#FreeTheMoria6 – Nach dem Brand im Moria Camp: Forderung nach einem fairen und transparenten Prozess für die angeklagten Moria 6 auf der Grundlage der Unschuldsvermutung!
Wir sind zutiefst besorgt darüber, dass ihr Recht auf einen fairen und gerechten Prozess, basierend auf der Unschuldsvermutung, nicht gewährleistet ist und sie stattdessen zu Sündenböcken für die unmenschliche EU-Migrationspolitik gemacht werden. Wir stehen in Solidarität mit den Moria 6 und gegen das tödliche europäische Grenzregime!
Am 8. September 2020 brannte – angefacht durch einen starken Wind – das berüchtigte Camp Moria auf der griechischen Insel Lesbos vollständig ab. Die großflächigen und langanhaltenden Brände, die gut dokumentiert und nahezu live über soziale Medien übertragen wurden, brachten die anhaltende Politik der Abschreckung durch unmenschliche Bedingungen in Europas Hotspot-Lagern in der Ägäis zurück in das mediale Rampenlicht. (Fußnote 1)
Anstatt das Feuer als unvermeidliche Katastrophe in einer tödlichen Lagerinfrastruktur zu sehen, verhaftete der griechische Staat sechs junge afghanische Migranten und präsentierte sie als die Schuldigen und alleinige Auslöser des Feuers womit versucht wurde, eine weitere öffentliche Debatte über die Lebensbedingungen im Lager und die politische Verantwortung im Keim zu ersticken. Die Brände ereigneten sich zu einer Zeit, als die Zahl der im Lager lebenden Menschen 12.000 erreicht hatte, Bewegungseinschränkungen seit fast sechs Monaten in Kraft waren und sich eine wachsende Angst vor Covid-19 im Lager ausbreitete. Eine Woche vor dem Brand war die erste Person positiv getestet worden. Anstatt die infizierten Menschen aus dem Lager zu bringen und die Lebensbedingungen für die Eingeschlossenen zu verbessern, plante die Regierung, das gesamte Lager mit einem doppelten Nato-Hochsicherheitszaun komplett abzuriegeln und ging gewaltsam gegen jeden Protest vor. (Fußnote 2)
Die Befürchtungen von Prozessbeobachtenden haben sich bereits bewahrheitet, als die beiden offiziell als Minderjährige anerkannten Personen im März 2021 vor Gericht standen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die beiden bereits seit fast sechs Monaten in Untersuchungshaft, der gesetzlichen Höchstdauer für Minderjährige, und hätten folglich bald entlassen werden müssen. In einer eilig einberufenen Gerichtsverhandlung, die grundlegende prozessuale Standards der Fairness missachtete (Fußnote 3), wurden sie trotz fehlender Beweise für schuldig befunden und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.
Der Fall der Moria 6 ist nicht das erste Mal, dass MigrantInnen in Griechenland willkürlich verhaftet und angeklagt wurden (siehe den Fall der Moria 35). Diese Praxis ist schon lange Teil des unmenschlichen EU-Grenzregimes. Im aktuellen politischen Umfeld hat die Kriminalisierung von Migration jedoch eine neue Stufe erreicht, ebenso wie die illegalen Pushbacks von MigrantInnen durch die Behörden.
Wir fordern einen fairen und transparenten Prozess am 11. Juni!
Wir stehen in Solidarität mit den Moria 6 und gegen das tödliche europäische Grenzregime!
Wir fordern die EU und den griechischen Staat auf, Verantwortung für die unmenschlichen Lager, die sie mutwillig geschaffen haben, und für das menschliche Leid, das daraus resultiert, zu übernehmen! – Stoppt die Abschottung der Menschen am Rande der EU! – Schluss mit dem EU-Türkei-Deal! – No more Morias! – Free the Moria 6!
++ Unterschreibt den Aufruf, teilt die Infos, organisiert Solidaritätsaktionen unter dem Hashtag #FreeTheMoria6 ++
Alle Gruppen und Initiativen, die unterschreiben wollen, schicken bitte bis spätestens 5. Juni 2021 eine E-Mail an freethemoria6@riseup.net
Wir teilen einen Artikel von boderline-europe (https://www.borderline-europe.de/unsere-arbeit/lesbos-mohamad-h-zu-146-jahren-haft-verurteilt?l=en):
Prozessbericht – Lesbos: Mohamad H. zu 146 Jahren Haft verurteilt
Am Donnerstag, den 13. Mai 2021, wurde der Geflüchtete Mohamad H. vom Gericht in Mytilene, Lesbos, zu 146 Jahren Gefängnis verurteilt. Das Urteil wurde gefällt, obwohl weitere Geflüchtete, die mit im Boot saßen, im Zeug*innenstand erschienen und aussagten, dass sie Mohamad ihr Leben verdanken. Die Anwälte werden Berufung einlegen.
“Warum haben Sie nicht einfach ein Ticket gekauft und sind mit der Fähre nach Griechenland gekommen?” – In dieser einen einzige Frage des Richters an Mohamad wird auf schockierende Weise die Absurdität, der grausamen Zynismus und die völlige Realitätsferne deutlich, die den Verhaftungen und anschließenden Prozessen gegen Schutzsuchende als “Schmuggler” in Griechenland, aber auch überall sonst, zugrunde liegen.
Am Donnerstag, den 13. Mai 2021, fand in Mytilene auf Lesbos der Prozess gegen den 27-jährigen Geflüchteten Mohamad H. statt. Wie bereits berichtet, wurde Mohamad H. im Dezember 2020 direkt nach seiner Ankunft als “Fahrer” des Bootes, mit dem er und 33 weitere Passagiere versuchten, Griechenland zu erreichen, verhaftet, und damit des “Transports von Drittstaatsangehörigen ohne Einreiseerlaubnis in griechisches Hoheitsgebiet” (Schmuggel) angeklagt, mit den erschwerenden Umständen der Gefährdung des Lebens von 31 Personen und der Verschuldung des Todes von zwei Personen. Als das Boot in Seenot geriet, hatte er versucht, es irgendwie sicher an Land zu steuern und das Leben aller an Bord zu retten, obwohl er selbst Geflüchteter und keine Erfahrung in der Seefahrt hatte. Tragischerweise kenterte das Boot und zwei Frauen starben (mehr lesen).
Bei der Verhandlung erschienen acht Personen, die mit Mohamad H. im selben Boot waren, vor Gericht, um für ihn auszusagen. Zwei von ihnen wurden als Zeugen zugelassen. Sie gaben an, dass Mohamad einer von ihnen ist, der nur versucht hat, das Leben aller zu retten, dass der Schmuggler ein türkischer Mann war, der sie im Meer zurückgelassen hat und dass der Schiffbruch durch die Handlungen des Schmugglers und der türkischen Küstenwache verursacht wurde, die sie nicht gerettet hat, obwohl sie um Hilfe gerufen haben.
Der Richter jedoch bestand auf der Tatsache, dass in der Vorverhandlung zwei Zeug*innen den Angeklagten als “Fahrer” angegeben hatten, obwohl die Verteidigung darauf hinwies, dass die Übersetzung während der Vorverhandlung problematisch war, da sie auf Englisch und nicht auf Somali stattfand, sowie auf die Tatsache, dass die Zeug*innen den Angeklagten nicht als den Schmuggler, sondern eben als die Person, die das Boot in einer Notsituation fuhr, identifiziert hatten.
Auch Mohamad H. wiederholte noch einmal, dass er selbst Geflüchteter und nicht der Schmuggler sei. Er erklärte, dass er gar nicht wisse, wie man ein Boot steuere und es auch nicht steuern wollte und dass er das Steuer nur deswegen übernommen habe, um sich und seine Mitreisenden vor dem Ertrinken zu retten. Er tat dies, ohne zu wissen, dass das bloße Steuern nach griechischem Recht ein Verbrechen darstellt.
Hierauf entgegnete der Richter mit der Frage: “Wie ist es möglich, dass Sie nicht wussten, dass das, was Sie taten, illegal war? Warum haben Sie dann nicht einfach ein Ticket gekauft und sind mit der Fähre nach Griechenland gekommen?”
Angesichts der Tatsache, dass es keine sicheren und legalen Wege gibt, nach Europa einzureisen und Asyl zu beantragen, ist diese Frage nicht nur grotesk und völlig realitätsfremd, sondern zynisch und grausam. Es ist die europäische Politik der Abschreckung und der geschlossenen Grenzen, die Menschen in seeuntaugliche Boote und auf lebensgefährliche Routen und dazu zwingt, ihr Leben und das ihrer Familien zu riskieren. Vielleicht sollte jemand dem Gericht erklären, wie das europäische Ayslsystem funktioniert, bevor es einen Schutzsuchenden zu 146 Jahren verurteilt, weil er “nicht einfach ein Ticket gekauft und mit der Fähre nach Griechenland gekommen ist”.
Die Staatsanwaltschaft forderte, Mohamad H. nur für das Verbrechen des Artikels 30- Abs. 1 Punkt a. (Gesetz 4251/2014) schuldig zu sprechen: “Transport von Drittstaatsangehörigen ohne Einreiseerlaubnis in griechisches Hoheitsgebiet”. Dennoch bestanden die Richter auf der ursprünglichen Anklage, Mohamad H. auch der erschwerenden Umstände (Punkte c und d des Artikels 30) schuldig zu sprechen – “Gefährdung des Lebens von Menschen” und “Verschuldung des Todes”. Sie akzeptierten den mildernden Umstand, dass Mohamad keine Vorstrafen hat, was dazu führte, dass die lebenslangen Haftstrafen sowie die Geldstrafe entfielen. Im Detail verhängten sie 15 Jahre Haft für jede verstorbene Person (2 Frauen) und 8 Jahre für jede Person an Bord (31 Personen). Einem Prinzip folgend, das im griechischen Recht “Zusammenlegung von Strafen” genannt wird, resultiere dies in einem Urteil von 146 Jahren.
Die Verteidigung, die Anwälte Dimitris Choulis und Alexandros Georgoulis, werden Berufung gegen das Urteil einlegen.
Hier findet ihr den am 30.04.2021 zuerst ausgetrahlten Podcast zum Fall und Prozess der Moria 6 zum Nachhören.
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YOU CAN’T EVICT SOLIDARITY, ein Podcast für grenzenlose Solidarität | Folge 1: Die Moria 6 – erste Verurteilungen nach den Bränden im Lager Moria im September 2020
Mit dieser Folge startet der Podcast der Antirepressions-Kampagne You can’t evict solidarity mit der ersten Folge im Stadtradio Göttingen!
Nachdem im September 2020 das europäische Hotspot-Lager Moria auf Lesvos komplett niederbrannte, wurden willkürlich 6 Jugendliche verhaftet. Zwei von ihnen wurden nun ein Jahr später ohne jegliche Beweise verurteilt.
Wir sprechen über die katastrophalen Zustände im Lager, über die Brände im September 2020, über die menschenverachtenden Abschottungs- und Einsperrpolitiken der EU und des griechischen Staates, über Proteste und Widerstände der Betroffenen und über die krassen Repressionen, die willkürlich gegen Geflüchtete verhängt werden.
You can’t evict solidarity ist eine Antirepressions-Kampagne, die Menschen auf der Flucht nach Fällen staatlicher oder anderer institutioneller Repression unterstützt. Mehr Infos findet ihr auf dem Blog cantevictsolidarity.noblogs.org
Den Sampler “The Balkan Route” vom NoBorders Music Collective mit den Tracks “Fuck Being A Refugee” von Amine Oucheri, Anon & Kasoz und “Dile Min Biaxiva (Kurdish Cowboy Version)” von Salman Duski findet ihr hier: https://musicnoborders.bandcamp.com/
Presseerklärung der Initiativen “You Can`t Evict Solidarity”, Christian Peacemaker Teams (CPT) – Aegean Migrant Solidarity und borderline-europe, 26.04.2021
Skandalöse Verurteilung eines syrischen Geflüchteten auf der griechischen Insel Lesbos zu 52 Jahren Haft +++ Prozessbeobachter_innen kritisieren die Kriminalisierung von Flucht scharf
Am Freitag, den 23. April 2021, fand in Mytilini auf der griechischen Insel Lesbos der Prozess gegen K. S., einen jungen, aus Syrien geflüchteten Mann, statt. Er wurde wegen “unerlaubter Einreise” und “Beihilfe zur illegalen Einreise” zu 52 Jahren Haft verurteilt. Prozessbeobachter_innen der Initiativen “You Can`t Evict Solidarity”, Christian Peacemaker Teams (CPT) – Aegean Migrant Solidarity und borderline-europe bewerten das Urteil als Skandal. Sie kritisieren das unfaire Verfahren und fordern erneut die sofortige Freilassung des Angeklagten.
Wie er im Prozess schilderte, floh der Angeklagte K. S. mit seiner Familie vor dem Bürgerkrieg in Syrien in die Türkei. Dort weigerte er sich, an dem türkischen Militäreinsatz im Bürgerkrieg in Libyen teilzunehmen, und wurde daraufhin inhaftiert und gefoltert. Es gelang ihm mit seiner Frau und seinen drei kleinen Kindern weiter bis in die EU zu fliehen. Als die Familie die griechische Insel Chios Anfang März 2020 erreichte, wurde ihnen wie allen Menschen, die zu dieser Zeit in Griechenland ankamen, das Recht auf Asyl für einen Monat verweigert. Der Hintergrund, der im Prozess auch von einer Zeugin von CPT – Aegean Migrant Solidarity geschildert wurde, ist, dass der griechische Staat im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung zwischen der Türkei und der EU das Recht auf Asyl rechtswidrig ausgesetzt hatte und systematisch Strafanzeigen wegen “illegaler Einreise” gegen Migrantinnen und Migranten erhob, die in Europa um Schutz suchten. Zusätzlich wurde K.S. nach der Ankunft zu Unrecht beschuldigt das Boot, mit dem er und seine Familie auf Chios ankamen gesteuert zu haben und zusätzlich wegen “Beihilfe zur illegalen Einreise” sowie dem “Herbeiführen eines Schiffsunfalls” angeklagt.
Ein Prozessbeobachter erklärt zu den Hintergründen der Anklage: “Die Erhebung solcher Anklagen gegen auf den griechischen Inseln ankommenden Migrant_innen, die angeblich als Bootsfahrer identifiziert wurden, ist seit einigen Jahren ein systematisches Vorgehen des griechischen Staates. Sie beruht auf der absurden Vorstellung, dass jeder, der ein Schlauchboot mit Schutzsuchenden fährt, ein Schmuggler ist. Oft sind die Beschuldigten selbst Schutzsuchende und wurden zum Fahren des Bootes genötigt. In der Praxis bedeutet die Verfolgung von “Schmugglern”, dass jemandem aus einem ankommenden Schlauchboot angeklagt wird, das Boot gefahren zu haben, ob er es nun war oder nicht. Sie werden ohne ausreichende Beweise meist noch vor Ort verhaftet und monatelang in Untersuchungshaft verwahrt. Wenn ihr Fall schließlich vor Gericht kommt, dauern ihre Prozesse im Durchschnitt nur 38 Minuten, und sie werden zu hohen Haftstrafen verurteilt, in einigen Fällen zu über 100 Jahren Gefängnis mit sehr hohen Geldstrafen. Für die Anklagepunkte, die gegen K.S. erhoben wurden, beträgt die durchschnittliche Strafe 93 Jahre. Diese Verfahren laufen nicht fair und rechtsstaatlich ab. Uns sind Hunderte solcher Fälle bekannt von Menschen, die wegen diesen Vorwürfen in griechischen Gefängnissen sitzen, wie ein Bericht von CPT – Aegean Migrant Solidarity, borderline-europe und Deportation Monitoring Aegean zeigt (1). Zuletzt wurden u.a. im vergangenen Jahr die beiden Geflüchteten Amir und Razouli im Rahmen eines solchen Verfahrens zu 50 Jahren Haft verurteilt und warten nun im griechischen Gefängnis auf ihren Berufungsverhandlung im März 2022 (2).”
Nach über einem Jahr Untersuchungshaft und nachdem das Verfahren kurzfristig auf Freitag, den 23.04.2021, verschoben worden war, wurde der Angeklagte K.S. in nur wenigen Stunden wegen “unerlaubter Einreise” und als Schlepper (“Beihilfe zur illegalen Einreise” zu 52 Jahren Haft verurteilt (10 Jahre plus ein Jahr für jede Person auf dem Boot). Zusätzlich wurde eine Geldstrafe von 242.000 Euro verhängt. Dieses hohe Strafmaß wurde verhängt, obwohl er von den Anklagepunkten “Herbeiführen eines Schiffsunfalls” und “Widerstand” freigesprochen wurde.
K.S. wurde nicht wegen seiner Schuld an den “Verbrechen”, für die er angeklagt war, verurteilt, sondern stellvertretend, um die Migration nach Europa im Allgemeinen zu verurteilen. K.S. war abfälligen Äußerungen des Gerichts ausgesetzt, wurde über seinen muslimischen Glauben befragt und gefragt, warum er nicht in Syrien geblieben sei, um für sein Land zu kämpfen. Der Prozess war von großen Unregelmäßigkeiten durchsetzt. So basierte die Anklage der Staatsanwaltschaft auf widersprüchliche Listen über die Anzahl der Menschen auf dem Boot. Der Hauptzeuge der Anklage, ein Offizier der Küstenwache, sagte sehr detailliert aus, machte aber keine Aussage zu der wichtigen Frage, ob er den Angeklagten beim Fahren des Bootes gesehen hatte. Im Gegenzug sagte die Frau des Angeklagten als Zeugin aus und bestätigte, dass er das Boot nicht gefahren hat. Als der Offizier der Küstenwache am Ende seiner Zeugenaussage erklärte, dass K.S. freigelassen werden sollte, weil er aus einem Kriegsgebiet geflohen sei, entgegnete der Staatsanwalt, dass er in der Türkei hätte bleiben können – unfassbar, da K.S. dort inhaftiert und gefoltert worden war.
Seine Anwältin und sein Anwalt vom Legal Center Lesbos legten sofort nach dem Urteil Berufung ein. K.S. muss die Zeit bis zur Berufungsverhandlung (vermutlich in etwa einem Jahr) wieder im berüchtigten Gefängis Korydallos auf dem griechischen Festland verbringen.
Johannes Körner von der Kampagne “You can`t evict Solidarity” erklärte zum Urteil:
“Wir sowie die Initiativen CPT – Aegean Migrant Solidarity und borderline.europe werden den Angeklagten weiterhin solidarisch unterstützen. Wir fordern Griechenland und die Europäische Union auf, die willkürliche Inhaftierung von Geflüchteten und Migrant_innen sofort zu beenden sowie den Freispruch und die sofortige Freilassung des Angeklagten. Außerdem müssen die noch ausstehenden derartigen Prozesse fallengelassen werden – oder zumindest vor einem anderen Gericht als dem voreingenommenen Gericht in Mytilini verhandelt werden.”
Ein Mitglied des Christian Peacemaker Teams – Aegean Migrant Solidarity ergänzt:
“Migrant_innen, die in Europa Zuflucht suchen und des Verbrechens der Beihilfe zur illegalen Einreise angeklagt sind, können offensichtlich nicht erwarten, dass sie vor dem Gericht in Mytilini einen fairen Prozess erhalten. K.S. wurde verurteilt, ohne dass Beweise vorlagen, die ihn eindeutig identifizierten. Dies ist bezeichnend für ein Justizsystem, das den lautstarken Teil der lokalen Gesellschaft bedient, der einen Sündenbock für die Migration auf die Insel sucht.”
Pressemitteilung der Initiativen “You Can`t Evict Solidarity”, CPT – Aegean Migrant Solidarity und borderline-europe, 20.04.2021
Flucht ist kein Verbrechen: Drohende Verurteilung eines syrischen Geflüchteten nach Prozess auf Lesbos zu jahrzehntelanger Haft +++ Die Initiativen “You Can`t Evict Solidarity”, CPT – Aegean Migrant Solidarity und borderline-europe fordern den Freispruch und die sofortige Freilassung des Angeklagten
Griechenland/Deutschland. Am morgigen Mittwoch, den 21. April 2021, findet in Mytilini auf der griechischen Insel Lesbos der Prozess gegen K. S., einen jungen, aus Syrien geflüchteten Mann, statt. Ihm werden “unerlaubter Einreise”, “Menschenhandel” und “Gefährdung von Menschenleben” vorgeworfen, bei einer Verurteilung drohen ihm mehrere Jahrzehnte Haft. Die Initiativen “You Can`t Evict Solidarity”, CPT – Aegean Migrant Solidarity und borderline-europe fordern den Freispruch und die sofortige Freilassung des Angeklagten.
Der Angeklagte K. S. floh mit seiner Familie vor dem Bürgerkrieg in Syrien in die Türkei. Dort weigerte er sich, an dem türkischen Militäreinsatz im Bürgerkrieg in Libyen teilzunehmen, und wurde daraufhin inhaftiert und gefoltert. Es gelang ihm mit seiner Frau und seinen drei Kindern (vier, sechs und sieben Jahre alt) weiter bis in die EU zu fliehen. Als die Familie die griechische Insel Chios Anfang März 2020 erreichte, wurde ihnen wie allen Menschen, die zu dieser Zeit in Griechenland ankamen, das Recht auf Asyl für einen Monat verweigert. Der griechische Staat hatte im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung zwischen der Türkei und der EU das Recht auf Asyl rechtswidrig ausgesetzt und systematisch Strafanzeigen wegen “illegaler Einreise” gegen Migrantinnen und Migranten erhoben, die in Europa um Schutz suchten.
Zusätzlich wurde K.S. nach der Ankunft zu Unrecht beschuldigt das Boot, mit dem er und seine Familie auf Chios ankamen gesteuert zu haben. Er wird nun nicht nur wegen “unerlaubter Einreise”, sondern auch, was noch schwerer wiegt, wegen “Menschhandel” und “Gefährdung von Menschenleben” angeklagt.
Die Erhebung solcher Anklagen gegen auf den griechischen Inseln ankommenden Migranten, die angeblich als Bootsfahrer identifiziert wurden, ist seit einigen Jahren ein systematisches Vorgehen des griechischen Staates. Sie beruht auf der absurden Vorstellung, dass jeder, der ein Schlauchboot mit Schutzsuchenden fährt, ein Schmuggler ist. Oft sind die Beschuldigten selbst Schutzsuchende und wurden zum Fahren des Bootes genötigt. In der Praxis bedeutet die Verfolgung von “Schmugglern”, dass jemandem aus einem ankommenden Schlauchboot angeklagt wird, das Boot gefahren zu haben, ob er es nun war oder nicht. Sie werden ohne ausreichende Beweise meist noch vor Ort verhaftet und monatelang in Untersuchungshaft verwahrt. Wenn ihr Fall schließlich vor Gericht kommt, dauern ihre Prozesse im Durchschnitt nur 38 Minuten, und sie werden zu hohen Haftstrafen verurteilt, in einigen Fällen zu über 100 Jahren Gefängnis mit sehr hohen Geldstrafen. Für die Anklagepunkte, die gegen K.S. erhoben wurden, beträgt die durchschnittliche Strafe 93 Jahre.
Diese Verfahren laufen aus Sicht von unabhängigen Prozessbeobachter_innen nicht fair und rechtsstaatlich ab. Es sind Hunderte solcher Fälle bekannt von Menschen, die wegen diesen Vorwürfen in griechischen Gefängnissen sitzen, wie ein Bericht von CPT – Aegean Migrant Solidarity, borderline-europe und Deportation Monitoring Aegean zeigt (1). Zuletzt wurden u.a. im vergangenen Jahr die beiden Geflüchteten Amir und Razouli im Rahmen eines solchen Verfahrens zu 50 Jahren Haft verurteilt und warten nun im griechischen Gefängnis auf ihren Berufungsverhandlung im März 2022 (2).
Der Angeklagte K.S. ist nun seit über einem Jahr in Untersuchungshaft im griechischen Gefängnis Korydallos auf dem Festland. Er wird beim Prozess zum ersten Mal seine Kinder und seine Frau wiedersehen, die in einem Camp in der Nähe von Athen leben. Seine Frau wird als Zeugin aussagen und bestätigen, dass er das Boot nicht gesteuert hat. Außerdem wird eine Zeugin, eine Wissenschaftlerin, die im Bereich Anthropologie an der Universität der Ägäis forscht und bei dem Christian Peacemaker Teams (CPT) – Aegean Migrant Solidarity arbeitet als Expertin über den politischen Kontext aussagen, in dem K.S. von der Türkei nach Griechenland übergesetzt ist. Juristisch wird er von einer Anwältin und einem Anwalt vom Legal Center Lesbos vertreten.
Die Initiativen “You can`t evict Solidarity”, CPT – Aegean Migrant Solidarity und borderline-europe werden den Prozess solidarisch begleiten. Sie fordern Griechenland und die Europäische Union auf, die willkürliche Inhaftierung von Flüchtlingen und Migranten sofort zu beenden sowie den Freispruch und die sofortige Freilassung des Angeklagten.
Heute ist der 18. März. Und heute vor genau 150 Jahren, am 18. März 1871 begann die Pariser Kommune. Deswegen begehen wir heute den internationalen Tag der politischen und sozialen Gefangenen.
Heute ist aber nicht nur der Jahrestag der Pariser Kommune. Heute vor genau fünf Jahren, am 18. März 2016 verabschiedeten die Europäische Union und die Republik Türkei ein Abkommen, das als EU-Türkei-Deal bekannt wurde.
Mit diesem dreckigen Deal versuchte das Europäische Grenzregime den sogenannten Langen Sommer der Migration, in welchem zehntausende Menschen selbstbestimmt die Grenzen der Festung Europa überwunden hatten, wieder unter ihre Kontrolle zu bringen.
Leider hat auch dieser Jahrestag etwas mit dem Tag der politischen und sozialen Gefangenen zu tun – Denn Knäste sind ein fester Bestandteil des Grenzregimes und sind es seit dem EU-Türkei-Deal um so mehr geworden.
Allein im Jahr 2016 wurden in Griechenland nach offiziellen Zahlen 4.072 Asylsuchende inhaftiert und zigtausende Haftbefehle für Migrant*innen erlassen.
In den europäischen Hot-Spot-Camps auf den griechischen Inseln Lesvos, Chios, Samos, Leros und Kos befinden sich überall Knäste innerhalb der europäischen Erstaufnahme-Lager. Hier werden Menschen eingesperrt, die gerade die Überfahrt über das Aegäische Meer in einem Schlauchboot überlebt haben, viele direkt nach ihrer Ankunft.
Das heißt dann “Detention upon arrival”. In “Detention upon arrival” werden vor allem Personen inhaftiert, weil sie aus Ländern kommen, für die die Anerkennungsquote nach europäischer Statistik für ihren Asyl-Antrag als gering gilt. Eingesperrt wird also, wer die “falschen” Papiere hat oder aus dem “falschen” Land kommt. Und das ist selbst nach Dienstanweisung der griechischen Polizei der einzige Grund.
An den europäischen Außengrenzen ist Knast ein rassistisches Instrument, das die vereinfachte Abschiebung von Menschen mit bestimmten Nationalitäten erlaubt. Damit werden die Zukunftsperspektiven von Menschen abhängig von ihrer Herkunft sortiert. Die Beachtung individueller Fluchtgründe sind von diesem System nicht vorgesehen – sie werden gänzlich außer Acht gelassen.
Doch nicht nur Abschiebeknäste sind ein Mittel der europäischen Grenzpolitik. Flüchtende werden zudem auch immer wieder mit Kriminalisierungen überzogen, insbesondere, wenn sie sich politisch gegen die unhaltbaren Zustände organisieren, protestieren oder anders Widerstand leisten.
Auch die Flucht selbst wird kriminalisiert: regelmäßig werden diejenigen, die das Schlauchboot bei der Überfahrt auf die Inseln einfach nur gesteuert haben sollen, als Schmuggler*innen angeklagt und in Schnellverfahren zu absurd hohen Haftstrafen bis zu – ungelogen – 130 Jahren verurteilt.
Wenn es dann zum Prozess kommt, gibt es fast nie einen Zugang zu richtiger juristischer Vertretung oder einer angemessenen Übersetzung.
Als Antirepressions-Kampagne You cant evict Solidarity haben wir uns 2016 gegründet, nachdem bei der Räumung verschiedener Squats in Thessaloniki auch Geflüchtete inhaftiert wurden, und es kaum solidarische und politische Unterstützung zu erwarten gab. Aktuell unterstützen wir viele, migrantische Kämpfe gegen das EU-Grenz-Regime.
Wir wollen heute, am Tag der politischen und sozialen Gefangenen, vor allem auch auf diejenigen aufmerksam machen, deren Kämpfe gegen staatliche Repressionen, Rassismus, Gewalt und Unterdrückung in Europa und hier in Deutschland kaum sichtbar oder hörbar sind.
Menschen, die systematisch diskriminiert, kriminalisiert, weggesperrt werden – und zwar dafür, dass sie versuchen, für ein besserers Leben oder um ihr Überleben zu kämpfen. Dafür, dass sie aus politischen, humanitären, ökonomischen oder sonstwas für Gründen in die Flucht gezwungen wurden. Dafür, dass sie durch Proteste und Widerstände ihre Würde und ihre psychische und körperliche Unversehrtheit verteidigen. Festgenommen aus rassistischen Motiven und zur Sicherung des europäischen Grenzregimes.
People on the move, die in Knäste gesperrt werden, sind dabei immer auch politische Gefangene! Flüchtende sind keine passiven Opfer, denen aus Europa paternalistisch die eine oder andere humanitäre Hilfe angeboten werden kann – oder eben auch nicht. Menschen, die Grenzen überwinden, nehmen ihr Schicksal in die eigene Hand und wehren sich damit auch gegen die Repression und Abschottung des Grenzregimes. Wenn sie dewegen kriminalisiert werden, dann ist das eine Kriminalisierung von politischen Aktionen!
Aber nicht nur wenn Widerstand oder Protest organisiert werden – jedes Überwinden von Grenzen wirkt als Akt gegen eine politische Ordnung, die die Bewegungsfreiheit von Menschen im globalen Maßstab einschränken und kontrollieren will. Jede Kriminalisierung von Migration und von Menschen auf der Flucht ist deswegen auch politische Justiz, jede eingesperrte Flüchtende ist eine politische Gefangene!
Menschen werden in unsägliche Lebensbedingungen gezwungen, gegen die es selbstverständlich Widerstände gibt, weil sie einfach unerträglich sind. Proteste werden nieder geknüppelt, Menschen aus rassistischen Motiven und willkürlich verhaftet und ohne faire Prozesse, geschweige denn Zugang zu notwendigem legal support unter Ausschluss der Öffentlichkeit, mit haarsträubenden Haftstrafen eingeknastet.
Wie absurd und unmenschlich diese politische Justiz gegen people on the move ist und welche Ausmaße sie annimmt, zeigen unzählige Beispiele:
erst letzte Woche wurden zwei minderjährige zu fünf Jahren Knast auf Lesvos verurteilt, weil ihnen ohne jeglichen Beweis der Brand des Elends-Lagers Moria angehängt wurde und sie dafür nun als Sündenböcke herhalten sollen. Der Prozess dauerte einen Tag, fand unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit statt und der Prozesstermin wurde vorher nicht angekündigt.
Einziger Belastungszeuge war ein community-leader, bei dem einiges dafür spricht, dass er mit der Polizei dealt. Dieser ist dann zum Prozess nicht mal erschienen, stattdessen wurde einfach seine schriftliche Aussage von vor sechs Monaten gewertet. Entlastungszeug:innen, die für die Angeklagten aussagen wollten, wurden vom Gericht einfach nicht angehört.
Ein anderes, ebenfalls sehr tragisches Beispiel: als am 8. November 2020 eine Gruppe Flüchtender versucht, mit dem Boot von der türkischen Küste auf die Insel Samos über zu setzten, kentert das Boot. Ein sechs Jahre altes Kind verliert dabei sein Leben.
Die griechische Küstenwache reagiert anscheinend erst Stunden nach dem Notruf, statt direkt und damit das Leben des Kindes zu retten. Die Polizei aber verhaftet den Vater des sechs-Jährigen, der gerade die Überfahrt überlebt und sein Kind verloren hat. Der Vorwurf lautet, dass er das Leben seines Kindes durch die Überfahrt gefährdet hat. Kriminalisiert wird der Vater -wohlgemerkt nicht die Küstenwache! Dabei fährt die Küstenwache seit Monaten hochriskante Mannöver bei push-backs und gefährdet dabei wissentlich und willentlich immer wieder Menschenleben.
Ende Februar diesen Jahres versucht eine schwangere Frau im Moria-Ersatz-Lager Kara Tepe auf Lesvos aus Verzweiflung Selbstmord zu begehen, nachdem sie dachte, dass ihr Ausreiseantrag nach Deutschland abgelehnt wurde. Sie zündet sich selbst in ihrem Zelt an und überlebt, weil andere das Feuer löschen. Die Reaktion von Polizei und Staatsanwaltschaft: gegen die Frau wird wegen Brandstiftung ermittelt, weil sie ihr Zelt in dem Lager angezündet hat.
Menschen werden in ein politisches Spiel geworfen, in dem sie als Sündenbock für die Ereignisse herhalten sollen, die aus der katastrophalen Migrationspolitik und aus dem Europäischen Grenzregime resultieren – mit seinen Hotspot-Lagern und dem Versagen auf ganzer Länge aller europäischen Staaten beim Schutz von Geflüchteten
All diese verschiedenen Formen der Kriminalisierung von Menschen hängen zusammen. Menschen, die Grenzen überwinden, fordern die Festung Europa und damit die staatliche Ordnung heraus. Sie tun dies ebenso wie diejeningen, die sich durch Proteste und Widerstand gegen staatliche Unterdrückung wehren. Sie sind politische Gefangene, mit denen wir uns solidarisch erklären!
Freiheit für alle politischen Gefangenen! Gerechtigkeit für alle sozialen Gefangenen! Schließt alle Knäste! Open the Borders! Migration is not a crime!
Hiermit solidarisieren wir uns mit dem seit 2002 in Griechenland inhaftierten Dimitris Koufontinas und seinem Hungerstreik.
Wir sind empört über die staatliche Willkür, mit der die Haftbedingungen von Dimitris verschlimmert werden, und wünschen ihm Kraft & Durchhaltevermögen in seinem aktuellen und schon lebensbedrohlichen Hunger- und Durststreik!
In Solidarität mit Dimitris teilen wir den weiter unten folgenden Artikel, der durch den “Freitag” veröffentlicht wurde.
Our passion for freedom is stronger than their prisons!
Januar 2021: Griechische Polizisten schirmen das Parlament während einer Demonstration für den Inhaftierten Dimitris Koufontinas ab; Foto: Louisa Gouliamaki/AFP/Getty Images
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Seit Jahrzehnten erleben wir ein „Rollback“ des Neoliberalismus, verbunden mit dem Abbau des Sozialstaats und staatlicher Für- und Vorsorge sowie einer Verpflichtung des Individuums zum Selbstschutz. In der Corona-Krise ist das besonders deutlich geworden. Gleichzeitig gilt auch: Es gibt wenig Widerstand gegen politische Maßnahmen und die sozialen Härten, die mit ihnen verbunden sind, weder durch Streiks oder gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen noch auf der Straße, also durch Demonstrationen und Protestkundgebungen, denn die Menschen sorgen sich vor allem um sich selbst. Das verschafft den Regierenden neue Spielräume. In anderen Staaten wird die Situation der Angst vor der Pandemie noch sehr viel mehr ausgenutzt als in Deutschland. Ich will das am Beispiel Griechenlands zeigen.
Lockdown und autoritäre Maßnahmen
Die Lockdowns im Frühjahr und seit Anfang November 2020 bis heute waren und sind in Griechenland schärfer als in Deutschland und den meisten anderen europäischen Ländern. Man darf nur aus dem Haus, wenn man eine SMS geschickt (oder eine entsprechende Erklärung ausgefüllt) hat, in der man den Grund angibt. Die Polizei kontrolliert und erhebt bei Verstößen Bußgelder in Höhe von 300 Euro. Man darf nicht besuchen oder besucht werden. Wird man erwischt, drohen Bußen bis zu 3.000 Euro.
Seit Beginn der Corona-Krise sind eine Reihe reaktionärer Gesetze verabschiedet und Notverordnungen erlassen worden. So bescherte man uns ein neues Versammlungsgesetz – abgeschrieben vom entsprechenden Gesetz der Militärjunta (1967-1974) –, neue Arbeitsgesetze, die Entlassungen erleichtern und den 10-Stunden-Tag ohne Lohnausgleich erlauben, die „Weltneuheit“ einer Universitätspolizei (mit insgesamt 1.000 Polizisten) – um nur einige zu nennen.
Wider die Verfassung erließ die Polizei für vier Tage um den 17. November – Tag des Aufstands am Athener Polytechnikum 1973 und der traditionellen Demonstration gegen die amtierende Regierung, den US-Imperialismus und die US-amerikanischen Basen – ein absolutes Versammlungsverbot, vollkommen absurd begründet mit COVID-Prävention. Ein solches Verbot erging auch für den 6. Dezember, den Jahrestag der Ermordung von Alexis Grigoropoulos durch einen Polizisten 2008, an dem jedes Jahr eine Demonstration gegen staatliche Gewalt stattfindet. Gerade für den 17. November gibt es keine gesetzliche Möglichkeit der Einschränkung der verfassungsmäßig garantierten Versammlungsfreiheit. Trotzdem setzte die Regierung ihr willkürliches Verbot mit dem Einsatz von 5.000 Polizisten weitgehend durch.
Während der Corona-Krise verschärfte die rechtskonservative Regierung Mitsotakis außerdem die Lebensbedingungen für Geflüchtete in Lagern noch einmal dramatisch. Die Lager wurden teilweise für Wochen abgeriegelt, weil Corona-Fälle aufgetreten waren, ohne dass ausreichend medizinisches Personal abgestellt wurde. Die Lagerinsassen wurden einfach sich selbst überlassen. Das Lager Moria II auf Lesbos ist schlimmer als das Anfang September 2020 abgebrannte Moria I. Die Geflüchteten leben im Dreck, haben keine ausreichenden Waschgelegenheiten und ärztliche Versorgung. Viele sind krank und werden mit ihrer Krankheit allein gelassen. Die Pushbacks von Flüchtlingen zurück in die Türkei, sei es auf dem Meer oder über die Landgrenze in Nordgriechenland, haben im vergangenen Jahr weiter zugenommen.
Der Fall Dimitris Koufontinas
Das jüngste Beispiel dafür, dass der griechischen Regierung sogar ihre eigenen Gesetze gleichgültig sind, ist der Fall Koufontinas. Dimitris Koufontinas verbüßt eine Haftstrafe von 11 Mal lebenslänglich zuzüglich 25 Jahre, nachdem er als Mitglied der Revolutionären Organisation 17. November (17N) verurteilt wurde. Der 17N war in Griechenland aktiv von 1975 bis 2002, bevor er nach einem missglückten Anschlag zerschlagen wurde. Er trat zuerst mit der Erschießung des amerikanischen CIA-Chefs für Südosteuropa in Erscheinung. (Später erfolgten noch drei weitere Anschläge auf US-Offizielle.) Seitdem war die Ausschaltung des 17N eine grundlegende Forderung der USA, mit großem Druck auf die jeweiligen griechischen Regierungen. 1989 erschoss der 17N den Politiker und Journalisten P. Bakogiannis, Schwager des jetzigen Premierministers und Vater des derzeitigen Bürgermeisters von Athen.
Dimitris Koufontinas stellte sich 2002 nach der Verhaftung mehrerer Mitglieder des 17N und erklärte, er sei Mitglied der Organisation und übernehme die politische Verantwortung für deren Handlungen. Er verteidigte sich nicht und machte nie Aussagen zu seinen Mitangeklagten. Diese Haltung brachte ihm Anerkennung in breiteren Teilen der griechischen Gesellschaft, nicht nur der Linken, ein.
Ab 2002 war Dimitris Koufontinas in einem speziell für die Gefangenen des 17N hergerichteten unterirdischen Flügel des Korydallos-Gefängnisses (Athen) inhaftiert, bis er 2018 in die landwirtschaftliche Haftanstalt Volos verlegt wurde. Obwohl er seit 2010 Anspruch auf Lockerungen hatte, bekam er sie 2017 zum ersten Mal und in der Folge noch fünf weitere Male. Die Gewährung von Hafturlaub für Koufontinas wurde jedoch von bestimmten Medien, aber auch von Politikern, die mit öffentlichen Äußerungen und Interventionen unter Nennung seines Namens gegen ihn auftraten, intensiv und systematisch bekämpft. Unter ihnen waren auch der heutige Premierminister und Mitglieder seiner Familie. Heftige Interventionen gab es auch seitens der amerikanischen Botschaft.
Infolge dieser Polemik wurden die Hafturlaube ab dem Frühjahr 2019 verweigert mit Begründungen, die mit seinen politischen Überzeugungen zusammenhängen, und seiner Weigerung, Reue zu erklären – was nach griechischem Recht kein Grund für die Verweigerung von Lockerungen ist. Die Frage der Hafturlaube kam bis vor den Obersten Gerichtshof (Areopag), der entschied, dass die Ablehnung der entsprechenden Anträge nicht vom Gesetz gedeckt sei. Das für die Gewährungen von Lockerungen zuständige Gericht in Volos änderte jedoch seine Auffassung nicht und so wurden die Hafturlaube ab 2019 endgültig verweigert.
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Der Präsident der jetzt regierenden Partei Neue Demokratie, Kyriakos Mitsotakis, hatte vor den Wahlen 2019 öffentlich versprochen, dass er diesen bestimmten Häftling, wenn er an die Macht käme, von Lockerungen und von der Strafverbüßung in Landwirtschafts-Gefängnissen ausschließen werde. Tatsächlich wurde im Dezember 2020 das Gesetz 4760/2020 veröffentlicht, in dem eine Bestimmung enthalten ist, die die Gewährung von Hafturlaub für Personen, die wegen „terroristischer“ Straftaten verurteilt wurden, sowie deren Inhaftierung in Landwirtschafts-Gefängnissen ausschließt.
Einziger Verurteilter dieser Kategorie in einem Landwirtschaftlichen Gefängnis war Koufontinas. Während der Gesetzesdebatte im Parlament wurde er namentlich als Adressat benannt. Am 21. Dezember 2020 wurde Koufontinas aus dem Landwirtschaftlichen Gefängnis in das Gefängnis Domokos verlegt, in Art einer Entführung (ohne Ankündigung, ohne Kontakt mit seiner Familie aufnehmen zu können und ohne Zeit zu haben, seine persönlichen Sachen zu packen und sich zu verabschieden). In Domokos wurde er mit anderen Gefangenen in eine erstickend kleine Zelle gesperrt, in der er weder Raum und Zeit für sich selbst hatte und das Rauchen und die anderen Bedürfnisse der Mithäftlinge aushalten musste. So durchlebte Dimitris Koufontinas, jetzt 63 Jahre alt, eine dramatische Verschlechterung seiner Haftbedingungen.
Polizeistaatsmethoden
Die Willkür staatlichen Handelns im Fall Koufontinas erkennt man daran, dass diese Überstellung in ein anderes Gefängnis sogar gegen die Bestimmungen des jüngsten nur gegen ihn gerichteten Gesetzes verstieß. Denn nach diesem Gesetz hätte er nach Korydallos zurückgebracht werden müssen, wo er die vorherigen 16 Jahre inhaftiert war. (Das ist übrigens auch das Gefängnis in der Nähe des Wohnorts seiner Familie.)
Das zuständige Ministerium erließ dazu einen Verwaltungsakt mit einer vollständig unwahren Behauptung. Demnach sei er nach Korydallos und sodann mit einer neuen Entscheidung nach Domokos verlegt worden – was nicht stimmt; er kam nie in Korydallos an. Offenbar wollte der Minister der Verlegung in das andere Gefängnis zumindest den Anschein gesetzesmäßigen Vorgehens geben. Dass er dafür dreist lügen musste, war ihm offenbar egal.
Ein Teil der Öffentlichkeit reagierte jedoch auf diese Lügen mit Unverständnis und Nachfragen, so dass sich das Ministerium zu einer weiteren Stellungnahme gezwungen sah. Diese unterschied sich von der ersten nur insofern, als die damaligen Lügen durch neue ersetzt wurden. So ist darin zu lesen, dass die Verlegung nach Domokos auf einem Beschluss des zuständigen Gefängnis-Gremiums vom 4. Januar 2021 beruhe; die Verlegung erfolgte aber bereits am 21. Dezember 2020 (s. o.). Post-truth politics, Trump hat es vorgemacht.
Aus dem politischen Kontext des Falls geht hervor, dass Koufontinas’ Verlegung auf die Rachsucht der Familie Mitsotakis-Bakoyannis und den Druck der US-Botschaft zurückzuführen ist. Mitglieder der derzeitigen Regierung hatten bereits früher angekündigt und sich darauf festgelegt, die Haftbedingungen dieses bestimmten Gefangenen zu verschlechtern. Dafür wurde das „Koufontinas-Gesetz“ erlassen.
Auch dieses Gesetz scheint jedoch der Familie und der Botschaft nicht genug zu sein. Er durfte nicht nach Korydallos zurück verlegt werden, sondern musste nach Domokos, um die Strafe innerhalb der Strafe erniedrigend und unerträglicher zu gestalten. Dafür wurde gegen die Gesetze verstoßen, sogar gegen diejenigen, die sowieso nur erlassen wurden, um die Bedingungen von Koufontinas’ Strafverbüßung zu verschlechtern. Das ist selbst für Griechenland ein wohl beispielloser Fall willkürlichen Eingriffs in das Rechts- und Justizsystem. Besonders widerlich ist, dass dieser Eingriff aus Gründen der persönlichen Rache einer politisch mächtigen Familie und der US-Botschaft erfolgte.
Hunger- und Durststreik
Nach der bewusst unrichtigen Bestätigung des Ministeriums beschloss Dimitris Koufontinas, gegen all diese ausschließlich gegen ihn gerichteten Methoden zu protestieren und zu fordern, nach Korydallos verlegt zu werden, so wie das jüngst ergangene Gesetz es vorsieht. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, trat er in den Hungerstreik. Heute (22. Februar 2021) ist der 46. Tag seines Hungerstreiks, er ist völlig abgemagert, kann sich nicht mehr bewegen, kann kaum noch sprechen, kann nicht mehr selbständig trinken und hat teilweises Nierenversagen. Er wurde am 17. Februar in die Intensivabteilung des örtlichen Krankenhauses verlegt.
Koufontinas hat heute erklärt, dass er die weitere Zuführung von Flüssigkeit durch den Tropf ablehne. Da er nicht mehr selbständig trinken kann, bedeutet das den Beginn eines Durststreiks. Das bedeutet, dass, wenn die Regierung nicht einlenkt, Dimitris Koufontinas in drei, vier, maximal fünf Tagen sterben wird.
Natürlich gab es gegen diese Behandlung von Koufontinas Proteste in der griechischen und auch der außergriechischen demokratischen Öffentlichkeit. Es haben sich Politiker, Intellektuelle, Kunstschaffende und Wissenschaftler zu Wort gemeldet. Auch im Fall Koufontinas kommt der Regierung zupass, dass sie Presse, Fernsehen und andere Medien zu Beginn der Corona-Krise weitgehend gleichgeschaltet hat. Das hat sie allerdings nicht durch Repression erreicht, sondern durch viel Geld, mit dem Vorwand, es handele sich um Zuschüsse für die Corona-Kampagne „Wir bleiben zuhause“. (Die Liste der Empfänger mit den auf die einzelnen Medien entfallenden Beträgen ist im Juni 2020 von der Regierung bekannt gegeben geworden.) Es gibt nur noch eine einzige größere regierungskritische Tageszeitung und einen Radiosender, aber keinen einzigen kritischen TV-Kanal mehr. Fast alle Medien sind heute auf Regierungskurs.
Ergebnis dieser Gleichschaltung: Obwohl die Politiker, Intellektuellen, Kunstschaffenden und Wissenschaftler klargestellt haben, dass sie weder mit den politischen Ansichten von Koufontinas und schon gar nicht seinen Taten übereinstimmen, werden sie von den regierungstreuen Medien als Terroristen-Unterstützer gebrandmarkt. Dass dies teilweise nicht zur Isolierung der Protestierenden führte, sondern noch mehr Menschen dazu brachte, die vollständig mit dem geltenden Recht in Übereinstimmung stehende Forderung von Koufontinas’ Verlegung nach Korydallos zu unterstützen, gereicht allen Unterschreibenden zur Ehre.
Das ist umso wichtiger, da die Regierung alle öffentlichen Proteste zu unterdrücken versucht. Protestdemonstrationen auf der Straße wurden und werden entweder gar nicht erst zugelassen, weil die gesamte Innenstadt von Athen voll von Polizei und der Kundgebungsplatz weiträumig abgesperrt ist. Gruppen von Protestierenden werden innerhalb von wenigen Minuten auseinandergeknüppelt beziehungsweise mit Tränengas eingenebelt. Gesetzwidrig, verfassungswidrig – es schert die Regierung nicht. Wie wir schon am 17. November und 6. Dezember gesehen haben, haben wir es unter der ND-Regierung mit Polizeistaatsmethoden zu tun. Die griechische Regierung hat sich viel von Ungarn und der Türkei abgeguckt und kann das Gelernte jetzt während des Lockdowns ohne viel Widerstand anwenden. Sozial- und Rechtsstaat werden mehr und mehr abgeschafft, Polizeierlasse treten an Stelle der sozialen Für- und Vorsorge und der geltenden Gesetze. Die gleichgeschalteten Medien spenden Beifall. So hat sich Griechenland in den letzten Jahren zu einer totalitären (parlamentarischen) Demokratie entwickelt.
Achim Rollhäuser ist Aktivist und Anwalt. Er lebt seit 1990 abwechselnd in Deutschland und Griechenland
Begleitend zu unserer Solidaritätsarbeit u.a. für den Fall von Amir und Razouli, die wegen “Schleuserei” in Griechenland angeklagt sind, veröffentlichen wir hier unten auch den folgenden Recherche-Bericht von bordermonitoring.eu zu Kriminalisierung von “Schleuserei” in Griechenland:
“Der folgende Bericht dokumentiert und analysiert die systematische Inhaftierung und Bestrafung von Menschen, die an der EU-Außengrenze in der Ägäis des ›Menschenschmuggels‹ beschuldigt werden. Er veranschaulicht das Schicksal von Migranten, die in Griechenland zu lebenslanger Haft verurteilt wurden.
Einigen von ihnen war nicht bewusst, dass sie eine schwere Straftat begangen, als sie ein Boot mit Asylsuchenden von Griechenland in die Türkei steuerten; andere überquerten die Grenze nur, um selbst Asyl in der Europäischen Union zu beantragen. Bei ihrer Ankunft wurden sie verhaftet, oft geschlagen und monatelang in Untersuchungshaft festgehalten und schließlich in einem Gerichtsverfahren verurteilt, das gegen grundlegende Gerechtigkeitsstandards verstößt. Die drastische Kriminalisierung, die in diesem Bericht beschrieben wird, kann nicht ohne den breiteren Rahmen der EU-Politik zur Bekämpfung von ›Schleuserei‹ verstanden werden, die im Folgenden analysiert werden soll. Narrative über ›Menschenschmuggel‹ und die Entwicklung der Gesetzgebung gegen Schleuserei in der Europäischen Union stehen dabei im Mittelpunkt.”
An Ostern, in der Nacht vom 18. auf den 19. April 2020, brannte das Hot-Spot-Camp Vial auf der südlich von Lesvos gelegenen Insel Chios. Die Bedingungen, die zu den Protesten und Unruhen geführt haben, in dessen Folge der Brand entstand, sind ähnlich wie auf anderen Hot-Spot-Inseln wie Moria, auf denen es dieses Jahr zu Widersand gegen die unhaltbaren Zustände an den EU-Außengrenzen gekommen ist : Auslöser für die Wut der Bewohner*innen des Camps war der Tod einer 47-jährigen irakischen Frau in dem Camp. Sie war vorher mit Fieber und dem Verdacht, sich mit Covid-19 infiziert zu haben ins Krankenhaus eingeliefert worden, dort aber, nachdem sie negativ auf Corona getestet wurde, wieder entlassen und in Isolation in einen Container im Camp gebracht worden. Dort bekam sie keine medizinische Versorgung und starb alleine. Ihr Mann fand sie tot in dem Container.
Zu der Zeit lebten ca. 7000 Menschen in Vial, ein Camp, dass von seiner Infrastruktur lediglich für 1000 Personen ausgelegt ist. Die meisten Refugees leben in einem informellen Bereich in selbst gebauten Hütten und Unterständen unter fatalen hygienischen Bedingungen. Im April, während der ersten Welle der Covid-19-Pandemie war die Sorge groß, wie sich eine Infektion in den Hot-Spot-Camps unter diesen Umständen auswirken würde. Die griechischen und europäischen Behörden, die die Camps verwalten, reagierten hauptsächlich dadurch, dass sie die Bewohner*innen durch strenge Auflagen und Strafgeldandrohungen versuchten, in den Camps unter Quarantäne zu stellen und sie nicht mehr heraus zu lassen. Medizinische oder hygienische Vorsorgemaßnahmen in den Camps wurden de facto gar nicht getroffen. Bei den Menschen im Camp musste so der Eindruck entstehen, dass sie im Fall einer drohenden Ansteckung bei ihnen im Camp nicht medizinisch versorgt werden. Der Tod der 47-jährigen Bewohnerin löste so die verständliche Wut aus, dass die Behörden die Menschen in Vial im Zweifel einfach sterben lassen.
Im Laufe der daraufhin ausbrechenden Proteste und Unruhen brannten große Teile des Camps nieder: die Container des europäischen Asylbüros EASO, eine Kantine, ein Warenhaus und viele der Hütten und Wohncontainer, außerhalb des Camps brannten außerdem mehrere Fahrzeuge u.a. Polizeiautos. Vor allem waren große Teile der Camp-Verwaltung am nächsten Tag zerstört, laut Berichten direkt nach dem Brand wurde jedoch niemand dabei verletzt.
Statt die Situation der Menschen im Camp zu verbessern, musste irgendjemand am Brand Schuld sein und so wurden schnell Bewohnende kriminalisiert. Bereits in der Nacht und am nächsten Tag wurden mehrere Menschen von der Griechischen Polizei verhaftet und ins Polizeigefängnis in Chios gesperrt. Bis zum 23. April wurden mindestens zehn Personen eingesperrt, neun wurden in Untersuchungshaft genommen. Laut lokalen Medienberichten soll ein Minderjähriger unter den Verhafteten, wahrscheinlich ein 17-jähriger Syrer, unter Auflagen zumindest kurzzeitig wieder entlassen worden sein. Zu diesem Zeitpunkt suchte die Polizei noch nach sechs weiteren syrischen Personen. Es ist öffentlich nicht klar, wie viele Menschen bislang tatsächlich für die Unruhen in Vial eingesperrt wurden, wir müssen aber von bis zu 16 Personen ausgehen. Wahrscheinlich sind sie inzwischen nach Athen in das riesige Gefängnis Korydallos gebracht worden. Allen wird Brandstiftung, Sachbeschädigung, Stören des öffentlichen Friedens, versuchte gefährliche Körperverletzung sowie Angriffe auf Mitarbeiter*innen des Camps vorgeworfen. Beweise präsentierte weder die Polizei in Chios, noch die aus Athen, die in die Kriminalisierung mit eingeschaltet wurde und teilweise die Öffentlichkeitsarbeit nach dem Brand übernommen hat. Es ist naheliegend, wie in anderen Fällen von Kriminalisierung von Refugees auch, dass die Polizei auf die schnelle und willkürlich Beschuldigte herausgegriffen und der Öffentlichkeit präsentiert hat.
Seit dem Aufstand in Vial ist das Thema und auch die Betroffenen der Kriminalisierung komplett aus der Öffentlichkeit verschwunden. Gerade kann niemand sagen, ob die Verhafteten überhaupt eine rechtliche Beratung oder eine juristische Vertretung bekommen haben, wo sie wirklich sind und was der Stand des Verfahrens gegen sie ist. Wenn hier Schuldige präsentiert werden sollten, dann drohen den Festgenommenen hohe Haftstrafen, sie befinden sich wahrscheinlich immer noch in Untersuchungshaft und im Falle einer Verurteilung droht ihnen sehr wahrscheinlich auch die Abschiebung.
Solidarische Genoss*innen bemühen sich gerade darum, Kontakt zu den Eingesperrten in Korydallos aufzunehmen und ihnen juristische Vertretung zu stellen, damit sie in dem Verfahren und vor Gericht verteidigt werden können. Solidarische griechische Anwält*innen konnten dafür bereits gefunden werden. Für die Gerichtskosten sammelt „You can’t evict solidarity“ Geld und Spenden. Wenn es sich tatsächlich um 16 Betroffene oder sogar mehr handeln sollte, dann kommen dabei alleine für die Gerichtskosten mehrere Tausend Euro zusammen.
Lasst die Leute nicht alleine im Knast!
Lasst sie nicht einfach aus der Öffentlichkeit verschwinden!
Grenzenlose Solidarität!
Leave no one behind!
Spenden bitte an:
Rote Hilfe e.V./ OG Hannover IBAN: DE42 4306 0967 4007 2383 57 BIC: GENODEM1GLS GLS Bank Verwendungszweck: Cant evict Solidarity
When Amir and Razuli tried to reach Greece on a rubber boat in March 2020, they were attacked by the Greek coast guard who tried to push them back to Turkey by force. The attack caused the boat to sink and the coast guard had to take them on board. Amir and Razuli were arbitrarily charged with “facilitating illegal entry” and “provoking a shipwreck”, in addition to their own entry. On the 8th of September 2020 they were sentenced to 50 years in prison.
Amir and Razuli, 25 and 23, fled from Afghanistan trying to reach Europe in search of a life in safety. With Europe’s ever-increasing closure of borders and the lack of safe and legal ways to enter Europe and claim asylum, they were forced to embark on the dangerous journey on a rubber boat across the Aegean Sea. Amongst the other people in the boat was also Amir’s young daughter and his heavily pregnant wife.*
They made their journey in March 2020, the month in which the Greek government announced the suspension of one of the most fundamental human rights – the right to apply for asylum -, and consequently charged people seeking protection with their own “illegal entry”, blatantly contradicting EU law and the Geneva Convention.
The Greek coast guard attacked the boat as soon as they had entered Greek waters and tried to push it back into Turkish waters using metal poles. In doing so, they punctured the boat, causing water to enter and putting the life of the people onboard at risk.
In the past months, numerous reports emerged bearing testimony to the Greek coast guard’s illegal and cruel practice of violent pushbacks, destroying the engine of refugee boats, disabling the boats, and then leaving the people to their fate in the middle of the sea. Read more about this in the New York Times, the Deutsche Welle and the Spiegel.
As the boat was about to sink, the coast guard eventually took them on board.
Following this deeply traumatizing experience, the coast guard proceeded with heavily beating up Amir and Razuli, arbitrarily accusing the two of being the smugglers. According to Amir’s wife who had to witness all of this together with her daughter, they only stopped when she held up their young child in front of her husband begging the men to stop.
As soon as they arrived at the Greek island of Lesbos, Amir and Razuli were separated from the rest of the group and brought to the police station. The coast guard accused them of their own entry, of facilitating the unauthorized entry of the other people on the boat and of having endangered the people’s lives.
They were since held in pre-trial detention and sentenced to 50 years in prison on 8th of September 2020. Although there is no evidence against them except for the statement of the coast guards, they were only acquitted of the accusation of “provoking a shipwreck”.
We are calling for the release of Amir and Razuli and all charges against them to be dropped!
Almost every day, people seeking protection are criminalized for their own flight and arbitrarily sentenced to lengthy prison terms and heavy fines (see e.g. the case of Hamza and Mohamed). Suspects, or what we would deem ‘victims’ of this unjust legislation, usually have limited access to legal assistance. Judgments are often pronounced despite lack of evidence and poor quality of translation. In Greece, the average trial lasts only around 30 minutes, leading to an average sentence of 44 years and fines over 370.000 Euro. According to official numbers by the Greek ministry of justice, almost 2.000 people are currently in Greek prisons for this reason. However, the fates of these people are seldom known. Arrested immediately upon arrival, most of them are locked away unnoticed, without their names known and no access to support from outside.
But we know the story of Amir and Razuli. We have organized legal defense for them, and we will fight for their acquittal in the appeal trial!
Help us to make their story known!
The European Union must stop the arbitrary incarceration of refugees and migrants!
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*Amir’s wife has meanwhile given birth to their second child. After the trial, Amir met his two-month-old baby for the first time and as he held his child for the first time in his arms, the police shouted at him to give the infant back to the mother, causing his family extreme distress.