Staatliche Repression gegen den Protest von Geflüchteten an den Außengrenzen der EU – Der Fall der Moria35 auf Lesbos
Die Situation in Griechenland
Während sich die Situation für Geflüchtete in Griechenland in den letzten Jahren generell größtenteils verschlechtert hat und die Lebenssituation der Menschen in Griechenland geprägt ist von der menschenverachtenden Austeritätspolitik der EU, sitzen nun nach der Militarisierung und gewaltsamen Schließung der Balkanroute 2016 zusätzlich über 60.000 Menschen in Griechenland fest. Durch die Migrationspolitik der EU, wie dem EU-Türkei-Deal, und der griechischen Syriza-Regierung kommt es zu einer zunehmenden Militarisierung und Repression gegen Geflüchtete und Aktivist*innen. Mehrfach wurde das Asylrecht verschärft, in den überfüllten, griechischen Camps fehlt es meistens an medizinischer Grundversorgung, Versorgung mit Alltäglichem wie Nahrungsmitteln, sowie sanitären Anlagen. Viele Lager bestehen aus abgelegenen, ehemaligen Industriehallen oder Zeltstädten, die in keinster Weise für den Winter ausgelegt sind. Hinzu kommt die gewaltvolle Behandlung seitens der Polizei, dem Militär und Securities. Viele Camps gleichen mittlerweile Gefängnissen. Besonders stechen die sogenannten „Hot-Spots“ auf den Inseln Chios, Lesbos und Samos heraus, die seit dem EU-Türkei-Deal für Geflüchtete zu einer Sackgasse geworden sind. So sitzen aktuell über 15000 Menschen auf den Inseln fest – allein über 6000 Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen im Camp Moria auf Lesbos, das für 1500 Personen ausgelegt ist. Teilweise sind die Menschen seit über zwei Jahren dort. Immer wieder protestieren die dort inhaftierten Menschen mit u.a. Hungerstreiks gegen die Bedingungen in diesen „offenen Gefängnissen“ und für eine Weiterreise. Diese Proteste werden durch Polizei und Militär größtenteils gewaltsam beendet, die Beteiligten monatelang inhaftiert oder abgeschoben.
Der Fall der Moria35
Den zweiten Tag in Folge hatten Protestierende am 17. Juni 2017 vor dem „Europäischen Unterstützungsbüro für Asylanfragen“ im Camp Moria auf Lesbos einen friedlichen Sitzstreik abgehalten. Sie protestierten gegen die unmenschlichen Bedingungen im Camp und forderten Bewegungsfreiheit für diejenigen, die schon mehr als 6 Monate auf der Insel festgehalten wurden. Nach diesem Protest kam es zu Zusammenstößen zwischen einigen Protestierenden und der griechischen Polizei. Einen Tag später, am Dienstag, den 18. Juli 2017, stürmte die Polizei einen Teil des Camps und verhaftete 35 Geflüchtete. Bilder und Videos zeigen, wie brutal die Polizei dabei vorging und gefesselte Menschen mit Stöcken und Stiefeln schlug. Viele der Verhafteten waren beim Protest am Tag vorher gar nicht anwesend, was darauf schließen lässt, dass die 35 Menschen aufgrund ihrer Nationalität, ihres Aussehens und des Aufenthaltsortes im Camp während des Polizeieinsatzes verhaftet wurden – 34 der 35 Verhafteten waren schwarz. Viele der Verhafteten berichteten von Polizeigewalt während der Verhaftung und im Polizeiarrest, eine Person musste ins Krankenhaus, andere benötigten medizinische Versorgung.
Bei den Anhörungen am 21. und 22. Juli wurden gegen 31 der 35 Verhafteten Vorwürfe von Brandstiftung, versuchte Körperverletzung, Widerstand, gewalttätige Auseinandersetzung, Beschädigung privaten Eigentums und Störung der öffentlichen Ordnung erhoben. Aufgrund dieser Vorwürfe drohen den Angeklagten nun hohe Haftstrafen und der Ausschluss vom Recht auf internationalen Schutz. Dreißig der Angeklagten wurden trotz ernsthafter körperlicher und psychischer Probleme in Untersuchungshaft genommen und in Gefängnisse in Athen und auf Chios gebracht.
Der aktuelle Stand
In den darauffolgenden Monaten wurden im Lager Moria weitere zwei Personen festgenommen, gegen welche die gleichen Vorwürfe erhoben werden. Ihr Verfahren soll mit dem der anderen 35 Angeklagten zusammengelegt werden. Am 13. Dezember 2017 wurde die Untersuchungshaft der Angeklagten um weitere 6 Monate verlängert. Sieben Angeklagte wurden unter Auflagen freigelassen, sie dürfen Lesbos aufgrund der Anklage allerdings nicht verlassen. Da ihr Asylantrag endgültig abgelehnt wurde, haben sie kaum Zugang zu medizinischer und humanitärer Versorgung. Der erste Prozesstermin wurde nun auf den 20. April 2018 festgesetzt. Das Legal Center Lesbos hat eine Crowdfunding-Kampagne zur finanziellen und anwaltlichen Unterstützung der Angeklagten gestartet und ruft mit anderen Gruppen u.a der No Border Kitchen Lesbos zur Solidarität auf.
Zur Kampagne: Die „You can`t evict Solidarity“-Kampagne besteht aus unterschiedlichsten Menschen aus Griechenland und Deutschland und organisiert finanzielle Unterstützung und Öffentlichkeitsarbeit zu Prozessen und Repression aus antirassistischen Kämpfen entlang der Balkanroute.
An diesem Sonntag, den 4. März 2018 wurde von 11.00 bis 12.00 Uhr im Stadtradio Göttingen der Beitrag “Still in Solidarity – Antirepressionsarbeit auf der Balkanroute” gesendet.
In der Sendung berichten drei Aktivist*innen der “You can`t evict Solidarity”-Kampagne von der aktuellen Situation für Geflüchtete sowie Unterstützungsstrukturen in Ungarn, Serbien und Griechenland.
Es gibt ein Interview mit einer ungarischen Aktivistin, die vom Gerichtsprozess gegen Ahmed H. der Röszke11 in Szeged (Ungarn) erzählt sowie Informationen zum Fall der Moria35 und der Repression auf Lesbos (Griechenland). Dazu gibts Musik (HipHop) aus Serbien, Griechenland und mehr.
Viel Spaß damit!
Die Sendung gibts hier oder nochmal kommenden Sonntag (11. März 2018) von 11.00 bis 12.00 Uhr auf 107,1 oder als Livestream auf www.stadtradio-goettingen.de.
Für mehr Infos checkt:
www.stadtradio-goettingen.de/programm
Genoss*innen der FreetheRöszke11-Solidaritäts-Kampagne aus Ljubljana haben folgendes Video zu den letzten Prozessterminen gegen Ahmed in Szeged produziert. Ihr findet das Video auf Komunal.org.
Interview mit einer Aktivistin der FreeTheRöszke11-Solidaritätskampagne in Ungarn.
Der folgende Text ist ein Interview mit einer Aktivistin der FreeTheRöszke11-Solidaritätskampagne aus Ungarn, das von der „You can`t evict Solidarity“-Kampagne geführt wurde. Diese gibt finanzielle Unterstützung und macht Öffentlichkeitsarbeit zu Prozessen und Repression aus antirassistischen Kämpfen entlang der Balkanroute. Der folgende Text ist eine auf deutsch eingesprochene Uebersetzung.
B – Hallo. Erzähl uns bitte etwas über den Prozess gegen Ahmed H., der gerade in Szeged stattfindet. Worum geht es in den Röszke11-Prozessen und wer ist Ahmed H.?
K – Im Prozess geht es um elf Personen, die im September 2015 verhaftet wurden, nachdem es einen Protest am Röszke-Horgos Grenzübergang gegeben hatte. Es war die Zeit, als der Zaun [zwischen der ungarischen und serbischen Grenze] fertiggestellt wurde und sie [die ungarische Regierung] die Grenze schloss. Tausende Menschen strandeten auf der anderen Seite und sie begannen zu protestieren. Am zweiten Tag des Protests gab es Zusammenstöße mit der Polizei, bei dem von der einen Seite Steine geworfen wurden und die Polizei Tränengas und Wasserwerfer einsetzte. Danach beruhigte sich die Situation. Sie tricksten die Menschen aus und entfernten den Kordon [die Barrikade] vor dem Tor des Zaunes und die Menschen betraten Ungarn. Sie waren sehr glücklich, feierten, riefen „Danke, Ungarn!“ und sie dachten, dass es ihnen jetzt erlaubt worden war zu passieren. Aber Anti-Terror-Einheiten der Polizei griffen sie an und schlugen sie zusammen und verhafteten 11 Menschen. Vor Ort verhafteten sie zehn Menschen, ihre Prozesse fanden schon statt. Sie wurden zu zwölf bis vierzehn Monaten Gefängnis und Ausweisung aus Ungarn verurteilt. Sie pickten sich eine Person, Ahmed H., heraus und klagten ihn des “Terrorismus” an und auch, wie die anderen, des “illegalen Grenzübertritts während einer massenhaften Ausschreitung”. Er wurde erst einige Tage später an einem Bahnhof verhaftet.
B – Vielleicht kannst Du etwas über Ahmed selbst erzählen?
K – Er kommt ursprünglich aus Syrien, aber er lebt auf Zypern, seine Frau und zwei Kindern leben auf Zypern und er hat auch zypriotische Papiere mit denen er in Europa reisen kann. Er war auf der Balkanroute, weil er seiner Familie geholfen hat aus dem Krieg und den Bomben in Syrien zu fliehen. Seine Eltern sind alt und krank, sie brauchten seine Hilfe. Er spricht auch Englisch und so konnte er ihnen auf dem Weg helfen und gelangte schließlich vor diesen Zaun in Ungarn. Es ist auch merkwürdig, dass einer der Anklagepunkte das „illegale Überqueren einer Grenze“ ist, denn er hat ja europäische Papiere. Er ist eigentlich nur ein Mensch, der seiner Familie auf dem Weg helfen wollte.
B – Du hast auch die Prozesse gegen Ahmed in Szeged besucht – was hast du dort erlebt?
K – Es ist schon das zweite Mal, dass sie den Prozess in der ersten Instanz des Gerichts verhandeln, also läuft der Prozess schon seit mehr als zwei Jahren. Damals war die Verhandlung in erster Instanz um einiges härter, sie haben ihn wirklich wie einen Terroristen behandelt. Er wurde in Ketten und Handschellen vorgeführt und viele Sicherheitsleute und Polizist_innen waren anwesend. Sie haben die Straße zum Gericht blockiert, aber das hat sich jetzt ein wenig verändert. Auch der Richter scheint fairer als vorher. Die Richterin, die Ahmed vorher hatte, war sehr eng mit der Fidesz-Regierung verbandelt. Nachdem sie das Urteil von zehn Jahren Haft ausgesprochen hat, wurde sie gewählt und – wie sagt man das – sie hat danach eine Beförderung bekommen.
Jetzt wirken die Verfahren anders, aber es ist immer noch so, dass ein Mensch wegen Terrorismus angeklagt wird, der an Protesten teilgenommen hat und sie nutzen Ahmed um die Regierungspropaganda zu rechtfertigen. Es ist verrückt und es ist ein Schauprozess, vor allem am Anfang des Verfahrens in der ersten Instanz durften nur Polizist_innen aussagen.
Sie haben falsche Übersetzungen in dem Prozess gemacht und auch jetzt ist es so, dass sie nur die Beweise benutzen dürfen, die auch in der ersten Verhandlung benutzt wurden. Es werden also keine neuen Beweise angeführt, obwohl viele Volunteers [[freiwillige Unterstützer_innen] und andere Medien dort an der Grenze waren, die eine andere Aussage machen würden, weil sie eine andere Meinung haben. Sie könnten auch anderes Videomaterial bereit stellen, aber es ist nicht erlaubt dieses zu zeigen. Im Endeffekt wird der Prozess also sehr ähnlich fortgesetzt, wie er vorher auch war.
B – Wie wird das Verfahren und Ahmed H. von der ungarischen Regierung und den Medien dargestellt?
K – Die ungarische Regierung hat einige Internetplattformen ins Leben gerufen, zum Beispiel eine Wikipedia-Seite, „Die Schlacht von Röszke“, wo aggressive Menschen beschrieben werden, die in Ungarn einfallen wollen und die ungarische Polizei attackieren. Und vor ein paar Tagen haben sie eine neue Facebook-Seite gestartet, ihr Titel ist „Ahmed H ist ein Terrorist“. Sie wurde von der Regierung gemacht, der ein großer Teil der Medien in Ungarn gehört. Es ist ein Monopol in Händen der Regierung und sie schreiben einfach überall, dass er ein Terrorist ist – man kann sehen, dass die Propaganda gegen ihn sehr stark ist.
B – Wie wird Ahmeds Fall in der Öffentlichkeit in Ungarn wahrgenommen?
K – Die meisten Leuten wissen einfach nur „Oh, das ist der Typ, der Steine auf die Polizei geworfen hat.“ Das ist alles an Informationen, was sie haben und es gibt auch keine anderen Medien, in denen sie eine andere Darstellung lesen könnten. Sie hören einfach nur die Propagandaversion, also glauben sie die.
B – Du hast Ahmed auch im Gefängnis besucht. Wie ist seine Situation, wie würdest du die beschreiben?
K – Ich persönlich habe ihn nicht besucht. Bisher wird es keiner ungarischen Person erlaubt ihn zu besuchen. Nach mehr als zwei Jahren, also im Dezember 2017, wurde es ein paar Leuten aus Österreich erlaubt, ihn zu besuchen, während die Anfragen von ungarischen Menschen weiterhin zurückgewiesen wurden. Was er berichtet, ist, dass er keinerlei Kontakt zu anderen Leuten hat. Er darf mittlerweile einmal die Woche für eine Stunde in den Hof. Dafür hat er sehr kämpfen müssen, dennoch werden während dieser Zeit alle anderen Gefängnisinsassen weggesperrt. Auch wenn er etwas im Laden kaufen möchte, werden alle anderen Leute weggesperrt, er ist also vollkommen allein. Vorher konnte er überhaupt keine Besucher_innen bekommen. Und er berichtet von starken Schmerzen im Rücken, die er aufgrund dieser Bedingungen hat.
Er vermisst seine Familie sehr, darunter leidet er stark. Aber ansonsten sagt er, dass ihn die Wärter im Gefängnis besser behandeln, nachdem die zweite Instanz das Urteil der ersten Instanz, also die zehn Jahre Strafe für Terrorismus, gekippt hat. Weil die Beweise nicht ordnungsgemäß aufgenommen wurden, wurde ja angeordnet, dass das Verfahren wiederholt werden muss. Es wirkt so als ob sie auch glauben, dass er unschuldig ist und sie behandeln ihn nicht mehr wie einen Terroristen. Und er teilt seine Zelle jetzt mit einem Menschen, der auch Arabisch spricht – also es ist jetzt besser als vorher.
B – Wie würdest du generell die Situation für Migrant_innen und Flüchtende in Ungarn beschreiben und wie hat sich die öffentliche Wahrnehmung von Migration in den letzten Jahren, seit 2015 verändert?
K – Es ist jetzt so, dass alle [Geflüchteten] in Strafzentren in Containern in den Transitzonen bzw. Transitlagern an der serbisch-ungarischen Grenze eingesperrt werden. Es gibt dort zwei Transitlager.
Es befinden sich dort ungefähr 500 Menschen, Familien, Kinder – jede_r in Ungarn. Alle von den Flüchtenden, die über 14 Jahre alt sind, werden als Erwachsene bezeichnet. Und sie behandeln alle Menschen die Asyl beantragen werden wie Kriminelle. Sie sind umgeben von Stacheldraht, Zäunen, überall ist Polizei und Militär, und selbst, wenn sie nur zum Arzt gehen wollen, werden sie dort in Handschellen hingebracht.
Es sind überall Kameras und willkürliche Kontrollen durch die Polizei mitten in der Nacht und sie müssen dort für viele Monate bleiben und auf das Ergebnis ihres Asylantrages warten. Dieses Ergebnis ist normalerweise negativ, weil sie sagen, dass Serbien ein sicheres Land ist und dann werden sie einfach zurück nach Serbien gebracht. So ist die jetzige Situation für Asylsuchende.
B – Und wie würdest du beschreiben, wie ungarische Leute Flüchtende, Migrant_innen und Migration sehen?
K – 2015 gab es Tausende Menschen, die ihre Solidarität gezeigt haben und die helfen wollten, Essen und Kleidung gegeben haben, die geholfen haben, wo auch immer sie konnten. Das hat sich verändert, diese Leute sind jetzt sehr still geworden. Ich glaube, das liegt an der Propaganda, überall hört man, dass Geflüchtete gefährlich wären, dass sie unsere Frauen und Kinder vergewaltigen würden und, dass sie Kriminelle und Terrorist_innen wären und so weiter. Und sie haben das einfach so oft gehört, dass manche das jetzt einfach glauben. Und auch wenn du versuchst etwas für Geflüchtete zu tun, musst du dich der Repression durch die Regierung stellen. Außerdem gibt es auch nicht viel, was man für die Menschen tun kann – sie sind weggesperrt, es ist nicht möglich in die Transitzonen zu gehen, den Medien wird es nicht erlaubt, den Leuten wird es nicht erlaubt. Es ist nicht möglich überhaupt in die Nähe der Zäune zu kommen. Sie schicken die Leute weg, jeden der es versucht in Kontakt mit den Menschen zu kommen. Vieles hat sich verändert, und jetzt folgt die große Stille.
B – Wie ist die Situation im Zusammenhang mit Repression, Kriminalisierung von Migrant_innen und anderen Aktivist_innen und Protesten in Ungarn?
K – Generell werden Migrant_innen kriminalisiert, es gibt also zum Beispiel den Prozess gegen die Röszke11, wo gegen Geflüchtete verhandelt wird. Auch die Behandlung in den Transitzonen und wenn es Prozesse gibt und ja, wenn du ein_e Migrant_in bist – sie behandeln dich von Anfang an wie eine_n Kriminelle_n.
Die Repression gegen solidarische Strukturen und Nichtregierungsorganisationen, die mit Flüchtenden arbeiten, ist auch sehr groß. Zum Beispiel sagt der Sicherheitspolitikexperte im Fernsehen, dass jeder der Migrant_innen hilft, ein Landesverräter ist, dass sie Kriegsverbrecher sind, dass sie Menschenschmuggler sind und dass sie ohne jedes Verfahren ermordet werden sollten – und das war im Fernsehen. Auch Politiker der Fidesz-Regierung sagen das im Fernsehen und das spüren wir. Nachdem Ahmed dieses Urteil über zehn Jahre bekommen hat, haben wir dagegen protestiert und danach mussten wir selber vor Gericht und sie haben Prozesse gegen uns geführt. Auch dieses Mal, während der Prozesstage im Januar, haben wir Flugblätter gemacht und verteilt und sehr schnell kamen Polizeiautos, Grenzjäger und Zivilpolizei, mit Waffen und sie haben uns durchsucht. Sie behandeln dich wie Kriminelle, wenn du deine Solidarität zeigst.
B – Also wie würdest du generell die Situation für Aktivist*Innen und die Arbeit von Unterstützungsstrukturen für Flüchtende in Ungarn beschreiben?
K – Sehr hart, die Propaganda ist sehr stark. Sie sagen, dass alle, die versuchen mit Flüchtenden zusammenzuarbeiten, von Gyoergy Soros bezahlt werden. Von der Regierung wird eine Theorie verbreitet, dass Gyoergy Soros jedes Jahr, eine Million Menschen von Afrika nach Europa bringen wolle um ganz Europa zu verändern, und, dass das sein teuflischer Plan sei. Und natürlich werde jede_r, der_die mit Flüchtenden arbeiten möchte, von ihm bezahlt und diese Leute seien gefährliche ausländische Agenten.
B – So ein wenig wie eine Verschwörungstheorie?
K – Ja, aber die meisten der Gruppen, die humanitäre Hilfe geben wollten, vermeiden eine politische Involvierung, sie haben zu viel Angst davor.
B – Was macht ihr als Solidaritäts-Kampagne „FreeTheRoeszke11“, wer seid ihr und wie können Menschen euch unterstützen?
K – Wir gehen zu den Prozessen, wir überwachen sie, wir machen die Kampagne, versuchen die ungarischen Menschen zu erreichen, ihnen zu erzählen, was da vor sich geht, ihnen einen anderen Blickwinkel als die falsche Propaganda der Regierung zu geben. Auch in anderen europäischen Ländern und dem europäischen Parlament haben wir erreicht, dass ein paar Leute darüber reden, Druck aufbauen oder zumindest versuchen den Druck der Regierung und des Gerichts ein wenig zu mindern. Auch mit der rechtlichen Verteidigung versuchen wir zu helfen, wir sammeln Spenden für die Anwaltskosten, besuchen Ahmed im Gefängnis. Wir helfen auch mit allem, was ansonsten gebraucht wird, was die Menschen von den Röszke11 uns sagen, was sie brauchen können.
Was wir natürlich brauchen um weiterzumachen sind Spenden. Und Ahmed ist sehr glücklich, wenn er Briefe bekommt und die Unterstützung spüren kann, das gibt ihm viel Kraft weiterzukämpfen. Es hilft auch sehr, wenn Leute Solidaritäts-Veranstaltungen organisieren, auch in Verbindung mit Fällen aus ihrer Gemeinschaft oder ihrem Land, um das miteinander in Verbindung zu bringen. Denn sehr ähnliche Fälle finden überall in Europa statt. Auch Briefe an die ungarische Botschaft zu schreiben wäre eine Möglichkeit der Unterstützung.
B – Vielen Dank!
K – Danke dir!
Schreibt Briefe an Ahmed:
Verein zur Förderung feministischer Projekte
Kleeblattgasse 7
1010 Vienna
Austria
Spendet für die Solidaritäts-Kampagne:
Empfänger: Rote Hilfe e.V. Ortsgruppe Frankfurt
IBAN: DE24 4306 0967 4007 2383 90
BIC: GENODEM1GLS
Betreff: Röszke 11
Mehr Infos:
www.cantevictsolidarity.noblogs.org
www.freetheroszke11.weebly.com
www.helsinki.hu/en
Genoss*innen haben einen Bericht mit uns geteilt. Für mehr Infos kontaktiert mf@bordermonitoring.eu.
Local District Prosecutor’s Office indicts 21 asylum seekers for a riot at Harmanli’s refugee camp
A Local District Prosecutor’s Office decided to indict 21 asylum seekers
for “hooliganism with boldness and cynicism concerning the riot which happened in December 2016 in Harmanli’s refugee camp. The riot broke out after authorities closed Bulgaria’s
biggest refugee camp, because of a quarantine issue
<http://bulgaria.bordermonitoring.eu/2016/11/22/harmanlis-refugee-camp-under-quarantine/>.
Before the closing of the camp neo-nazi and right wing protesters
gathered on a regular basis in front of the camp to demonstrate against
foreigners. The authorities obeyed the orders from the xenophobic and
racist groups and parties and closed the camp for several days.
After the riot broke out on the 24th of November 2017, the camp was
stormed in the following night by a special unit of the gendarmerie.
According to several civil rights organizations, volunteers and refugees
many people in the camp were attacked and heavily injured without being
involved in the riot
<http://bulgaria.bordermonitoring.eu/2016/11/24/the-provoked-riot-in-harmanlis-refugee-camp/>.
Krassimir Kanev, the head of the Bulgarian Helsinki Committee (BHC), who
was beaten up himself by unknown people during the middle of the night
in October 2016 stated:
Lots of completely innocent refugees were chased in their rooms,
attacked and severely beaten up by the police in the course of that
operation. Nor is there any prosecution of those who closed the
Harmanli center on the instigation of nationalists, turning it into
a prison for several days, which provoked the riot. Instead, we are
going to have several rioters prosecuted for destruction of property
and hooliganism.
Bordermonitoring Bulgaria (BMB) shares the concerns which were raised by
the BHC and the CLA. The aim of the prosecution cannot justify the
possible unlawful acts of the police, the State Agency for Refugees
(SAR) and the the Health Inspectorate, which should be investigated by
an independent agency.
Einige Menschen sind schon seit 20 Monaten auf den Inseln gefangen und
den winterlichen Wetterbedingungen in Lagern hinter Stacheldraht in
notdürftigen Zelten und Containern ausgesetzt.
Seit dem EU-Türkei-Deal wird ein Großteil der Schutzsuchenden in
Verfahren abgelehnt, denen es nach Einschätzung des „Europäischen
Zentrums für Verfassungs- und Menschenrechte“ an „grundlegenden
Standards der Fairness“ mangelt. Zudem sind Geflüchtete, die sich
politisch gegen die Zustände vor Ort engagieren, in vielen Fällen
extremer Polizeigewalt ausgesetzt.
Darum im Folgenden zwei Anliegen zur Unterstützung von Menschen gegen
Polizeiwillkür und unfaire Asylverfahren:
- Widerstand gegen einen politischen Schauprozess –
Kampf gegen willkürliche Verurteilungen von Asylsuchenden
Am 17. Juli 2017 starteten Asylsuchende auf Lesbos friedliche
Demonstrationen und einen Sitzstreik vor dem „Europäischen
Unterstützungsbüro für Asylanfragen“ im Lager Moria. Sie forderten, dass
alle Menschen, die länger als sechs Monate im Lager festgehalten wurden,
auf das griechische Festland weiterziehen können.
Die Polizei schlug die Proteste brutal nieder, zahlreiche Menschen
mussten mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht werden,
andere wurden auf der Basis von racial profiling festgenommen und
schließlich wieder freigelassen.
Doch 35 Personen wurden vor Gericht gestellt, obwohl einige von ihnen
nicht einmal an den friedlichen Demonstrationen beteiligt waren. Seit
Juli sind sie inhaftiert und erwarten nun ihre Strafprozesse. Eine
Verurteilung kann zum Abbruch ihres Asylverfahrens und zu jahrelangen
Gefängnisstrafen führen.
MitarbeiterInnen des Legal Centres Lesbos, die als Freiwillige unbezahlt
auf Lesbos arbeiten, haben ihre Fälle nachverfolgt und verhindern, dass
die Betroffenen verteidigungslos verurteilt und abgeschoben werden.
Dafür brauchen sie dringend Unterstützung und sammeln in einem
Crowdfunding Geld:
http://www.legalcentrelesbos.org/2017/12/13/crowdfunding-help-us-defend-35-refugees-denied-of-their-human-rights/
Zu weiteren Hintergründen hier ein sehr gutes Video von Matthew Cassel:
https://theintercept.com/2017/08/09/asylum-seekers-face-police-violence-lesbos-greece-moria-camp/
Und Berichte vom Legal Centre, Amnesty International und der No Border
Kitchen:
http://www.legalcentrelesbos.org/2017/07/30/free-the-moria-35/https://noborderkitchenlesvos.noblogs.org/post/2017/07/30/749/https://www.amnesty.org/en/documents/eur25/6845/2017/en/
Im Jahr 2016 wurde Ahmed in erster Instanz wegen der Proteste gegen die Grenzschließungen am serbisch-ungarischen Grenzübergang Röszke im September 2015 wegen “Terrorismus” zu 10 Jahren Haft verurteilt. Seit dem 8. Januar 2018 wird der Fall von Ahmed H. im Amtsgericht Szeged (Ungarn) in der Revisionsrunde wieder aufgenommen.
Grenzschließung in Röszke. Widerstand. Repression.
Am 15.September 2015 riegelte die ungarische Regierung den zu der Zeit hoch frequentierten serbisch-ungarischen Grenzübergang Röszke auf der Balkanroute mit einem Stacheldraht bewehrten Zaun und massiver Polizeipräsenz ab. Am Folgetag, dem 16.September 2015, kam es zu einem Protest der vielen Menschen, die ihren Weg Richtung Norden fortsetzen wollten und nun festsaßen.
Im Rahmen dieses kollektiven Widerstandes gegen die Abschottung durch den von Ungarn errichteten und von der EU-Politik unterstützten Grenzzaun, wurden elf Personen von der ungarischen Polizei festgenommen und mit dem Vorwurf des „illegalen Grenzübertritts“ und „Vandalismus“ inhaftiert. Zehn dieser als „Röszke 11“ bekannten Angeklagten wurden bereits 2016 zu ein bis drei Jahren Haft verurteilt und sind nun wieder frei. Lediglich Ahmed H., der seine Eltern über die Balkanroute begleiten wollte, jedoch selber bereits seit mehreren Jahren in Zypern lebt, sitzt seit nun mehr als zweieinhalb Jahren im Hochsicherheitstrakt eines Budapester Gefängnisses. Er muss sich gegen den Vorwurf des Terrorismus rechtfertigen – allein und weit entfernt von seiner Frau und seinen Kindern. Die rechte Fidesz-Regierung Ungarns, mit Orban als Staatsoberhaupt, nutzt den Prozess gegen Ahmed H., um ihre ausschweifende rassistische Propaganda gegen Geflüchtete im Land zu untermauern. Als Schauprozess mit nationaler Medienwirksamkeit wird an Ahmed H. ein Exempel statuiert und er selber zum „Prototypen“ eines vermeintlich „gefährlichen muslimischen Flüchtlings“ stilisiert, der eine Terrorgefahr für den ungarischen Staat darstellt.
Wie stark politisch der Prozess aufgeladen ist, zeigte sich allein dadurch, dass die Unterstützer*innen von Ahmed monatelang nach einem Anwalt suchen mussten, der ihn verteidigen konnte. Nahezu unmöglich ein*e Anwält*in zu finden, die den Mut aufbringen konnte, eine Person zu verteidigen, die wegen Terrorismus angeklagt wird. Dazu noch im Kontext von Migration – in einem Staat, der seinen Bekanntheitsgrad in den letzten Jahren vor allem durch Diskriminierung Geflüchteter, diversen Strategien der Abschreckungs- und Abschottungspolitik sowie offenkundiger rassistischer Hetze bis hin zu staatlich ausgebildeten und bewaffneten „Border Hunters“ erlangt hat. Der öffentliche Druck ist immens, sodass selbst das internationale Helsiki Committee ablehnte, Anwält*innen für Ahmed zu stellen. Schließlich wurde ein Anwalt gefunden, der unglaubliche 20 000€ verlangt und Ahmed im Prozess eher mäßig als gut unterstützt. Im Folgenden werden einige Erlebnisse von den Prozesstagen geschildert.
Erster Prozesstag: 08. Januar 2018
Am ersten Prozesstag waren viele internationale Unterstützer*innen und Presse vor Ort, vor allem ungarische Staatsmedien. Ohne Registrierung war es schwer in den Gerichtssaal zu kommen. In Fußfesseln wurde Ahmed H. um kurz nach 9:00 Uhr morgens am Montag von zwei vollvermummten Polizisten in den Gerichtssaal geführt. Um das rechte Handgelenk trug er eine Handschelle mit befestigter Leine, an der einer der Beamten ihn permanent festhielt. Jegliche Interaktionsversuche zwischen Ahmed und seinen Unterstützer*innen wird von den Polizist*innen vor und nach dem Prozess unterbunden – und sei es nur der Austausch eines Lächelns. Bei solchen Versuchen wurde Ahmed sofort von den Polizisten außer Sichtweite gezogen. Der Richter fokussierte die Aussagen von Ahmed H. und befragte ihn zur Situation an der Grenze; wo die Grenze angefangen habe, was er gemacht oder zur Polizei gesagt habe, ob er Steine geworfen habe, was nicht bewiesen werden konnte. Aus Ahmeds Perspektive wurde klar, dass die Situation sehr unübersichtlich war und die Ansagen der Polizei schwer zu verstehen waren. Er betont, die Polizei nicht bedroht, sondern im Gegenteil als Kommunikationsperson fungiert zu haben. Ahmed H. habe die Polizei gebeten, die Menge wegen der vielen Kinder und kranken Menschen passieren zu lassen. Anschließend wurden Aussagen von Polizist*innen vorgelesen, die am 16. September 2015 am serbisch-ungarischen Grenzübergang Röszke eingesetzt waren. Diese waren in großen Teilen widersprüchlich. Viele hatten Ahmed nicht gesehen bzw. konnten zu den Vorwürfen gegen ihn keine Aussagen machen.
An diesem ersten Prozesstag stellte die Regierung eine Homepage online, auf der stand „Ahmed H. ist ein Terrorist“.
Zweiter Prozesstag: 10. Januar 2018
Auch am zweiten Prozesstag hatten sich im Gerichtssaal etwa 25 internationale Unterstützer*innen eingefunden – viele davon Mitglieder der „Free the Röszke 11- Kampagne“ sowie Amnesty International zur kritischen und solidarischen Prozessbegleitung und –beobachtung. Im Zentrum des zweiten Prozesstages, der mit Pausen über sechs Stunden andauerte, standen Analysen eines vierstündigen Videos vom 16. Septembers 2015 am serbisch-ungarischen Grenzübergang Röszke. Der Richter ging das Video akribisch durch, zeigte Szenen in Slow-Motion, gezoomt oder angehalten. Gestoppt wurde das Video allerdings vor dem polizeilichen Angriff auf die Protestierenden, die sich in der weiteren Chronologie des Tages abspielten. Der Richter führte während des gesamten Prozesstages durch das Beweismaterial, was eigentlich Aufgabe der Staatsanwaltschaft gewesen wäre. Die offensichtliche Motivation des Richters und Staatsanwaltes war Ahmed als Rädelsführer des Protests und alleiniger Urheber der Auseinandersetzungen zu identifizieren bzw. bei ihm vermeintliche Anzeichen und Verhaltensweisen zu erkennen, die auf „Terrorismus“ hindeuten sollten. Durch immensen Druck und endlosem Nachhaken versuchten sie ihn dazu zu bringen sich auf dem Video als Person, die Steine werfen soll zu identifizieren.
Am Vortag der Videoaufnahmen – am 15. September 2015 – war der Grenzübergang Röszke durch einen Zaun von ungarischer Seite geschlossen worden, sodass tausende Menschen auf der Flucht auf der serbischen Seite stecken blieben und ihren Weg nicht fortsetzen konnten. Auf den tonlosen Videoaufnahmen konnte man sehen, wie sich gegen Mittag des 16. Septembers zuerst verhalten und dann immer stärker Protest auf serbischer Seite formierte. Auf ungarischer Seite – hinter dem neuen Grenzzaun – stand eine lose Polizeikette, die sich verdichtete, als die Protestierenden gegen das Tor im Zaun drückten und Transparente hoch hielten. Die Polizist*innen setzen ihre Helme auf. Ein Übersetzer vermittelte zwischen Polizei und Protest, im Laufe des Protestes wurden Wasserwerfer und Räumpanzer an das Grenz-Tor gefahren.
Der Richter und der Staatsanwalt interpretierten Handzeichen der Protestierenden (nicht Ahmed) in dem Sinne, dass Menschen, die mit ihren Fingern ein „V“ zeigten oder eine offene Hand, also eine „5“, dass diese Handzeichen ein Aufruf bzw. ein Countdown an die Menschenansammlung bzw. Polizei bedeuten sollten, wie viele Minuten es noch seien bis die Grenze „gestürmt“ werden sollte. Anzumerken ist hier, dass das Fehlen des Tons bei den Videoaufnahmen keinerlei ganzheitliche Abbildung der Situation darstellt und außerdem Menschen – unabhängig von Nationalität und weltweit – Handgesten zur Kommunikation verwenden.
Lange Zeit war Ahmed H. auf den Videoaufnahmen nicht zu sehen. Als er zu sehen war, verhielt er sich eher unauffällig. Dennoch stoppte der Richter das Video immer wieder, um Ahmed an der „Leine“ nach vorn führen zu lassen und ihm heran gezoomte Aufnahmen lange zu zeigen, bis er selber nicht mehr sicher sagen konnte, ob er auf dem Bild zu sehen sei oder nicht. In den Szenen, in denen Ahmed zu erkennen war, machte er beruhigende Gesten zur Menschenmenge und zur Polizei. Szenen, in denen er angeblich Steine werfen sollte, waren verwischt von Tränengas und Wasserwerfer und sehr unscharf.
Später am Nachmittag des 16. Septembers hatten es die Protestierenden geschafft gemeinsam und friedlich das Tor des Zauns zu öffnen, woraufhin sich schwer gepanzerte Polizei mit Helmen und Schilden positionierte, massiv Tränengas in die Menschenmenge sprühte und Wasserwerfer einsetzte. Nun standen sich Polizei und Protestierende Auge in Auge gegenüber.
Als später in den Videoaufnahmen ein Mikrofon erschien, das von verschiedenen Menschen in der Menge umher gereicht wurde, versuchte der Richter erneut zu identifizieren, ob Ahmed H. in das Mikrofon spricht. Der Fakt, dass Ahmed durch das Mikrofon versucht hat, die Menschenmenge zu beruhigen und Panik zu verhindern, wie er es selber im Prozess sagte, fiel wenig ins Gewicht – im Gegenteil schien das tonlose Video für den Richter und den Ankläger eines der vielen isolierten Einzelteile zu sein, die als Beweise für Terrorismus verpackt werden können.
Der Prozesstag war lang und anstrengend. Ahmed H. sitzt seit mehr als zweieinhalb Jahren in Isolationshaft in Budapest und wirkte erschöpft. Nach vier Stunden Videoanalyse und Befragungen fragte Ahmed: „What kind of terrorist am I, who is doing nothing for hours?“ – während Richter und Ankläger unaufhörlich versuchten aus einzelnen Momentaufnahmen, Verhaltensweisen oder Aussagen zusammenbasteln, bis daraus das Bild eines Terroristen gezeichnet werden kann.
Soliaktion: Flashmob in Szeged
Am Donnerstag, den 11. Januar 2018, gab es einen spontanen Flashmob in Szeged in Solidarität mit Ahmed. Die internationalen Unterstützer*innen machten mit Flyern, Transparenten und Redebeiträgen in Ungarisch auf die Situation von Ahmed und den Prozess aufmerksam. Nach wenigen Minuten wurden sie von einem massiven Polizeiaufgebot u.a. Zivilpolizist*innen mit Nazi-Klamotten eingekreist und mehrere Stunden festgehalten. Nach einer Personalienfeststellung und dem Einzug aller Flyer und Transparente sowie der Lautsprecherbox, wurden sie schließlich freigelassen, mit der Ansage, dass nach dem/der „Anführer*in“ des Protestes gesucht werde. Dieser Vorfall war nicht der erste dieser Art und zeigt einmal mehr, dass auch die bloße Unterstützung von Ahmed und der Widerstand gegen die Politik der ungarischen Regierung massiv kriminalisiert werden. Am gleichen Abend fand eine Infoveranstaltung von Menschen der FreetheRöszke11-Kampagne in einem Szegeder Café für lokale und internationale Interessierte statt.
Dritter Prozesstag: 12. Januar 2018
Am dritten Prozesstag patroullierten bereits morgens Polizisten vor dem Gerichtsgebäude, die Unterstützer*innen wurden im Gebäude von Zivilpolizist*innen kontrolliert und während dem Prozess im Gerichtssaal abgefilmt. Die Atmosphäre war angespannt. Nachdem Ahmed H. hereingebracht worden war, zeigte der Richter verschiedene kürzere Videos. Auf diesen war Ahmed zu hören, wie er – nachdem die Polizei sich aus der Offensive zurückgezogen hatte – zu den Menschen sagt „Lets clean this space“ und zur Polizei „Thank you“ sagte, ein verletztes Mädchen auf die ungarische Seite trägt und Familien half. Der Richter skizziert es als „auffällig“, dass Ahmed in einer weiteren Videosequenz zu erkennen ist, wie er sich auf den Boden bückt – „I was cleaning“, antwortet Ahmed daraufhin, was er zuvor durch das Megafon gesagt hatte. Auch hier brach das Video ab bevor zu sehen war, wie brutal die Polizei auf die Menschen losstürmte, einprügelte und sie wegschleifte, die nach dem Rückzug der Polizei die ungarische Seite der Grenze betreten hatten.
Grundsätzlich waren in allen Videosequenzen, in denen Ahmed zu sehen war, vor allem seine Bemühungen zu erkennen: einen Dolmetscher zu bekommen, mit der Polizei zu verhandeln, die Menge zu beruhigen oder es waren Sätze zu hören wie „We want only peace“. Auch die Auseinandersetzungen mit der Polizei entstanden erst, nachdem die Menschen stundenlang ausharrten und die Polizei anfing die wartenden und protestierenden Menschen mit Wasserwerfer und Tränengas anzugreifen.
Nach einigen Pausen wurde der Prozess überraschend gegen Mittag beendet und zwei weitere, letzte Prozesstermine für den 14. und 19. März angesetzt. Beim Herausgehen konnten die Unterstützer*innen Ahmed einige Dinge zurufen, vor dem Gericht wurde eine Unterstützerin von Zivilpolizisten herausgezogen, kontrolliert und abfotografiert.
Schlussfolgernd zeigt sich anhand der aktuellen Prozesstermine und den Befragungen, dass dieses Verfahren kein faires und ergebnisoffenes Verfahren ist. Der Grundstimmung gegen Ahmed H. seitens des Gerichts ist in den Befragungen und Beweisaufnahmen voreingenommen und feindlich. Außerdem ist der politische Druck auf das Gericht groß, ihn erneut als „Terroristen“ zu verurteilen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass am 8. April 2018 die ungarischen Parlamentswahlen anstehen. Letzteres lässt vermuten, dass Ahmeds Fall politisch weiterhin instrumentalisiert werden wird.
Ahmed H. soll auch in Zukunft nicht allein stehen und wird weiterhin solidarisch in den folgenden Gerichtsprozessen sowie während seines Gefängnisaufenthaltes begleitet und unterstützt so gut es geht. Daran können sich alle beteiligen!
Schreibt Briefe an Ahmed:
Verein zur Förderung feministischer Projekte
Kleeblattgasse 7
1010 Vienna
Austria
Spendet für die Solidaritäts-Kampagne: Empfänger: Rote Hilfe e.V. Ortsgruppe Frankfurt IBAN: DE24 4306 0967 4007 2383 90 BIC: GENODEM1GLS
Betreff: Röszke 11
Nachdem am gestrigen Donnerstag eine spontane Protestkundgebung von internationalen Unterstützer*innen von Ahmed H. in Szeged durch einen massiven Polizeieinsatz, stundenlanger Personalienfeststellung und Einzug aller Flyer und Banner beendet wurde, ging am heutigen Freitag, den 12.1., der Prozess gegen Ahmed weiter.
Solidarität aus Zagreb, Kroatien: “Die Sonne scheint für alle! Freiheit für Ahmed!”
Diesmal war von entspannter Atmosphäre nicht viel zu spüren. Vor dem Gericht patroullierten Polizist*innen, im Gericht kontrollierten Zivilpolizist*innen die Unterstützer*innen bereits im Gang und filmten diese während dem gesamten Prozess im Gerichtssaal ab. Ahmed wurde diesmal über die Hintertür hereingebracht.
Nachdem Ahmed gefesselt hereingebracht worden war, zeigte der Richter diesmal mehrere kürzere Videos von Polizist*innen sowie Nachrichtensendern. Dabei lag der Fokus auf Ahmed, wie er in ein Megaphon spricht, und was er zur Polizei und der Menge gesagt hatte. Der Übersetzer erklärte Ahmed habe in Englisch und Arabisch “Please wait” und “Dont throw things” zur Menge und zur Polizei u.a. “We love Hungary”, “We are peaceful” gesagt und einen Dolmetscher gefordert hatte, sowie die Polizei gefragt hatte was sie tun sollten. Es zeigte sich, dass Ahmed durchwegs deeskalierend gehandelt hatte und mit der Polizei verhandeln hatte wollen.
Nach mehreren Pausen war der Prozess überraschend gegen Mittag vorbei und es wurden zwei neue Termine am 14. und 19. März festgesetzt, zu denen auch das Urteil erwartet wird. Beim herausgehen konnten wir Ahmed einige Dinge zurufen, vor dem Gericht wurde eine Unterstützerin von Zivilpolizisten herausgezogen, kontrolliert sowie abfotografiert.
Wir rufen auf zu Solidarität, verbreitet Ahmeds Fall, schreibt ihm, kommt im März nach Szeged!
Mehr Infos, Bankverbindung sowie Ahmeds Adresse zum Briefe schreiben findet ihr hier: freetheroszke11.weebly.com/
Wir werden in den nächsten Tagen einen detaillierteren Bericht zu den letzte Prozesstagen und Ahmeds Fall sowie den Röszke11 veröffentlichen. Dazu haben wir ein Interview mit Aktivist*innen der Free the Röszke11-Kampagne.
for english version see: https://cantevictsolidarityenglish.noblogs.org/post/2018/01/11/roeszke-11-the-trial-of-ahmed-h-in-szeged/
Am heutigen Mittwoch, den 10. Januar 2018, waren wir im Gericht in Szeged (Ungarn) und haben Solidarität mit Ahmed gezeigt, der in erster Instanz wegen der Proteste gegen die Grenzschließungen am ungarischen Grenzübergang Röszke 2015 wegen “Terrorismus” zu 10 Jahren Haft verurteilt wurde.
Zum Anfang war es für uns sehr schockierend zu sehen wie Ahmed mit Hand- und Fussfesseln und einer “Hundeleine” von zwei schwer bewaffneten und maskierten Polizisten hereingebracht wurde. Der Prozesstag drehte sich komplett um eine 4-stündige Videoaufzeichnung der Proteste und in langwierigen Foto- und Vedeoanalysen wurde untersucht, wo Ahmed zu sehen ist und ob und wann er durch ein Megafon zur Polizei und den Anderen gesprochen bzw ob er etwas geworfen hat. Es war für uns erschreckend die Geschehnisse noch einmal zu sehen. Der Richter gebärdete sich als ob er selber der Staatsanwalt wäre und legte es merklich darauf an mit seiner Beweisführung Ahmed zu überführen, was ihm mit suggestiven Fragen und immensem Druck auch teilweise gelang. Die ganze Zeit waren wir mit zahlreichen anderen internationalen Unterstützer*innen anwesend und konnten Ahmed im Saal und in den Pausen mit Lächeln, Winken und Zurufen aufmuntern, was von den Polizisten sofort versucht wurde zu verhindern. Auch den nächsten Prozesstag am Freitag, 12. Januar 2018, werden wir solidarisch und kritisch begleiten, danach wird es einen ausführlicheren Bericht auf dem Blog geben.