrag nach Deutschland abgelehnt wurde. Sie zündet sich selbst in ihrem Zelt an und überlebt, weil andere das Feuer löschen. Die Reaktion von Polizei und Staatsanwaltschaft: gegen die Frau wird wegen Brandstiftung ermittelt, weil sie ihr Zelt in dem Lager angezündet hat.

Menschen werden in ein politisches Spiel geworfen, in dem sie als Sündenbock für die Ereignisse herhalten sollen, die aus der katastrophalen Migrationspolitik und aus dem Europäischen Grenzregime resultieren – mit seinen Hotspot-Lagern und dem Versagen auf ganzer Länge aller europäischen Staaten beim Schutz von Geflüchteten

All diese verschiedenen Formen der Kriminalisierung von Menschen hängen zusammen. Menschen, die Grenzen überwinden, fordern die Festung Europa und damit die staatliche Ordnung heraus. Sie tun dies ebenso wie diejeningen, die sich durch Proteste und Widerstand gegen staatliche Unterdrückung wehren. Sie sind politische Gefangene, mit denen wir uns solidarisch erklären!

Freiheit für alle politischen Gefangenen! Gerechtigkeit für alle sozialen Gefangenen! Schließt alle Knäste! Open the Borders! Migration is not a crime!

[Griechenland] Der Tod der Träume – Eine Stimme aus dem Gefängnis

Veröffentlicht am 13. Mai 2019 von Deportation Monitoring Aegean https://dm-aegean.bordermonitoring.eu/2019/05/13/the-death-of-dreams-a-voice-from-prison/

Viele Menschen, die nach Europa kommen, um Freiheit und Sicherheit zu suchen, befinden sich im Gefängnis. Während die EU-Politik Menschen gewaltsam in überfüllten und mit Stacheldraht versehenen Lagern auf den griechischen Inseln gefangen hält, setzt die griechische Polizei harte Repressionsstrategien ein, um Konflikte und Proteste aufgrund der unerträglichen Lebensbedingungen in den Lagern zu unterdrücken.

Migranten auf den griechischen Inseln befinden sich in einer Situation der Inhaftierung – unabhängig davon, ob sie eine Straftat begangen haben oder nicht, sie müssen nicht nur die ständige Unsicherheit des Lagers ertragen, sondern auch unter der ständigen Gefahr leben, verhaftet und festgehalten zu werden.

Im Folgenden geben wir den Bericht von Aftab Mohammadi (Name geändert), der im Juli 2018 im Lager Moria verhaftet wurde. Es ist eine von vielen Geschichten über eine  grausame Inhaftierungspraxis.

Nachricht eines Gefangenen aus dem Knast in Chios: Vor neun Monaten war es eine Nacht wie andere Nächte. Es gab einen Kampf im Lager zwischen einigen wenigen Leuten, der mehr als zwei Stunden dauerte. Der Kampf begann zwischen zwei Leuten und nach einer Weile wurden andere im Lager involviert. Es begann alles mit den schlechten Bedingungen, die im Lager leben müssen. Einige haben mentale Probleme, weil sie unter diesen schrecklichen Bedingungen leben und keine mentale Unterstützung haben.

Die Polizei war anwesend und sie sahen, was passiert war. Ich fühlte mich in dieser Nacht schrecklich, besonders als ich sah, dass die Kinder ihre Mütter festhielten, sie hatten große Angst und weinten. Die Polizisten lachten über die Leute. Für sie war es wie ein Online-Film. Wir baten sie um Hilfe, aber sie lachten uns nur aus, machten Fotos und nahmen uns auf.

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