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[Orfanotrofeio] Störung der Scheinheiligkeit – Gedanken zur Protestaktion gegen die griechische Kirche wegen der Räumung des Orfanotrofeio

Am kommenden Freitag , den 13. Januar 2017, findet in Thessaloniki der Revisionsprozesses gegen 24 Aktivist*innen statt, die am 1. August 2016 während einer Messe in der Agia Sofia Kirche in Thessaloniki gegen die Räumung und vollständigen Zerstörung der Besetzung “Orfanotrofeio” durch die griechische Kirche protestierten. Die Aktivist*innen sind gegen die bisherigen Urteile von 6 Monaten Haft auf 2 Jahre Bewährung wegen Verweigerung der ED-Behandlung in Revision gegangen, der Staatsanwalt auch, er fordert eine Verurteilung wegen “Störung der Kirchenruhe”, woruaf in Griechenland bis zu mehreren Jahren Haft stehen können.

Anlässlich des Prozesstermins am Freitag veröffentlichen wir hier einige Gedanken und Eindrücke einer Aktivistin zur Protestaktion gegen die griechische Kirche wegen der Räumung des Orfanotrofeio am 1. August 2016:


Kirche Agia Sofia in Thessaloniki                          Zerstörte Besetzung “Orfanotrofeio” in Thessaloniki

“Störung der Scheinheiligkeit

Sonntag, 31.7.2016, Thessaloniki
Um 9 Uhr in der Frueh betrat eine Gruppe von  Aktivisten, Anarchisten, Individualisten…als Reaktion auf die aktuelle Fluechtlingpolitik und die Raeumung der besetzten Haeuser (speziell Orfanotrofeio und dessen sofortiger Zerstoerung) die Kirche, um dort ihre Solidaritaet mit Gefluechteten zu zeigen, Einzelheiten ueber die OrfaRaeumung zu verkuenden,  Aufmerksamkeit zu erregen und Flyer zu verteilen  (“joint struggle by locals and migrants”, “solidarity with struggling migrants”, “Everything belongs to us because it’s stolen occupy villas and abandoned buildings”)

In der Kirche wurden sie, ohne dass sie weit vordringen konnten zurueckgehalten, eine Frau wurde vom Kantor mit einer Ohrfeige und einem Wuergeversuch begruesst, was natuerlich Widerstand zur Folge hatte und etwas Rangelei ausloeste. (So viel zum Vorwurf Anarchisten hätten einen Heiligen angegriffen…)

Nachdem die Rebellen die heiligen Hallen wieder verlassen hatten, folgte ihnen der in weiss und golde Tuecher gewickelte Priester und meinte, dass er uns alle liebt, uns vergibt und fuer uns beten wird. Anschliessend liess er uns abfuehren und fuerhte seine Messe fort.

Die ganze Angelegenheit dauerte keine 5 Minuten und schon war RiotPolice im Einsatz und nahm die 26 “Stoerenfriede” mit aufs zentrale Polizeirevier in Thessaloniki, wo sie in einem Kellerraum einer Tiefgarage, ohne Fenster und Klimaanlage oder Abzug, ohne jegliche Informationen   festgehalten wurden, bis entschieden wurde, dass es zu einer Festnahme kommt und sie dann gegen Abend auf die Zellen gebracht wurden.

Am naechsten Tag gegen 12 Uhr Mittags fand die Gerichtsverhandlung statt.

19 Frauen, 7 Maenner. 17 Griechen, der Rest aus Deutschland, Oesterreich, der Schweiz, England und Marokko. (Unter ihnen auch ein unschuldiger Passant, der gerade von seiner Nachtschicht kam, Laerm hoerte und schauen wollte, was vor sich ging, aber wohl aufgrund seines Aussehens auch sofort mitgenommen wurde und die ganze Prozedur ueber sich ergehen lassen musste.  Am Ende wurde er freigesprochen.)

Die Anklage lautete: Beschimpfung der Kirche, Stoerung der Religionsfreiheit bzw des religioesen Versammlungsrechts

Unsere Aussage war, dass es eine politische Aktion war, ein politisches Statement, ein Zeichen von Solidaritaet mit Gefluechteten. Und ein Statement lautete: “Wenn die Kirche die Angeklagten nun wegen Solidaritaet mit Gefluechteten verurteilen lässt, dann wissen wir auch nicht mehr…”

Das Urteil am Ende des Tages: Freispruch, aber 6 Monate Haft bei 3-jaehriger Bewaehrung fuer alle, die die Abgabe ihrer Fingerabdruecke verweigert haben, und somit fuer Ungehorsam verurteilt wurden. (2.Verfahren)

Alle Rebell*innen wieder auf freiem Fuss!!

Es gab eine grosse Medienaufmerksamkeit und eine Welle an Berichten wie in der New York Times, The Guardian…
Zitat: “Such things have never happened in Greece,” Anthimos, the powerful Metropolit of Thessaloniki commented after being briefed about the anarchists raid…

Da sieht man nochmal, was fuer eine hohe Position die Kirche in Griechenland hat…”

Wir werden den Prozess kritisch begleiten und hier auf dem Blog berichten.

Interview mit Aktivist*innen der Solidaritäts-Kampagne „You can`t evict Solidarity” vom 15. Dezember 2016

Hallo. Erzählt doch kurz was zu euch und wer ihr seid.

Wir sind ein Netzwerk aus Menschen unterschiedlichsten Alters, die in Deutschland und Griechenland wohnen und in antirassistischen und anderen politischen Kämpfen aktiv sind. Viele von uns waren in den letzten eineinhalb Jahren auch auf der Balkanroute, in Griechenland oder an den EU-Außengrenzen aktiv. Zusammen haben wir im letzten Sommer die Kampagne „You can`t evict Solidarity“ gestartet für grenzenlose Solidarität mit den migrantischen Häuserkämpfen in Griechenland und überall.

Was war für euch der Grund die Kampagne „You can´t evict Solidarity“ zu starten?

Im Juli 2016 wurden im griechischen Thessaloniki die von Geflüchteten und anderen Aktivist*innen besetzten Häuser „Orfanotrofeio“, „Nikis“ und „Hurriya“ von der Polizei nach Anordnung der griechischen Syriza-Regierung und der griechischen Kirche geräumt. Dabei und bei folgenden Protestaktionen gegen die Räumungen wurden über 100 Menschen verhaftet, viele der dort lebenden Geflüchteten wurden in Militärcamps gebracht. Einige Tage später wurden in Gerichtsprozessen die ersten Menschen zu hohen Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt. Wir waren dort beim zeitgleich stattfindenden NoBorderCamp und haben mit einigen Betroffenen gemeinsam beschlossen uns zusammenzutun, Geld für die anfallenden Prozesskosten zu sammeln, Öffentlichkeit für die Räumungen zu schaffen und gleichzeitig die migrantischen Häuserkämpfe zu unterstützen.

Wie ist die aktuelle Situation für Geflüchtete in Griechenland?

Die Situation für Geflüchtete in Griechenland ist größtenteils ziemlich schlecht. Die Lebenssituation der Menschen in Griechenland ist geprägt von der menschenverachtenden Austeritätspolitik der EU und nach der Militarisierung und gewaltsamen Schließung der Balkanroute sitzen nun zusätzlich über 60.000 Migrant*innen in überfüllten, griechischen Camps fest. In diesen Camps fehlt es meistens an medizinischer Grundversorgung, Versorgung mit Alltäglichem wie Nahrungsmitteln, sowie sanitären Anlagen. Viele Lager bestehen aus abgelegenen Industriehallen oder Zeltstädten, der Winter macht den Menschen zusätzlich zu schaffen.. Durch die Migrationspolitik der EU und der griechischen Syriza-Regierung kommt es zusätzlich zu einer zunehmenden Militarisierung und Repression gegen Geflüchtete und Aktivist*innen, viele Camps gleichen mittlerweile Gefängnissen.

Was hat es mit den Hausbesetzungen auf sich und warum unterstützt ihr sie?

In der momentanen Situation wird für viele Menschen die Besetzung von Leerstand zu einer Möglichkeit ein selbstbestimmtes Leben außerhalb der staatlichen Lager, jenseits von staatlicher Gewalt und jenseits von sexistischen, rassistischen und nationalistischen Kategorien zu führen. Die Häuser sind ein Ort für politische Vernetzung und Orte der Solidarität und der gegenseitigen Unterstützung, auch durch die griechische Bevölkerung. Damit bilden sie wirkungsvolle Alternativen zu staatlichen und kapitalistischen Repressalien. In Griechenland gibt es mittlerweile Dutzende solche Besetzungen, eines der bekanntesten dürfte das „City Plaza Hotel“ in Athen sein, in dem über 400 Menschen ein Zuhause gefunden haben.

Wie ist die aktuelle Situation auf der Balkanroute?

Wir beobachten, dass die staatliche Politik gegenüber Menschen auf der Flucht, gegenüber Unterstützer*innen und gegenüber Alternativen zu staatlicher Migrationskontrolle immer repressiver wird. Dies war auch schon vor dem „Sommer der Migration“ 2015 so, nun werden aber an den militarisierten Grenzen Flüchtende erschossen, wie vor Kurzem an der Grenze zwischen Bulgarien und Serbien, und mit Gewalt am Grenzübertritt gehindert. In Ungarn wurde vor einigen Wochen Ahmad H., einer von elf im September 2015 im ungarischen Röszke verhafteten Geflüchteten, auch Röszke11, zu 10 Jahren Haft verurteilt. Gleichzeitig sitzen tausende Menschen in Griechenland und Serbien fest und wohnen teilweise auf der Straße oder werden illegal abgeschoben, aus der Not besetzte Häuser werden geräumt und solidarische Aktivist*innen werden als Schleuser*innen verhaftet, wie z.B. vor einigen Wochen in Kroatien.

Was steht für euch in der Zukunft für eure Kampagnenarbeit an?

Die Kampagne ist gerade gestartet und wir bekommen viel Unterstützung durch solidarische Menschen, die Soli-Parties organisieren, Geld spenden und für Öffentlichkeit sorgen. Am 13. und am 26. Januar 2017 finden die nächsten Prozesstermine gegen Besetzer*innen der „Hurriya“- und der „Orfanotrofeio“-Besetzung statt, diese werden wir hier und in Griechenland solidarisch begleiten. Dazu unterstützen wir Betroffene in neuen Repressionsfällen, z.B. Geflüchtete, die im Camp Softex bei Thessaloniki gegen die dortigen Bedingungen protestiert haben und jetzt mit Anklagen konfrontiert sind. Gleichzeitig planen wir für Januar/Februar 2017 eine Info-Tour durch Deutschland mit ehemaligen Bewohner*innen und Aktivist*innen der „Orfanotrofeio“-Besetzung. Bei allem freuen wir uns über Unterstützung.

Mehr Infos zur Kampagne und Kontakt auf dem Blog unter www.cantevictsolidarity.noblogs.org.

Spendenkonto:
Rote Hilfe e.V. / OG Salzwedel
IBAN: DE93 4306 0967 4007 2383 12
BIC : GENODEM1GLS
Betreff: Cant evict Solidarity

11.11.16 Solidarität mit den verhafteten Aktivist*innen des March for Freedom in Luxemburg

Prozess in Luxemburg – Repression gegen ‘March For Freedom”

2 1/2 Jahre nach dem international organisierten March for Freedom sind 6 Aktvist_innen in Luxemburg-Stadt angeklagt. Während eines Aktionstags am 5.6.2014 war es in Luxemburg auf dem Kirchberg zu 13 brutalen Festnahmen während einer Demonstration gekommen. Anlass war eine Tagung der EU-Innenminister zum Thema „Kampf gegen illegale Immigration.“ Nun sind am 29.11. 2016 sechs der Verhafteten in Luxemburg vorgeladen. Ihnen wird gemeinschaftlich Verstoß gegen Art. 269 des Luxemburger StGB vorgeworfen (bewaffnete Rebellion), zudem noch einzeln Körperverletzung, Sachbeschädigung, Beleidigung und Widerstand.

Beim selbstorganisierten March for Freedom marschierten ca. 100 Aktivst_innen von Mai bis Juni 2014 mehr als 500 km von Straßburg nach Brüssel. Sie überquerten friedlich 6 EU-Landesgrenzen und organisierten Aktionstage in mehreren Städten sowie ein einwöchiges Protestcamp in Brüssel. Am besagten Tag hatte eine Delegation von Geflüchteten um Mitsprache bei der Innenministerkonferenz gebeten. Daraufhin kam es zu einem massiven Polizeieinsatz mit Reizgas, Schlagstöcken und Hunden ohne Maulkorb. Eine Aktivistin wurde von einem Hund gebissen und mehrere Teilnehmende erlitten Verletzungen durch Reizgas und Schläge. Verhaftete wurden auf der Wache misshandelt und rassistisch erniedrigt. Der Einsatz brachte der Luxemburger Polizei heftige Kritik im eigenen Land. Auf Anordnung des Luxemburger Innenministeriums wurden alle 13 Verhaftete wenige Stunden später entlassen. Luxemburger Jurist_innen kritisierten in der Presse den „unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt“ seitens der Polizei. Ein Untersuchungsausschuss des Innenministeriums befasste sich daraufhin mit dem Einsatz.

Mehr als 2 Jahre nach dem Vorfall, kurz vor Ende der Verjährungsfrist, meldet sich nun die Staatsanwaltschaft mit fabriziert erscheinenden Anklagen. Sechs der 13 Verhafteten wird nun „bewaffnete Rebellion“ nach vorheriger Vereinbarung vorgeworfen. Es ist zu erwarten, dass die kritisierten Sicherheitsbehörden einen politischen Prozess führen wollen. Trotz der schwachen Beweislage sind die Anklagen sehr massiv. In Luxemburg gibt es kaum politische Verfahren und keine große Öffentlichkeit, wie in Nachbarstaaten. Daher rufen wir auf zu internationaler Prozessbeobachtung.

Spenden für Fahrt- und Anwaltskosten sind auch willkommen. Kommt zum Prozess! Meldet euch per Mail für Mitfahrten.

Spendenkonto: “Protest March For Freedom”, Volksbank Fürstenwalde IBAN: DE23 1709 2404 0106 0289 77 , BIC: GENODEF1FW1

Prozesstermin: 29.11.16 um 9:00, in Luxemburg – Stadt

Presseberichte: http://www.taz.de/Brutaler-Polizeieinsatz-in-Luxemburg/!139936/ http://www.tageblatt.lu/nachrichten/story/Ausschreitungen-bei-Minister-Treffen-26455230

Blog: https://freedomnotfrontex.noblogs.org/

Kontakt: lux14@riseup.net

3.11.16: Aktuelle Informationen zu Gerichtsprozessen und zur Situation in Thessaloniki

30. September 2016:

Zwei Verfahren gegen 2 Aktivist*innen in Kilkis, die während der Repressionswelle am 12. und 13.04.2016 auf dem Weg nach Idomeni verhaftet worden sind.

Der erste der beiden Vorfälle war am 12.04., ein Mensch hatte ein Messer im Auto.
->Mehr Infos hier: http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlingscamp-idomeni-griechische-polizei-nimmt-drei-deutsche-fest-a-1086778.html
Der zweite Vorfall ereignete sich ein Tag später, am 13.04.2016. Ein Mensch wurde wegen
Pfefferspray verhaftet.

Beide wurden trotz dass die Staatsanwaltschaft auf Freispruch plädierte zu 3 Jahre Bewährung auf 6 Monate Haft plus 600€ Geldstrafe verurteilt.
Beide werden in Widerspruch gehen.
Die Kosten insgesamt belaufen sich auf rund 5000 €.
Es wurden zu dieser Zeit auch noch mehr Menschen verhaftet.

16. Oktober 2016:

In der Nacht des 16.10. wurde eine Mutter mit zwei Kindern vor dem Oreokastro Camp von einem Auto erfasst. Die Ambulance konnte nicht rechtzeitig zum Unfallort kommen. Die Polizei wurde mehrmals gebeten, die Verletzten zu einem Krankenhaus zu fahren. Was sie nicht machten. Die Mutter und der 10jährige Sohn sind noch auf der Straße bevor der Krankenwagen eintraf, gestorben.
Daraufhin gab es in derselben Nacht vor dem Camp 4 Stunden lang Riots wobei 2 Polizeiautos angezündet worden sind. Die Polizei hat darauf mit Tränengas, Blendgranaten und Gummigeschossen reagiert.
Am 21.10. gabs dazu eine Demo in Thessaloniki, zu der Menschen aus dem Camp abgeholt werden sollen, allerdings hat die NGO (vermutlich UNHCR des Camps den Menschen erfolgreich vermittelt es nicht zu tun. Somit war es eine recht kleine Demo. Auf der Demo wurde das Syriza Gebäude mit Farbe markiert.

-> Mehr Infos hier:
https://medium.com/@AreYouSyrious/ays-16-10-refugee-family-killed-by-a-car-in-front-of-oreokastro-camp-ee93ba049e30?source=user_profile———7-

20. Oktober 2016:

Um 9.00 Uhr gabs in Thessaloniki die erste Verhandlung zum Widerspruch der Verurteilten die im August bei der Protest-Aktion gegen die Räumung des Orfanotrofeio in der Kirche verhaftet worden sind.
Das Verfahren konnte schon jetzt stattfinden, da es sich um eine Minderjährige handelte.
Ergebnis war für die Anklage der Demo an sich: nicht schuldig.
Für die Nichtabgabe der Fingerabdrücke: schuldig und somit, weil minderjährig, “Verwarnung” für die Zukunft.
Die nächste Verhandlung zum Widerspruch der restlichen Verurteilten findet – wie der Hurriya-Prozess – im Januar statt. Der Termin für diese Verhandlung ist der 13. Januar 2017.

Ebenfalls später an diesen Tag fand die Auktion zum besetzten Bio.me Gelände in Thessaloniki statt. Das Gelände hätte für 31 Millionen rausgehen können.
Allerdings kamen keine Interessenten rein da eine Demo die Auktion verhindert hat. Die Auktion wurde verschoben. Termin ist noch unbekannt.

[Hungary] Solidarity with the Röszke11: Reports from court hearings on 28.10.; 3.10. and from Solidarity Demonstration

The court hearing of Ahmad H., arrested during the the protest at Röszke border 2015 and accused of “terrorism”, took place on 28 th of October in Szeged (Hungary). He is facing lifelong prison. The trial was postponed on the 30th of November. Solidarity demonstrations and actions took place in Budapest, Berlin, Vienna and Malmö. Protest, spread the info of this scandalous racist trial and show your solidarity!

You will find these reports here:

  • Report from court hearing of Ahmad H. in Szeged on 28. October 2016 (by Migszol/Hungary)
  • Bericht von Röszke 11-Soli-Kundgebung am 28. Oktober 2016 in Berlin // Neuer Protest am 30.11 (von Solidarity with the Röszke 11)
  • Report from court hearing of Ahmad H. in Szeged on 3. October 2016 (by NoBorderSerbia)

Freedom for Ahmad H. and all of the Röszke11!
Date for the last court session for Ahmad of the Röszke 11 on 30. November 2016 in Szeged (was postponend) – Show your solidarity!

More Infos here on this Blog, @Migszol (Hungary) and Free the Röszke11 Campaign.

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Report from Court Hearing of Ahmad H. in Szeged on 28. October 2016 (report based of Twitter-Ticker by Migszol/Hungary)

Another report from the trial on 28. October you will find here at FreeTheRoszke11.weebly.com.

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On 28.10.2016 at 9.00 am the court hearing of Ahmad started. The police refused lots of solidarish people that protested in front of the court building to enter. Representatives of Amnesty International were refused to enter as well first and only after long discussion they were allowed to visit the trial. There was massive police presence, and Ahmad was guarded by two masked soldiers.

9.00 am. The trial starts. The document presented by the court states that was the leader of the protest. Among the proofs: migrants gave him pillows and food…The document has detailed description about what injuries the policemen had to suffer. Evidently they are the victims, not Ahmad or other refugees…

Then first time during the trial stood up to oppose. He was accused to talk in the phone. He says he didn’t. Judge said just “okay, fine”… claims phone recordings are fake, he did not instruct anyone how to cross the HUN border. The seized phones belong to his relatives.

denies the accusations and saying he is a peaceful follower of and he respects women. He says he went abroad to study Quran. He responds to alleged suspicious trips to Saudi & India. He went to former for hajj and latter to visit Muslim friends. Lawyer: “it’s fact that that every Muslims pilgrimage to Mecca. Catholics who go to Vatican are fanatics then?” Obviously the trial plays with the lack of knowledge about Islam.In the Hungarian judicial system Ahmad’s crime that he’s a Muslim

So far the “evidences” are presented. His newly appointed defence lawyer pleads for an adjournment in order to contact international journos and volunteers and to visit his client in prison to take instructions. Prosecutor opposes the request. Judge rises to consider.

Defence asks the court to hear other 25 witnesses and have a meeting with at prison.The lawyer asks to postpone the trial, that prosecutor attacks claiming that its just to win time. The decision will be made at 11 o`clock. Lawyer wants to attach recording as evidence that he recorded with during the incident. Prosecution not agrees because he claims the lawyer would have enough time to meet the defendant.

The claim to listen the new witnesses is refused, except for to listen witness György Rőczei, a policeman. Around 25 activists and journalists were among the witnesses, refused without any explanation..

The trial is postponed. The next trial will take place on th 30th of November at 9:00. A month to raise media attention and support for Ahmed H – The whole should take a look at this incredible racist showtrial in !

Live-Ticker from the court room and reports with more details you will find here: https://twitter.com/MigSzolCsop

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Bericht von Röszke 11-Soli-Kundgebung am 28. Oktober 2016 in Berlin // Neuer Protest am 30.11.! (by

In Solidaritaet mit den Roeszke 11 und insbesondere Ahmad, dessen Verfahren vorgestern [28.10] zu einem Urteil fuehren sollte, haben wir in Berlin vor der ungarischen Botschaft in Berlin (nahe Brandenburger Tor) mit etwa 40 Menschen demonstriert.

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Wir moechten auf die Kriminalisierung und die Ungleichstellung von gefluechteten Menschen Aufmerksam machen. Eine Ungleichstellung, die in Faellen wie dem der Roeszke 11 zur vollkommenen Rechtlosigkeit einer, von unserer rassistischen Gesammtbevoelkerung fallen gelassenen Minderheit fuehrt. Ein weiterer Fall gewollten Versagens der Justiz.Das Gerichtsverfahren basiert auf den diffusen Zeugenaussagen ungarischer PolizistInnen, einem tonlosen Video, das Ahmad beim Werfen mehrerer Steine zeigen soll und der “Fuehrungsrolle”, die er durch das Halten eines Megaphons eingenommen habe. Auf dieser Basis wurde der Vorwurf “Terrorismus” konstruiert und ganz nebenbei erneut ein rassistisches Feindbild “bestaetigt”. Hinzu kommen angebliche Verbindungen zu islamistischen Organisationen, welche ueber seinen Besuch der Laender Saudi Arabien und Indien begruendet werden. Freitag [28.10] wird er dann einmal mehr von vermummten Anti-Terror-Einheiten mit Hand- und Fußfesseln auf die Anklagebank gefuehrt. Fuer den eigentlich oeffentlichen Prozess werden praktisch keine PressevertreterInnen eingelassen, von AktivistInnen ganz zu schweigen.

Faelle wie diese Haeufen sich. Dabei wird der Schwebezustand von schutzsuchenden Menschen strukturell ausgenutzt um Kampflienen, zu Gunsten totalitaerer Staatsgebilde, zu verschieben. Lasst es nicht ungesehen geschehen. Verbreitet den Fall der Roeszke 11 und gebt ihnen eine Stimme, damit am 30.11. mehr Aufmerksamkeit fuer die voraussichtliche Verurteilung Ahmads besteht!

Falls ihr euch aktiv an der Organisation von Protesten und gemeinsamen Aktionen beteiligen wollt schreibt uns eine Mail an: roeszke_support1@riseup.net

Infos zu kommenden Demonstrationen findet ihr auch bei Facebook:
facebook.com/events/1828530994070589/

Kontext:
https://linksunten.indymedia.org/en/node/192537
http://freetheroszke11.weebly.com/

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Report from court hearing in Szeged on 3. October 2016 (by NoBorderSerbia):

Ahmed H, one of the Röszke 11, accused for “terrorism and other crimes” is kept in custody and total isolation since one year. As Ahmed’s last court session was on the 23nd of September, solidarity demonstration took place in Budapest, Szeged and in Vienna, in front of the Hungarian embassy.

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During the whole court hearing the judge was only reading the testemonies of the police who were allegedly injured during the so called riot. Ahmed’s lawyer was even not present, only his deputy. The police blocked the court corridor so the majority of the people who wanted to monitor the trial was not allowed to enter the courtroom. All forms of communication with Ahmed were prevented.

Still, the people who gathered to demand the freedom of the accused managed to send their messages of solidarity via playing and singing songs of resistance, and showing signs behind the police blockade.

The police was constantly making pressure and threatening with starting misdeme anor procedures against the protesters. When the trial was finished people in solidairty were waiting for Ahmed to be carried out from the courtroom, but instead of it, he was locked into another room. As a sign of disobedience some people refused to leave the court building until they were evected by the police. The last person who left the building was a 73 years old lady who came to Szeged in order to protest.

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The next court session will be on the 30th of November, when the first level sentence is expected to be read out. Let’s organize and show the power of solidarity! Support the solidarity campaign where ever you are!

We should not forget about Yamen A., Farouk A., and Kamel J., the other 3 people from the Röszke 11, who got already sentenced and who are imprisoned in differnt prisons over Hungary.

More details about the trial and the international solidarity campaign: freetheroszke11.weebly.com contact: freetheroszke11@riseup.net

AGAINST THE OPPRESSION OF STATES! NO FENCES, NO PRISONS! FREEDOM FOR AHMED AND THE RöSZKE ELEVEN!

[Röszke11] Bericht von Röszke 11-Soli-Kundgebung am 28. Oktober 2016 in Berlin // Neuer Protest am 30.11.! (by SolidarityWithTheRöszke11)

In Solidaritaet mit den Roeszke 11 und insbesondere Ahmad, dessen Verfahren vorgestern [28.10] zu einem Urteil fuehren sollte, haben wir in Berlin vor der ungarischen Botschaft in Berlin (nahe Brandenburger Tor) mit etwa 40 Menschen demonstriert. Der letzte Prozesstag wurde auf den 30. November angesetzt – Zeigt eure Solidarität, werdet aktiv!

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Wir moechten auf die Kriminalisierung und die Ungleichstellung von gefluechteten Menschen Aufmerksam machen. Eine Ungleichstellung, die in Faellen wie dem der Roeszke 11 zur vollkommenen Rechtlosigkeit einer, von unserer rassistischen Gesammtbevoelkerung fallen gelassenen Minderheit fuehrt. Ein weiterer Fall gewollten Versagens der Justiz.Das Gerichtsverfahren basiert auf den diffusen Zeugenaussagen ungarischer PolizistInnen, einem tonlosen Video, das Ahmad beim Werfen mehrerer Steine zeigen soll und der “Fuehrungsrolle”, die er durch das Halten eines Megaphons eingenommen habe. Auf dieser Basis wurde der Vorwurf “Terrorismus” konstruiert und ganz nebenbei erneut ein rassistisches Feindbild “bestaetigt”. Hinzu kommen angebliche Verbindungen zu islamistischen Organisationen, welche ueber seinen Besuch der Laender Saudi Arabien und Indien begruendet werden. Freitag [28.10] wird er dann einmal mehr von vermummten Anti-Terror-Einheiten mit Hand- und Fußfesseln auf die Anklagebank gefuehrt. Fuer den eigentlich oeffentlichen Prozess werden praktisch keine PressevertreterInnen eingelassen, von AktivistInnen ganz zu schweigen.

Faelle wie diese Haeufen sich. Dabei wird der Schwebezustand von schutzsuchenden Menschen strukturell ausgenutzt um Kampflienen, zu Gunsten totalitaerer Staatsgebilde, zu verschieben. Lasst es nicht ungesehen geschehen. Verbreitet den Fall der Roeszke 11 und gebt ihnen eine Stimme, damit am 30.11. mehr Aufmerksamkeit fuer die voraussichtliche Verurteilung Ahmads besteht!

Falls ihr euch aktiv an der Organisation von Protesten und gemeinsamen Aktionen beteiligen wollt schreibt uns eine Mail an: roeszke_support1@riseup.net

Infos zu kommenden Demonstrationen findet ihr auch bei Facebook:
facebook.com/events/1828530994070589/

Kontext:
https://linksunten.indymedia.org/en/node/192537
http://freetheroszke11.weebly.com/

„Free the Röszke Eleven“ – Die Bedeutung der Röszke-Verhandlungen im Kontext der europäischen Grenzpolitik

„Free the Röszke Eleven“

Die Bedeutung der Röszke-Verhandlungen im Kontext der europäischen Grenzpolitik

Es ist Montag, der 27. Juni 2016 und wir stehen in Szeged vor einem Gerichtsgebäude. Die Sonne scheint, es ist warm, doch uns allen ist etwas mulmig. Wir sind zu fünft angereist, um an der Verhandlung teilzunehmen. Wir werden den Gerichtssaal nicht nur mit diesem mulmigen Gefühl verlassen, sondern mit Wut, Entsetzen, Fassungslosigkeit und Traurigkeit.

(N., ein Aktivist in Rückblick auf den Prozess)

Der Kontext: Sommer der Migration – die ungarische Regierung versucht ihre Souveränität wiederzuerlangen

Es war eine ganze Reihe von Entscheidungen, die den sogenannten Sommer der Migration konstituiert und zur Etablierung des ‚Humanitären Korridors‘ im Jahr 2015 geführt hat. Getroffen wurden diese von verschiedenen Regierungen Europas auf der Grundlage, dass sich Menschen über die ‚Balkanroute‘ bewegen.

Am 18. Juni 2015 hat die mazedonische Regierung ein Gesetz verabschiedet, dass Menschen erlaubt, innerhalb von 72 Stunden das Land legal zu durchqueren. Dieses Gesetz wurde von der serbischen Regierung, die das Vorgehen schon Jahre zuvor zur Praxis hatte, übernommen. Als Konsequenz dieser Gesetze ergibt sich, dass der Bewegung von tausenden Menschen auf dieser Route ein legaler Rahmen gegeben wurde. Eine weitere Auswirkung war, dass die Route auch für Menschen zugänglich wurde, die zuvor aufgrund ihrer persönlichen Möglichkeiten, finanziellen Ressourcen oder wegen anderer Gründe von diesem Weg ausgeschlossen wurden.

Waren es zuvor hauptsächlich junge Männer, die das Risiko aufnahmen, ihren Lebensort zu verlassen, um nach einem neuen Leben für sich und ihre Familie zu suchen, konnten dank der Veränderungen im Sommer 2015 nun auch viele andere Menschen ihr Recht auf Bewegung in Anspruch nehmen. Beispielhaft für diese Menschen stehen Fadavy Ghazy, Ahmad H. und die anderen neun Personen der sogenannten ‚Röszke Eleven.‘

Mit der steigenden Zahl von Personen, die sich von Griechenland über Mazedonien und Serbien bewegten, kam es zu einer Ansammlung von Menschen in Budapest. Von hier aus reisten sie mit Hilfe von Schmugglern nach Österreich, Deutschland, Skandinavien oder in andere nord- oder westeuropäische Staaten weiter. Als Reaktion auf die irreguläre Migration, diese hatte bereits Ende 2014 begonnen, entschied die rechts-konservative Regierung Ungarns unter Führung von Premierminister Viktor Orbán, einen Zaun entlang der gesamten Grenze zwischen Ungarn und Serbien zu bauen (später auch entlang der Grenze zu Kroatien). Dennoch war es für die Menschen während der Bauphase möglich, die Grenze von Serbien nach Ungarn einfach zu übertreten.

„Hunderttausende Menschen waren bereits durch Ungarn gereist, als im Herbst 2015 der Zaun fertiggestellt wurde. Jeden Tag gingen tausende Menschen über die Grenze und die ungarischen sowie die internationalen Medien berichteten, dass die Fidesz Regierung unfähig sei, mit der Situation umzugehen. Dies gab den Ausschlag für die Regierung, die Einreise nach Ungarn zu kriminalisieren“ (Migszol 28.06.2016).

Eine wichtige Hintergrundinformation ist, dass die physische Schließung der Grenze durch die Fertigstellung des Zauns mit der Einführung des neuen Asylgesetzes, das den illegalen Grenzübertritt nach Ungarn zu einem Verbrechen macht, Hand in Hand geht. Die erste Änderung des Gesetzes trat im August in Kraft und die zweite Änderung am 15. September 2015. Also am gleichen Tag, an dem die gesamte Grenze mit NATO-Draht verschlossen wurde. „Der Weg über die Grenze, entweder zu Fuß, den tausende Menschen gegangen sind, oder durch Klettern über den Zaun oder durch Kriechen unter dem Zaun war den vorigen Tag noch möglich, aber ab dem nächsten Tag illegal“ (Migszol 28.06.2016). Von da an beträgt die grundsätzliche Strafe für den illegalen Grenzübergang nach Ungarn ein bis drei Jahre Gefängnis, ein bis fünf Jahre, wenn das Verbrechen während eines Aufstandes stattfand oder Waffen getragen wurden und zwei bis acht Jahre, wenn beide Punkte zutreffen.

Die Horgoš-Aufstände

Es ist wichtig anzumerken, dass die meisten Menschen, die am 14. September an der Grenze ankamen, keine Gelegenheit hatten zu erfahren, was von der Regierung entschieden wurde und dass die Grenze sowohl rechtlich als auch durch einen Zaun geschlossen wurde. Schlimmer als dieser Punkt sind jedoch die individuellen Auswirkungen: Nur weil sie ein paar Tage oder auch nur Stunden zu spät angekommen sind, haben sie keine Möglichkeit, die Grenze legal zu übertreten. Die Routine, die tausende Personen, Freunde, Verwandte zuvor genutzt haben, gibt es nicht mehr. Im Gegenteil treffen sie auf eine geschlossene Grenze, bewacht von der Grenzpolizei, und werden von dort weggeschickt.

„Die Menschen sind dann zum zweiten Röszke-Grenzübergang gegangen. Dieser wurde zuletzt auf dramatische Weise geschlossen, indem die ungenutzten Gleise mit einem ‚Mad Max‘-Zug blockiert wurden. Die Spannung in dieser Situation nahm stark zu und für die Personen auf der serbischen Seite des Zaunes gab es keine rechtlichen Informationen. Junge und alte Personen, kranke, allein Reisende und Familien warteten, als die Situation anfing zu eskalieren (Migszol 28.06.2016).

Insgesamt dauerte der Protest drei Tage und steigerte sich innerhalb dieser Zeit. Grundsätzlich standen die Menschen einfach vor dem Zaun und hofften, dass er wieder aufgemacht wird. Sie riefen Slogans, hielten Banner hoch und redeten mit der Polizei. Nur in den letzten Zügen eskalierte der lange Protest. Eine Aktivistin von No Border Serbia, die während dieser Zeit in Horgoš war und die Proteste miterlebt hat, berichtet von ihren Erinnerungen:

„Der Protest war die ganze Zeit über friedlich. Vor dem Zaun warteten Familien, Kinder und Männer für viele Stunden. Es war sehr heiß an diesem Tag und nach zwei oder drei Stunden Protest gab die ungarische Polizei den Menschen zwei Flaschen Wasser. Was danach passierte, war verrückt. Die Menschen haben die Wasserflaschen zurückgegeben und gesagt, ‚das ist nicht das, was wir brauchen.‘ […] Am zweiten Tag begann der Protest sehr früh morgens. Ungefähr 5000 Personen waren in der Grenzregion, aber nicht alle nahmen an dem Protest teil. Es waren etwa 300 Personen, die friedlich demonstrierten und durch ein Megafon sprachen: ‚Wir brauchen nichts. Lasst uns einfach rein. Es gibt viele Familien und Kinder. Bitte lasst uns passieren.‘ et cetera. Der Protest dauerte bis spät in die Nacht und wir konnten nur zwei oder drei Stunden schlafen. Am dritten Tag des Protests war die ungarische Grenzseite vollkommen militarisiert. Dort waren Panzer, Wasserwerfer, Antiterror-Einheiten … es war schrecklich! Man konnte richtig sehen, was dort vor sich ging und die Protestierenden unterschätzten das. Sie haben wirklich geglaubt, dass die Grenze zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgemacht wird, da 5000 Menschen davor warteten. Was man in den Videos auch sehen kann, dass Menschen anfangen zu lachen und Selfies machen, da an einem bestimmten Punkt die Grenze aufgemacht wurde und die Menschen glaubten ‚Endlich. Sie lassen uns passieren.’ Sie gingen also los zum Tor und im selben Augenblick fühlten wir das Tränengas und waren für den Moment komplett blind. Wir rannten also irgendwohin und versuchten uns zu verstecken. Nach einem Augenblick konnte man überall ungarische Polizei sehen und die Menschen konnten sich nicht verstecken oder irgendwohin rennen, weil das Gedränge zu groß war. Nur die jungen Leute konnten wegrennen, die alten Personen und die Frauen mit den Kindern aber nicht. Sie landeten letztendlich irgendwie in den Armen der ungarischen Polizei und wurden bei dieser Gelegenheit verhaftet“ (N. von No Border Serbia).

Im Verlauf des Protest eskalierte die Situation und letztendlich haben wenige Personen Steine geworfen. Eine gute Dokumentation der Proteste, als Gegenstück zu den Polizeiberichten, kann bei https://www.youtube.com/watch?v=3yzBhkOes_8 gesehen werden. Die Polizei verstärkte die Eskalation und antwortete mit Tränengas und Wasserwerfern. Es handelt sich dabei um eine Praxis, die gegen die offiziellen Richtlinien des ungarischen Staates verstößt. Zum Beispiel ist es nicht erlaubt, in diesem Ausmaß gegen Gruppen vorzugehen, in denen sich Kinder befinden. Rückblickend kann dieses Verhalten gegenüber einer Gruppe Migranten, das rechtliche Grundlagen ignoriert, als ein symbolischer Anfangspunkt für ein Verhalten gelten, das einen roten Faden durch den gesamte Fall der ‚Röszke Eleven‘ zieht.

„Nach einiger Zeit war der Zaun durch die Gruppe überwunden worden und die Situation wurde noch dramatischer. In der ersten Reihe der Protestierenden waren Männer und einer von ihnen versuchte mit Hilfe eines Megafons sowohl mit der Polizei als auch mit den anderen Protestierenden zu reden. Seine Rolle bestand darin, Neuigkeiten und Entwicklungen zu kommunizieren: wann soll mit der Polizei verhandelt werden, wann soll man sich zurückziehen et cetera. Diese Situation hielt ungefähr eineinhalb Stunden an, bis sie sich beruhigte. Dann wurde eine Nachricht von der ungarischen Polizei verbreitet, dass die Menschen nun Ungarn betreten dürften. Das wurde als Sieg gefeiert und es folgten Dankes-Rufe an Ungarn und die Menschen organisierten sich in zwei Reihen. Eine für junge Männer und die andere für Familien und für Personen, die besonderen Schutz brauchen […]. Sie liefen los und schafften ungefähr 150 Meter. Die Polizei, die zuständig für den Protest war, erlaubte ihnen vorwärts zu gehen. Problematisch wurde es, als die unmarkierten, nicht identifizierbaren Personen der Antiterror-Einheit die Gruppe angriff. Nicht nur mit Polizeiknüppeln, welche erlaubt und legal sind, sonder mit speziellen Teleskop-Metall-Knüppeln […]. Diese Einheit versuchte Menschen zu fangen, aber natürlich konnten die jungen und gesünderen Menschen entkommen und nur die verletzbaren Menschen nicht und diese wurden von den Autoritäten festgenommen“ (Migszol 28.06.2016).

Und so wurden die elf Angeklagten vom ungarischen Staat ausgewählt. Menschen, die nicht fähig waren, schnell genug zu entkommen. Wer sie festgenommen hat und zu welcher Zeit ist nicht dokumentiert. Diese Vorgehensweise ist auch der Grund, warum eine so ungewöhnlich hohe Zahl der Angeklagten physisch eingeschränkt ist: Einer sitzt im Rollstuhl, einem anderen fehlt das Hüftgelenk und eine dritte Person ist eine halb-blinde, 64 jährige Frau mit Diabetes. Darüber hinaus wurden viele weitere Personen von der ungarischen Polizei festgenommen, aber nicht in Untersuchungshaft genommen und so konnten sie das Land schnell verlassen. Warum die ‚Röszke Eleven‘ für die Untersuchungshaft ausgewählt wurden, ist bislang unklar.

Die Angeklagten: Die ‚Röszke Eleven‘

Alle Angeklagten wurden zufällig aus der Gruppe gewählt und sahen sich diesen grotesken Umständen gegenüber an diesem verfluchten und miserablen Tag. Die Umstände wurden passend zurechtgedreht, hatten die drei bereits erwähnten Personen nicht einmal am Protest teilgenommen und nur darauf gewartet, das sich die zwei Reihen bilden. Nachdem die elf Personen festgenommen waren, wurden zehn von ihnen unter Anwendung des druckfrischen Gesetzes angeklagt. Der elfte, Ahmad H., erwartet eine Strafe, die noch mehr gegen jeden gesunden Menschenverstand verstößt. Weil er mit Hilfe eines Megafons kommuniziert hatte, wird er wegen Terrorismus angeklagt. Dabei handelt es sich um eine Strafe von zehn bis zu 20 Jahren Gefängnis. Für ihn ist die Situation aber noch zusätzlich dramatisch: Ahmad H. ist der Sohn der 64 jährigen, halbblinden Frau und hat einen zyprischen Pass. Er hatte sich dazu entschieden, mit seiner Familie die Route zu gehen, damit er sie unterstützen kann.

Die bereits drei erwähnten Personen wurden seitdem unter ‚Hausarrest‘ in einem der sogenannten ‚asylum detention‘ gestellt. Die anderen acht Personen wurden in Untersuchungshaft in Szeged und Kecskemét gesteckt, wobei es sich hier um eher ‚normale‘ Gefängnisse handelt, mit extrem beschränktem Zugang zu Informationen. Hier, umgeben von ungarischen Staatsbürgern, die selbst Verbrechen begangen haben oder dafür angeklagt sind und meist keine Fremdsprachen sprechen, ist die Situation noch ernster und untragbarer. Ihr einziges Verbrechen besteht darin, nach Sicherheit gesucht zu haben, was ein grundsätzliches Menschenrecht ist und legal unter internationalem Recht. Ungarn antwortet darauf mit Verhaftung und einer Inhaftierung unter extrem schlechten Bedingungen.

Für lange Zeit gab es keine Informationen bezüglich der Frage, wo die Angeklagten inhaftiert sind und was mit ihnen passieren soll, obwohl politische Gruppen von Serbien oder Ungarn versucht hatten, an diese Informationen zu kommen. Erst als eine investigative Dokumentation von Kanal Vier veröffentlicht wurde, kamen Informationen über die Bedingungen für Menschen, die nicht am Prozess beteiligt sind, an das Tageslicht.

Die Untersuchungen zu diesem Fall zeigen alle das Gleiche. Zum Beispiel gab es allegedly manipulated translations (vermeintlich manipulierte Übersetzungen), die Bedeutungen veränderten und Paragraphen hinzugefügt haben. Zum Beispiel wurde die originale Aussage verändert. In der geschriebenen heißt es ‚Wir werden zur Grenze gehen und sie überqueren.‘ und in der Übersetzung ‚Wir werden zur Grenze gehen und sie gewaltsam überwinden, egal wie.‘ Diese Veränderung soll unterstreichen, dass sie ein Verbrechen begangen haben, was sie nicht getan haben (Migszol 28.06.2016).

Alle Anklagen für die elf Personen sind mehr als dubios. „Für alle elf Personen ist das Anklagepapier nur eineinhalb Seiten lang und es enthält keine Informationen über die Umstände und den Kontext, in denen alles geschehen ist“ (Migszol 28.06.2016). Auch das Verhalten und die Handlungen der ungarischen Antiterror-Einheit gegenüber den Protestierenden fehlt vollkommen in der Beschreibung des Falls. Den Anwälten war es zu erst nicht gestattet, das Filmmaterial zu sichten und es dauerte vier Monate, bis sie überhaupt Zugang dazu bekamen. Als sie das Material dann sehen konnten, wurde klar, warum es so lange verschlossen gehalten wurde. Das Filmmaterial zeigt nichts anderes außer die drei Angeklagten, die in der Gegend herumstehen. Die im Kreuzverhör gehörten Polizisten (sie waren die einzigen Zeugen im gesamten Prozess) konnten sich an keine Details erinnern und die Mehrheit konnte nicht einmal die Personen identifizieren. Es gab sechs Anhörungen bis zur letzten am 1. Juli und selbst vor dieser war bereits für alle Beobachter*innen klar, das es sich um einen Schauprozess handelt.

Die Verhandlungen

Vor der Gerichtstür stehen Polizisten in schusssicheren Westen, ein paar Leute von der Presse und zehn Männer mit akkurater Kurzhaarfrisur. Zehn Polizisten, die gegen Ahmad aussagen werden, wie sich später herausstellt. Plötzliche sollen wir alle zur Seite gehen und uns in einen Gang stellen. Ahmad kommt den Gang entlang, bewacht wie ein Schwerverbrecher. Zwei große Männer mit Vollvermummung, er mit Handfesseln und Fußfesseln. Ahmad, deutlich gezeichnet von den letzten Monaten im Gefängnis, wird in den Saal geführt. Hier erwartet uns eine sechsstündige Tortur (N., ein Aktivist in Rückblick auf den Prozess).

Nachdem bereits Anhörungen stattgefunden hatten, nahmen einige Aktivist*innen aus Ungarn und Serbien bei den letzten Verhandlungen vom 27. Juni bis zum 1. Juli 2016 teil. Ahmads Fall wurde am 27. Juni verhandelt und der Prozess der anderen zehn Personen am 30. Juni und am 1. Juli 2016.

Grundsätzlich gab es/gibt es zwei separate Prozesse. Einen für Ahmad, der wegen Terrorismus angeklagt ist, und einen für die anderen zehn Personen, die wegen illegalen Grenzübertritts nach Ungarn und wegen Teilnahme an einem Massenprotest angeklagt sind. Es gab/es gibt zwei unterschiedliche Richterinnen und der Ablauf war etwas anders, wenn man die beiden Prozesse miteinander vergleicht. Wie auch immer, die grundsätzliche Vorgehensweise, die sich in den anderen Verhandlungen herausgebildet hatte, wurde weitergeführt.

Wie bereits erwähnt, waren die einzigen Zeugen die im Kreuzverhör gehörten Polizisten. Viele von ihnen konnten sich nicht einmal daran erinnern, was während der Proteste geschehen ist. Sehr verständlich, standen sie doch auch im Nebel ihres eigenen Tränengases. Aber bei den Protesten waren auch andere Personen anwesend und nicht nur Migrant*innen.

„Bei fast jeder Verhandlung waren nur Polizisten oder Mitglieder der Antiterror-Einheit als Zeugen geladen. Das ist verrückt. Wie können sie so jemanden identifizieren? Und was ist mit anderen Zeugen? Mit Doktoren, Mitgliedern von den NGOs oder mit Journalisten? Sind diese nicht glaubwürdig genug für diese Verhandlung?“ (N. von No Border Serbia).

Alle Anwälte versuchten, die Umstände der Proteste hervorzuheben, an Menschlichkeit, an Logik und rationale Sichtweisen zu appellieren.

Im Kontrast dazu war das Verhalten der Richterin im Fall von Ahmad H. grausam und verstieß gegen jedes Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. „Die Richterin wirkt, als wäre in ihrem Kopf schon alles fertig. Sie kennt alle Details, lenkt alles in die richtige Richtung. Vom Staatsanwalt und vom Anwalt hört man die ganze Verhandlung über fast nichts“ (N., ein Aktivist in Rückblick auf den Prozess). Der zweite und dritte Teil von Ahmads Anhörung bestand fast ausschließlich aus der Sichtung von Videomaterial als Beweismittel. Während jeder erklärende bzw. klarstellende Beweis ignoriert wurde, wurden unverhältnismäßig intensiv die kleinsten Szenen, die nur annähernd ein Beweis gegen Ahmad sein könnten, betrachtet und hervorgehoben. Einige Szenen wurden scheinbar vorsätzlich falsch Interpretiert. Zum Beispiel zeigt Ahmad in einer Szene des Videos zwei Finger hoch. Auch diese Geste wurde als Androhung interpretiert: In zwei Stunden werden wir kommen und die Grenze übertreten. In den Videos, die Ton hatten, konnte man Sätze hören wie ‚Wir lieben die Polizei. Wir lieben Ungarn. Wir wollen einen Übersetzer für Englisch.‘ Kein Wort dazu seitens der Richterin. Die einzige Szene, die intensiv besprochen wurde, war eine Stelle, wo Ahmad einen Stein wirft. So wie dutzend andere Personen. Nach weiteren Videos mit nichtssagendem Inhalt wurde die Verhandlung geschlossen. Ahmad wurde von den maskierten Männern wieder abgeführt.

„Solch eine Ungerechtigkeit darf nicht hinter verschlossenen Türen in einem kleinen ungarischen Gericht bleiben. Hier steht ein Mann einem Gericht gegenüber, das sein Urteil schon gefällt hat, das ein Exempel statuieren will“ (N., ein Aktivist in Rückblick auf den Prozess).

Alle Angeklagte, ausgenommen Ahmad, dessen Verhandlung noch läuft, wurden verurteilt. Ein bis drei Jahre ohne Bewährung. Der Staatsanwalt hat bereits angekündigt, in Berufung zu gehen. Er hält die Urteile für zu gering und verlangt härtere Strafen. Ahmads Prozess wird am 28. oktober fortgesetzt und findet in Szeged statt. Bis dahin wird er im Gefängnis bleiben.

Protest und internationale Solidarität

„Es ist wichtig, als eine Form der direkte Aktion Solidarität zu zeigen. Man muss vor Ort sein, denn es findet in unseren Staaten statt. Es ist also wichtig zu wissen, was vorgeht und wie wir Solidarität zeigen können. Für die Menschen im Gefängnis war es das erste Mal seit knapp einem Jahr, dass es Reaktionen auf ihren Prozess gab. Und sie sahen die Reaktionen nur für zwei Minuten, nur auf dem Weg vom Polizeiauto zum Gericht. Aber ich glaube, dass es für sie genug war, zum ersten Mal Menschen zu sehen (ausgenommen deren Anwälte), die für sie da sind, um zu merken, dass sie nicht vergessen sind“ (N. von No Border Serbia).

Der Prozess am 30. Juni wurde durchgehend von einer Demonstration begleitet und Protestierende riefen auf Arabisch oder Englisch Slogans wie ‚Ihr seid nicht allein.‘ „Für mich war es ein bewegender Moment, als ich die Personen wiedergesehen habe. Und ich glaube für sie auch. Menschen zu sehen, die Slogans in ihrer Sprache rufen. Ich glaube, dass es sehr wichtig für Menschen ist, zu wissen, dass sie nicht allein sind, nicht ausgestoßen, nicht vergessen“ (N. von No Border Serbia).

Auch wenn es nur zwei Minuten auf dem Weg zum Gericht und zwei Minuten auf dem Weg zurück in die Polizeiautos waren, so waren die kurzen Augenblicke dennoch voller Spannung und Bedeutung.

„Ein paar von ihnen haben angefangen zu weinen, als sie uns sahen und unsere arabischen Slogans hörten. Ich weiß nicht, was während ihrer Zeit, während der Monate im Gefängnis geschehen ist. Aber in dem Moment, in dem sie das Gericht betraten, konnte ich in ihren Augen sehen, dass sie uns wiedererkennen und ich glaube, das war ein bedeutender Moment der Solidarität und des gemeinsamen Kampfs“ (N. von No Border Serbia).

Am Montag nach den Verhandlung, am 4. Juli, gab es auch eine Demonstration mit über 120 Teilnehmer*innen in Budapest, Ungarn.

„Auf der einen Seite kriminalisieren die Verhandlungen das Recht von Menschen auf der Flucht gegen Grenzpolitik und einhergehende Repressionen zu demonstrieren und auf der anderen Seite sollen diese Verhandlungen Menschen davon abhalten, nach Ungarn zu kommen. Trotzdem versuchen weiterhin hunderte Menschen die Grenze nach Ungarn zu überqueren“ (movingeurope 05.07.2016).

Die Verhandlungen können als Präzedenzfall eingestuft werden. Und dieser wird entweder von der ungarischen Regierung gewonnen oder von den Menschen, die in Solidarität mit den Angeklagten und Verurteilten sind.

„Während der Proteste haben wir so tolle Menschen aus Syrien, Iran, Afghanistan, von überall her kennengelernt, die den Protest friedvoll begleitet haben und nur darauf gehofft hatten, dass sie die Grenze nach den vielen Monaten des Wartens und Reisens überwinden könnten. Und ja, wir kennen auch die elf Menschen von den ‚Röszke Prozessen‘ und sie werden diese monströsen Verhandlungen erleben und bei all dem frage ich mich die ganze Zeit, wie viel mehr Menschen in ungarischen Gefängnissen festgehalten werden, ohne dass wir sie kennen und ohne zu wissen, wie man sie unterstützen kann“ (N. von No Border Serbia).

Dieser Report kann als Ausgangspunkt für mehr internationale Unterstützung gesehen werden. Diese internationale Unterstützung ist nur ein Funken Hoffnung am Horizont der stattfinden Grausamkeiten. Hierfür fragen wir jeden von euch, in Aktion zu treten und Solidaritätskampagnen in euren Orten zu starten. Lasst uns die ‚Röszke Eleven‘ unterstützen und Solidarität zeigen!

„Alle von uns hoffen auf größere internationale Unterstützung. Mehr rechtliche und finanzielle Hilfe, Aufmerksamkeit von alternativen Medien und Massenmedien, die sich für den Fall interessieren, und allgemein mehr Kritik auf europäischer Ebene. Ich glaube, dass es solche Fälle auch in Zukunft geben wird und es ist sehr wichtig, auch daran zu denken. Wie können wir uns organisieren? Wie können wir untereinander und miteinander kommunizieren? Wie können wir uns koordinieren? Wie können wir uns unterstützen und wie die betroffenen Personen? Die Menschen wissen, dass etwas im Gange ist und es gibt so viele Wege auf verschiedenen Ebenen teilzunehmen. Man kann Artikel und kritische Analysen schreiben, man kann Kampagnen starten, man kann Menschen direkt unterstützen. Dieser Prozess wird für alle weiteren in der Zukunft der entscheidende sein“ (N. von No Border Serbia).

Bedeutung für das europäische Grenzregime

Betrachtet man die Röszke-Verhandlungen als ein Teil in einem Kaleidoskop, welches sich zusammensetzt aus Praktiken, Regularien, Institutionen und Aktionen, die sich alle darum drehen, Migration kontrollieren zu wollen, erhalten sie eine erschreckende Bedeutung. Die Verhandlungen werden als Schauprozess geführt und dementsprechend wird gespielt und performt, um das Bilder des ‚kriminellen Asylsuchenden‘, der die ungarische Gesellschaft bedroht, noch gefährlicher zu zeichnen. So können sie es als Präzedenzfall für die ungarische Bevölkerung und auch für die Flüchtenden, die weiterhin die Grenze überqueren, gesehen werden.

Das illustriert die Verknüpfung von Grenzen mit dem Feld der grundsätzlichen Menschenrechte. Auch wenn der Rechtsstaat beansprucht, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, wird dies in den Röszke-Verhandlungen nicht beachtet. Hier wird unterschieden zwischen Menschen, die einen Pass haben, und Menschen ohne Papiere. Diese Handhabung folgt der Deterritorialisierung von Grenzen, was bedeutet, dass Grenzen nicht nur Linien im Sand sind, die Staatsterritorien voneinander trennen, denn auf der einen Seite manifestieren sie sich innerhalb von Staaten und auf der anderen Seite innerhalb von Gesellschaften. Der ungarische Staat nutzt die Prozesse, um die rassistische Propaganda voranzutreiben und gleichzeitig mehr Kontrolle über das eigene Territorium zu gewinnen. Das wird durch die steigenden Zahlen bei der eingesetzten Grenzpolizei und dem Militär deutlich. Erneut verdoppelt auf 6000 Personen. Der ungarische Staat hat bereits vor Monaten einen Notstand ausgerufen. Es wird deutlich, dass die ungarische Regierung einen Krieg gegen migrierende Menschen führt und die ‚Röszke Eleven‘ sind die ersten, die öffentlich vorgeführt werden. Die Rechtsstaatlichkeit wurde in diesem Fall nicht eingehalten und die juristische Anklage wurde durch eine politische Anklage ersetzt. Es wird nicht einmal an Gerechtigkeit gedacht. Der gesamte Prozess ist umgeben von rassistischen Gedanken, von Fremdenhass und von der Machtdemonstration eines Staates, der Stück für Stück seine rassistischen Überlegungen implementiert.

Wenn diese elf Menschen vom Staat verfolgt werden, dann richtet sich diese Handlung direkt gegen alle, die migrieren, nach Asyl suchen, für freie Bewegung von Menschen und das Recht zu bleiben kämpfen, die Menschen auf ihrem Weg oder bei ihrer Ankunft unterstützen. In diesen Tagen wird Solidarität zeigen und das Kämpfen für Gerechtigkeit mehr und mehr kriminalisiert, sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU. Das ist nur die andere Seite der selben Medaille. Die zehn verurteilten Angeklagten leiden unter dem selben System, das andere ihrer Menschenrechte beraubt. Aktivisten von No Border Serbia heben diesen Punkt ebenfalls hervor.

„Wir wollen klarstellen, dass wir für diesen absurden und grausamen Akt nicht nur die ungarische Regierung als den ‚rechtesten‘ oder grausamsten Staat in der EU verantwortlich machen wollen, so wie es andere sogenannte ‚demokratische‘ Staatsinstitutionen, NGOs und Massenmedien tun. Die ‚Horgoš/Röszke‘ Prozesse machen die Realität eines Systems deutlich, indem Staats- und Polizeigewalt nie in Frage gestellt wird und in dem sich Geld und und Güter frei bewegen, aber nicht Menschen. Sie werden nur als illegalisierte, billige Arbeitskräfte oder als Konsumenten gebraucht“ (No Border Serbia 17.05.2016).

Mit der Räumung des Camps in Idomeni ging auch die Berichterstattung zurück und verschwand fast vollkommen. Aber was für die unsichtbar bleibt, die nicht auf der Balkanroute präsent sind, ist, dass weiterhin hunderte Menschen auf ihrem Weg jeden Tag Polizeigewalt und physische Belastungen erleben. Die Schließung von Staatsgrenzen wird nie die Bewegung von Menschen aufhalten, sondern immer nur die Bedingungen der Migration verschlechtern. So gibt es in Bulgarien ‚Flüchtlingsjäger‘, weiterhin steigt die Polizeigewalt, die Preise steigen und mehr und mehr Menschen ertrinken. Der Prozess der ‚Röszke Eleven‘ ist ein Bild für das europäische Grenzregime, dass versucht Kontrolle über die Außengrenzen zu gewinnen, räumlich, sozial und rechtlich.

Es ist nur die Spitze des Eisberges, doch das europäische Grenzregime wird in dem Fall der ‚Röszke Eleven‘ deutlich und im Fall von Ahmad H. hat die ungarische Justiz bereits eine Entscheidung gefällt und auch der Anwalt blickt sehr pessimistisch auf die Möglichkeiten eines fairen Prozesses. Die einzig verbleibende Chance, vor allem für Ahmad, liegt bei internationaler Unterstützung und Aufmerksamkeit. „Das ist die Art, wie ganz Europa, nicht nur Ungarn, auf diejenigen reagiert, die sich auflehnen, die ihre Rechte verlangen. Dieser Prozess soll zeigen ‚Das passiert all denen, die sich wehren‘“ (N. von No Border Serbia).

Die nächste Anhörung von Ahmad wird am 28. Oktober 2016 sein. Aus diesem Anlass haben wir auch diesen Report geschrieben, um eure Aktionen zu unterstützen. „Wir hoffen, dass es eine Veröffentlichung von kritischen Analysen und Solidaritätsaktionen gibt. Wir hoffen, dass mehr Menschen involviert und motiviert werden, die Menschen im Gefängnis zu unterstützen. Das wird eine gute Plattform für weitere Aktionen sein“ (N. von No Border Serbia).Wenn es keine Empörung auf internationaler Ebene geben wird, bleiben die ‚Röszke Eleven‘ vergessen. Es ist nun bei euch, nach dem Lesen des Berichts aufzustehen und in Aktion zu treten und Solidarität zu zeigen.

Geschrieben von

Refugee Support Serbian-Hungarian

Text und Zitate übersetzt aus dem Englischen.

In Zusammenarbeit mit

Miszol Csoport Budapest

bordermonitoring.eu Hungary

No Border Serbia

Wenn Sie weitere Fragen haben, kontaktieren Sie uns über refugeesupportserbia [at] riseup.net.

Aufruf zur Solidaritäts-Demonstration “Freiheit für die Röszke 11” // Freitag, 28. Oktober 2016 // 19.00 Uhr // Berlin

Solidaritäts-Demonstration “Freiheit für die Röszke 11 – Solidarität mit Ahmad und allen anderen Angeklagten”

Freitag, 28. Oktober 2016 // 19.00 Uhr // Unter den Linden 76 // Berlin (nahe der ungarischen Botschaft)

flyer1_poster

Nachdem die ungarisch Regierung im September ’15 die Grenzen nach
Serbien geschlossen hatte, wurden bei einem Protest am Grenzübergang
Röszke 11 Menschen, die nicht schnell genug welaufen konnten, verhaftet.

Ein Jahr später: Zehn Menschen wurden zu ein bis drei Jahren Knast ohne
Bewährung verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hat Revision angekündigt:
Die Strafe sei nicht hart genug.

Aber eine Person fehlt – Ahmad H.
Wegen Videomaterials, auf dem man sieht wie er ein Megafon hält und –
genauso wie viele andere – einen Stein wirft, wird er des Terrorismus
angeklagt. Die Anklage fordert mindestens 20 Jahre Haft.

Am 28. Oktober ist der letzte Verhandlungstag. Seid aktiv und kreativ,
zeigt Solidarität und kommt zur Kundgebung!

Mehr Informationen auf Deutsch und Englisch auf der Homepage der Kampagne:
www.freetheroszke11.weebly.com

Oder hier auf diesem Blog.

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Demonstration “Free the Röszke 11 – Solidarity with Ahmad and all of the accused”

Friday, October 28 // 7:00 PM // Unter den Linden 76 // Berlin (close to the Hungarian embassy)

After the hungarian government closed their borders to migrants in
September ’15 people started a protest at the border crossing Roeszke
which got trapped by police. They caught 11 persons who couldn’t come
away fast enough.

One year later: Ten people got 1 to 3 years prison without probation.
The prosecutor already announced to go into revision: he considers the
sentences as too weak and demands harder punishment.

One is missing – Ahmad H. Because of video footage, showing him holding
a megaphone and throwing a stone, he is accused for terrorism, facing no
less than 20 years of prison,

At the 28th October he has his final trial. Get active and creative,
show your solidarity and join our demonstration!

No evidences, no fairness — let’s give it a voice!

More information in German and English:
www.freetheroszke11.weebly.com

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1. Pressemitteilung: Start der Solidaritäts-Kampagne “You can‘t evict solidarity“

Pressekontakt: Tina Weiß / Johannes Korndörfer
Telefon: 0049 152 160 80 994
Email: cantevictsolidarity@riseup.net
Webadresse: https://cantevictsolidarity.noblogs.org/

14. Oktober 2016

Pressemitteilung: Solidaritäts-Kampagne “You can‘t evict solidarity“

Antirassistische Gruppen starten Solidaritäts-Kampagne gegen die Repression nach dem No Border Camp 2016 in Thessaloniki (Griechenland) und rufen zu Solidarität auf.

„You can‘t evict solidarity“ – nennt sich die neue Kampagne – die sich gegen die Repression nach dem No Border Camp in Thessaloniki richtet und heute offiziell gestartet ist.

„Solidarität mit den (migrantischen) Häuserkämpfen in Griechenland und überall!“ so der Untertitel in dem Aufruf des neu gegründeten Bündnisses von No Border Aktivist*innen, antirassistischen Gruppen sowie Ortsgruppen der Roten Hilfe e.V. – das sich nach einer massenhaften Kriminalisierung und Repression gegen Hausbesetzer*innen, Geflüchteten und internationalen Aktivist*innen zusammengefunden hat.

Nach dem Ende des diesjährigen No Border Camps, das vom 15. – 24. Juli 2016 in Thessaloniki (Griechenland) stattfand und zu dem hunderte No Border Aktivist*innen aus Deutschland sowie aus anderen Teilen Europas angereist waren – wurden in den frühen Morgenstunden des 27. Juli 2016 drei besetzte Häuser in Thessaloniki zeitgleich von der Polizei geräumt.

Wie die No Border Aktivistin und eine der Sprecher*innen der Kampagne Tina Weiß mitteilte wurden bei den Räumungen über 100 Menschen festgenommen und 70 von ihnen wegen Hausfriedensbruch, der Störung öffentlicher Ordnung und der Sachbeschädigung angeklagt.
In den folgenden Tagen und Wochen fanden bereits Gerichtsprozesse statt. Darin wurden Dutzende Aktivist*innen bereits zu Geldstrafen und zu auf Bewährung ausgesetzten Haftstrafen verurteilt, etliche weitere Verfahren stehen noch aus.

Bei den geräumten Häusern handelte es sich um das „Orfanotrofeio“ (1) , sowie um das „Nikis“ und das „Hurriya“ – „Squat“ – Gebäude – die von Migrant*innen, sowie griechischen und internationalen Aktivist*innen bewohnt und als Vernetzungsorte und soziale Treffpunkte genutzt wurden.
Das Hurriya Squat war ein mehrstöckiges jahrelang leerstehendes Gebäude mit mehreren Wohnungen, in dem etwa 80 Menschen wohnen konnten. Es wurde im Rahmen des No Border Camps besetzt und sollte Familien auf der Flucht eine selbstbestimmtere Wohnalternative bieten zu den sogenannten Relocation-Camps, welche laut Weiß „isolierte, menschenverachtende Massenunterbringungslager außerhalb der Stadt“ bedeuten.

Die Mitglieder der Antirepressionskampagne ordnen die Räumungen sowie die darauf folgende Repression als staatliche Strategie ein, die einzelne Aktivist*innen einschüchtern und die Solidaritätsbewegung zu schwächen versuche.

„Damit hat in Griechenland ein neues Ausmaß an staatlicher Repression begonnen, die sich maßgeblich gegen eine gemeinsame, selbstorganisierte und solidarische Bewegung von Geflüchteten, griechischen und internationalen Aktivist*innen richtet. Direkt betroffen seien zwar vergleichsweise wenige“ – so Weiß – „gemeint jedoch sei die ganze antirassistische Solidaritätsbewegung.“ Deshalb sei es jetzt besonders wichtig, die Betroffenen nicht allein zu lassen und sie in den bereits laufenden und anstehenden Prozessen zu unterstützen so die Sprecherin der Kampangne weiter.

Ebenfalls am 27. Juli 2016 folgte die Räumung des „Social Center For All“ der No Border Kitchen Lesbos und des Camps am Hafen von Piräus in Athen. Zeitgleich erstattete der Athener Bürgermeister Anzeige gegen die derzeitigen Besetzungen in stadteigenen Gebäuden von Menschen auf der Flucht.

Wie die Aktivistin betont: „sind und waren all diese Häuser wichtige Orte für ein solidarisches Zusammenleben, des sich Treffens, des voneinander Lernens, für Vernetzungen sowie für gemeinsame soziale und politische Kämpfe entgegen rassistischer, nationalistischer und sexistischer Kategorisierung.“

Widerstand und Reaktionen auf die Räumungen ließen nicht lange auf sich warten – so wurden kurz nach den Räumungen Demonstrationen in Thessaloniki, Athen und anderen griechischen und europäischen Städten organisiert. Weiter fanden Aktionen an und vor griechischen Botschaften und Konsulaten statt, sowie symbolische Besetzungen von Syriza- und anderen Parteizentralen.
Kampagnenmitglieder berichten, dass im Rahmen einer Aktion in Thessaloniki während einer Messe in der Agia Sofia Kirche in Thessaloniki, welche Eigentümerin des Gebäudes „Orfanotrofeio“ war, mit Flyern gegen die Räumung des Orfanotrofeios durch die Kirche protestiert wurde. Dabei wurden erneut 25 Aktivist*innen von einem massiven Polizeiaufgebot verhaftet und in einem Schnellverfahren verurteilt. Außerdem wurden drei Personen aus dem Relocation-Camp Softex angeklagt, bei Ausschreitungen und Protest nach dem Tod der schwangeren Asas Ragda nach verweigerter Behandlung durch Ärzt*innen am Donnerstag 28. Juli 2016 im Camp Softex bei Thessaloniki einen Polizisten verletzt zu haben. Ihr Urteil ist bisher noch unklar.

„Sie können uns die Räume nehmen, aber nicht die Solidarität!“ so weiter im Aufruf des Bündnisses. Die Aktivist*innen und Mitglieder der Antirepressionskampagne „You can‘t evict solidarity“ rechnen mit weiteren Repressionswellen und umfangreichen Kriminalisierungen von Flüchtenden und No Border Aktivist*innen. „Wir brauchen einen langen Atem, um Prozessbegleitung für Menschen in verschiedenen Ländern und unter verschiedenen Bedingungen zu gewährleisten“, betont Weiß. Es müssen möglicherweise für beinahe 100 Personen Prozess- und Strafkosten aufgebracht werden, was allein für diejenigen, die nach den Räumungen und der Protestaktion in der Kirche angeklagt wurden, 20.000 bis 40.000 Euro an Prozesskosten beträgt. Hinzu kommen Strafgelder, deren Umfang bisher 1200 Euro für eine Person des Nikis-Squats, sowie 4000 Euro für eine weitere Person aus dem Orfanotrofeio umfässt, die jedoch in Revision gegangen ist. Dazu kämen noch Kosten für weitere Revisionsprozesse und für Anwält*innen, wie die Aktivistin weiter berichtet.

„Ein wichtiger Bestandteil in der Antirepressionsarbeit ist das Sammeln von Unterstützungsgeldern, um die oben genannten Summen zu großen Teilen bezahlen zu können“ – ergänzt Johannes Korndörfer , ein weiterer Sprecher der Kampagne. „Der Prozesstermin der angeklagten Personen des Hurriya Squats, wurde auf den 26. Januar 2017 verschoben, das heißt, es stehen noch weitere anstehende Prozesskosten aus, die bezahlt werden müssen.“ – so der Aktivist weiter.

Doch dabei soll es anscheinend nicht bleiben, denn wie Korndörfer in kämpferischem Ton erläutert: „Es werden neue und weitere Häuser gebraucht und diese werden wir uns nehmen!“ Dies gelte nicht nur für Griechenland: „denn die neokapitalistischen Bedingungen herrschen überall“, meinen Korndörfer und seine Genoss*innen. Gemeinsam könnten sie die Repressionsversuche erfolglos werden lassen und gestärkt als Bewegung aus diesem Sommer hervorgehen.

„Was auch immer wir organisieren können – das Geld wird dringend gebraucht, jetzt und in Zukunft.“ Weiterhin rufen die Aktivist*innen dazu auf die anstehenden Prozesse zu besuchen und mobilisieren darüber hinaus zum Prozess für die die Besetzer*innen des „Hurriya-Sqats“ dessen Termin auf den 26. Januar 2017 festgesetzt wurde.

Weitere Informationen zur Kampagne und den laufenden Prozessen unter:
https://cantevictsolidarity.noblogs.org/informationen-zur-kampagne-informations-about-the-campaign/
Weitere Infos zu den Hausbesetzungen auf :
https://cantevictsolidarity.noblogs.org/informationen-zu-den-hausbesetzungen/

Spendenkonto:
Rote Hilfe e.V. / OG Salzwedel
IBAN: DE93 4306 0967 4007 2383 12
BIC : GENODEM1GLS
GLS Gemeinschaftsbank eG
Verwendungszweck: Cant evict Solidarity

Pressekontakt: Tina Weiß / Johannes Korndörfer
Telefon: 0049 152 160 80 994
Email: cantevictsolidarity@riseup.net