Folgende Presseberichte und Interviews von uns zum aktuellen Prozess und dem Urteil gegen zwei der Moria 6 auf Lesbos vom 9.3.2021 haben wir gesammelt:
Heute ist der 18. März. Und heute vor genau 150 Jahren, am 18. März 1871 begann die Pariser Kommune. Deswegen begehen wir heute den internationalen Tag der politischen und sozialen Gefangenen.
Heute ist aber nicht nur der Jahrestag der Pariser Kommune. Heute vor genau fünf Jahren, am 18. März 2016 verabschiedeten die Europäische Union und die Republik Türkei ein Abkommen, das als EU-Türkei-Deal bekannt wurde.
Mit diesem dreckigen Deal versuchte das Europäische Grenzregime den sogenannten Langen Sommer der Migration, in welchem zehntausende Menschen selbstbestimmt die Grenzen der Festung Europa überwunden hatten, wieder unter ihre Kontrolle zu bringen.
Leider hat auch dieser Jahrestag etwas mit dem Tag der politischen und sozialen Gefangenen zu tun – Denn Knäste sind ein fester Bestandteil des Grenzregimes und sind es seit dem EU-Türkei-Deal um so mehr geworden.
Allein im Jahr 2016 wurden in Griechenland nach offiziellen Zahlen 4.072 Asylsuchende inhaftiert und zigtausende Haftbefehle für Migrant*innen erlassen.
In den europäischen Hot-Spot-Camps auf den griechischen Inseln Lesvos, Chios, Samos, Leros und Kos befinden sich überall Knäste innerhalb der europäischen Erstaufnahme-Lager. Hier werden Menschen eingesperrt, die gerade die Überfahrt über das Aegäische Meer in einem Schlauchboot überlebt haben, viele direkt nach ihrer Ankunft.
Das heißt dann “Detention upon arrival”. In “Detention upon arrival” werden vor allem Personen inhaftiert, weil sie aus Ländern kommen, für die die Anerkennungsquote nach europäischer Statistik für ihren Asyl-Antrag als gering gilt. Eingesperrt wird also, wer die “falschen” Papiere hat oder aus dem “falschen” Land kommt. Und das ist selbst nach Dienstanweisung der griechischen Polizei der einzige Grund.
An den europäischen Außengrenzen ist Knast ein rassistisches Instrument, das die vereinfachte Abschiebung von Menschen mit bestimmten Nationalitäten erlaubt. Damit werden die Zukunftsperspektiven von Menschen abhängig von ihrer Herkunft sortiert. Die Beachtung individueller Fluchtgründe sind von diesem System nicht vorgesehen – sie werden gänzlich außer Acht gelassen.
Doch nicht nur Abschiebeknäste sind ein Mittel der europäischen Grenzpolitik. Flüchtende werden zudem auch immer wieder mit Kriminalisierungen überzogen, insbesondere, wenn sie sich politisch gegen die unhaltbaren Zustände organisieren, protestieren oder anders Widerstand leisten.
Auch die Flucht selbst wird kriminalisiert: regelmäßig werden diejenigen, die das Schlauchboot bei der Überfahrt auf die Inseln einfach nur gesteuert haben sollen, als Schmuggler*innen angeklagt und in Schnellverfahren zu absurd hohen Haftstrafen bis zu – ungelogen – 130 Jahren verurteilt.
Wenn es dann zum Prozess kommt, gibt es fast nie einen Zugang zu richtiger juristischer Vertretung oder einer angemessenen Übersetzung.
Als Antirepressions-Kampagne You cant evict Solidarity haben wir uns 2016 gegründet, nachdem bei der Räumung verschiedener Squats in Thessaloniki auch Geflüchtete inhaftiert wurden, und es kaum solidarische und politische Unterstützung zu erwarten gab. Aktuell unterstützen wir viele, migrantische Kämpfe gegen das EU-Grenz-Regime.
Wir wollen heute, am Tag der politischen und sozialen Gefangenen, vor allem auch auf diejenigen aufmerksam machen, deren Kämpfe gegen staatliche Repressionen, Rassismus, Gewalt und Unterdrückung in Europa und hier in Deutschland kaum sichtbar oder hörbar sind.
Menschen, die systematisch diskriminiert, kriminalisiert, weggesperrt werden – und zwar dafür, dass sie versuchen, für ein besserers Leben oder um ihr Überleben zu kämpfen. Dafür, dass sie aus politischen, humanitären, ökonomischen oder sonstwas für Gründen in die Flucht gezwungen wurden. Dafür, dass sie durch Proteste und Widerstände ihre Würde und ihre psychische und körperliche Unversehrtheit verteidigen. Festgenommen aus rassistischen Motiven und zur Sicherung des europäischen Grenzregimes.
People on the move, die in Knäste gesperrt werden, sind dabei immer auch politische Gefangene! Flüchtende sind keine passiven Opfer, denen aus Europa paternalistisch die eine oder andere humanitäre Hilfe angeboten werden kann – oder eben auch nicht. Menschen, die Grenzen überwinden, nehmen ihr Schicksal in die eigene Hand und wehren sich damit auch gegen die Repression und Abschottung des Grenzregimes. Wenn sie dewegen kriminalisiert werden, dann ist das eine Kriminalisierung von politischen Aktionen!
Aber nicht nur wenn Widerstand oder Protest organisiert werden – jedes Überwinden von Grenzen wirkt als Akt gegen eine politische Ordnung, die die Bewegungsfreiheit von Menschen im globalen Maßstab einschränken und kontrollieren will. Jede Kriminalisierung von Migration und von Menschen auf der Flucht ist deswegen auch politische Justiz, jede eingesperrte Flüchtende ist eine politische Gefangene!
Menschen werden in unsägliche Lebensbedingungen gezwungen, gegen die es selbstverständlich Widerstände gibt, weil sie einfach unerträglich sind. Proteste werden nieder geknüppelt, Menschen aus rassistischen Motiven und willkürlich verhaftet und ohne faire Prozesse, geschweige denn Zugang zu notwendigem legal support unter Ausschluss der Öffentlichkeit, mit haarsträubenden Haftstrafen eingeknastet.
Wie absurd und unmenschlich diese politische Justiz gegen people on the move ist und welche Ausmaße sie annimmt, zeigen unzählige Beispiele:
erst letzte Woche wurden zwei minderjährige zu fünf Jahren Knast auf Lesvos verurteilt, weil ihnen ohne jeglichen Beweis der Brand des Elends-Lagers Moria angehängt wurde und sie dafür nun als Sündenböcke herhalten sollen. Der Prozess dauerte einen Tag, fand unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit statt und der Prozesstermin wurde vorher nicht angekündigt.
Einziger Belastungszeuge war ein community-leader, bei dem einiges dafür spricht, dass er mit der Polizei dealt. Dieser ist dann zum Prozess nicht mal erschienen, stattdessen wurde einfach seine schriftliche Aussage von vor sechs Monaten gewertet. Entlastungszeug:innen, die für die Angeklagten aussagen wollten, wurden vom Gericht einfach nicht angehört.
Ein anderes, ebenfalls sehr tragisches Beispiel: als am 8. November 2020 eine Gruppe Flüchtender versucht, mit dem Boot von der türkischen Küste auf die Insel Samos über zu setzten, kentert das Boot. Ein sechs Jahre altes Kind verliert dabei sein Leben.
Die griechische Küstenwache reagiert anscheinend erst Stunden nach dem Notruf, statt direkt und damit das Leben des Kindes zu retten. Die Polizei aber verhaftet den Vater des sechs-Jährigen, der gerade die Überfahrt überlebt und sein Kind verloren hat. Der Vorwurf lautet, dass er das Leben seines Kindes durch die Überfahrt gefährdet hat. Kriminalisiert wird der Vater -wohlgemerkt nicht die Küstenwache! Dabei fährt die Küstenwache seit Monaten hochriskante Mannöver bei push-backs und gefährdet dabei wissentlich und willentlich immer wieder Menschenleben.
Ende Februar diesen Jahres versucht eine schwangere Frau im Moria-Ersatz-Lager Kara Tepe auf Lesvos aus Verzweiflung Selbstmord zu begehen, nachdem sie dachte, dass ihr Ausreiseantrag nach Deutschland abgelehnt wurde. Sie zündet sich selbst in ihrem Zelt an und überlebt, weil andere das Feuer löschen. Die Reaktion von Polizei und Staatsanwaltschaft: gegen die Frau wird wegen Brandstiftung ermittelt, weil sie ihr Zelt in dem Lager angezündet hat.
Menschen werden in ein politisches Spiel geworfen, in dem sie als Sündenbock für die Ereignisse herhalten sollen, die aus der katastrophalen Migrationspolitik und aus dem Europäischen Grenzregime resultieren – mit seinen Hotspot-Lagern und dem Versagen auf ganzer Länge aller europäischen Staaten beim Schutz von Geflüchteten
All diese verschiedenen Formen der Kriminalisierung von Menschen hängen zusammen. Menschen, die Grenzen überwinden, fordern die Festung Europa und damit die staatliche Ordnung heraus. Sie tun dies ebenso wie diejeningen, die sich durch Proteste und Widerstand gegen staatliche Unterdrückung wehren. Sie sind politische Gefangene, mit denen wir uns solidarisch erklären!
Freiheit für alle politischen Gefangenen! Gerechtigkeit für alle sozialen Gefangenen! Schließt alle Knäste! Open the Borders! Migration is not a crime!
Am 9. März 2021 wurden A.A. und M.H. auf der Insel Lesbos wegen Brandstiftung mit Gefährdung von Menschenleben schuldig gesprochen und auf zu 5 Jahren Haft verurteilt. Zweieinhalb Jahre der Haftstrafe werden sie im Gefängnis von Avlona auf dem griechischen Festland absitzen müssen.
Die beiden jungen Männer waren als Asylsuchende aus Afghanistan nach Lesvos gekommenund zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung vergangenen Jahres gerade 17 Jahre alt. Sie wurden festgenommen, nachdem das Lager Moria am 8. September 2020 vollständig niedergebrannt war, und sechs Monate lang in Untersuchungshaft festgehalten.
Der gestrige Gerichtsprozess war von Unregelmäßigkeiten durchzogen und hat zentrale rechtsstaatliche Prinzipien der Fairness und Unschuldsvermutung verletzt. Bereits vor Beginn des Verfahrens war klar, dass die beiden Angeklagten schuldig gesprochen werden würden. Sie wurden in ein politisiertes Spiel geworfen, in dem sie als Sündenbock für den Brand des Lagers herhalten solltenen.Durch ihre Verurteilung wird von der Verantwortung der EU und des griechischen Staats für die katastrophalen Zuständen in den europäischen Hotspot Lagern abgelenkt, die durch den Brand erneut mediale Sichtbarkeit bekamen.
Während des Prozesses wurden solidarische Unterstützer*innen und Freund*innen der Angklagten vor dem Gerichtsgebäude von der Polizei weggeschickt, angezeigt und mit weiteren Repression bedroht. Aus “Sicherheitsgründen” durften sie den Gerichtssaal nicht betreten – angeblich, um die Identität der Angeklagten im Jugendgericht zu schützen – wohingegen allerdings 5-7 Polizeibeamte ständig im Gerichtssaal anwesend waren. Außerdem kam es zu Schikanierungen von Unterstützer*innen beim Warten vor dem Gericht. Einige müssen nunfür ihre bloße Anwesenheit 300 Euro Strafe zahlen. Am Tag zuvor, an dem die Verhandlung eröffnet und gleich darauf verschoben wurde, wurdeeine Person auf die Polizeiwache gebracht und ihre persönlichen Sachen durchsucht.
Obwohl viele Freund*innene und Verwandte der Angeklagten gekommen waren, um zu bezeugen, dass diese den Brand nicht gelegt hatten, durften lediglich zwei Zeug*innen der Verteidigung an der Verhandlung teilnehmen. Auf der Seite der Kläger sagten 17 Zeug*innen gegen die Angeklagten aus, konntenjedoch keine stichhaltigen Beweise gegen diese vorlegen.
Der Hauptzeuge – der Sprecher der afghanischen Community – dessen Aussage zur Verhaftung der zwei Angeklagten geführt hatte, erschien nicht zum Prozess und konnte von den Behörden nicht ausfindig gemacht werden. Dennoch wurde seine schriftliche Aussage als glaubwürdig erachtet.
Die meisten anderen Zeug*innen sagten nur über persönliche Verluste durch den Brand aus, die nicht direkt mit den Angeklagten in Verbindung standen. Lediglich zwei Polizeibeamte behaupteten, die Angeklagten anhand eines Videos identifiziert zu haben, das zwei Personen mit ähnlicher Kleidung von hinten zeigt. Sie widersprachen sich jedoch in ihren Aussagen und beschrieben einen der Angeklagten als “winzig und klein”, während sich im Gericht zeigte, dass diesertatsächlich wesentlich größer als der aussagende Polizist selbst ist.
Am Ende wurden die Angeklagten zumindest vom Vorwurf der “Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung” freigesprochen – diegemeinsam mit dem Brandstiftungs-Vorwurf eine Strafe von 15 Jahren hätte bedeuten können. Ihre Anwält*innen des Legal Centre Lesvos werden zudem gegen das Urteil Berufung einlegen.
Nichtsdestotrotz ist die Verurteilung der beiden ein weiteres empörendes Beispiel, wie Menschen auf der Flucht kriminalisiert werden, um von den Verantwortlichkeiten derer abzulenken, die die Existenz eines Lagers wie “Moria“und des neuen Camps “Kara Tepe” überhaupt erst möglich machen. Wir haben es satt, einen Fall nach dem anderen zu beobachten, bei dem Migrant*innen willkürlich verhaftet, geschlagen, gedemütigt, inhaftiert und von der sogenannten “Rechtsstaat” zu Gefängnisstrafen verurteilt werden. Diese Taktik ist ebenso durchschaubar und lächerlich wie sie gewalttätig, rassistisch und widerlich ist. Diejenigen, die dafür mit ihrem Leben bezahlen müssen, sind Menschen die ihr Recht auf Bewegungsfreiheit wahrnehmen und als Konsequenz entrechtet und bestraft werden.
Wie schon so oft, wenn wir Gerichtsverfahren gegen Menschen auf der Flucht verfolgen, sind wir traurig und wütend. Der 9. März war ein schrecklicher Tag für alle, die sich für Gerechtigkeit und Gleichheit einsetzen. Aber wir müssen weiter kämpfen.
Die noch folgenden Gerichtsprozesse für vier weitere Personen, die für Brandstiftung in Moria angeklagt sind, werden vermutlich ebenfalls bald stattfinden. Die beiden Verurteilten, A.A. und M.H., werden Berufung gegen das Urteil einlegen.
Wir müssen diese Infos verbreiten, sie den Verantwortlichen ins Gesicht schreien: denen, die die Hotspot-Lager und den EU-Türkei-Deal geschaffen haben, denen, die die Lager am Laufen halten und denen, die vom System des Rassismus und der Ungleichheit profitieren.
Freiheit für die inhaftierten Moria6 – Griechischer Staat eröffnet Prozess gegen zwei der sechs Angeklagten nach dem Brand in Moria 2020
Heute, am 8. März, eröffnete das Gericht von Mytilini, Lesvos, den Prozess gegen zwei junge Männer aus Afghanistan. Die beiden kamen als unbegleitete Minderjährige nach Griechenland und waren zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung erst 17 Jahre alt. Sie gehören zu der Gruppe von sechs Personen, die wegen “Brandstiftung mit Lebensgefahr” angeklagt sind und die nach den Ereignissen vom 8. September 2020, als das Lager Moria bis auf die Grundmauern niederbrannte, festgenommen wurden.
Die beiden Angeklagten, die als Minderjährige verhaftet wurden, sitzen mittlerweile seit fast sechs Monaten in Untersuchungshaft – die maximale Zeit für Untersuchungshaft von Minderjährigen. Das Gericht hat mehrere Zeugen für den Prozess mobilisiert, darunter die Lagerleitung, die Polizei und Bewohner des Dorfes Moria. Die Überwachung des Prozesses wird durch die starke Polizeipräsenz vor dem Gericht und die strengen und unverhältnismäßigen Bewegungseinschränkungen wegen des Covidvirus unmöglich gemacht. Da die Angeklagten zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung minderjährig waren, ist der Prozess zudem für die Öffentlichkeit gesperrt.
Der Prozess hat heute offiziell begonnen, wurde aber sofort unterbrochen, weil einer der Angeklagten krank ist und Fieber hat, und wurde aber nur auf morgen vertagt.
Bisher hat die Staatsanwaltschaft keine glaubhaften Beweise gegen einen der sechs Angeklagten vorgelegt, die darauf hindeuten, dass sie in irgendeiner Weise an dem verzweifelten Akt des Widerstands beteiligt waren, die mehrfachen Brände zu legen, die schließlich den unmenschlichen europäischen Hotspot, das Lager Moria, zerstörten. Es scheint jedoch, dass die Behörden darauf aus sind, sie zum Sündenbock für Europas tödliche Grenzpolitik zu machen.
Es gibt nur einen Zeugen gegen alle 6 Angeklagten – einen der afghanischen Anführer im Lager Moria. Es ist eine gängige Praxis der Polizei auf Lesbos, Anführer durch die Androhung von Verhaftung oder im Austausch gegen Vorteile wie die Erlaubnis, die Insel verlassen zu dürfen, dazu zu bringen Informationen weiter zu geben. Die Angeklagten gehören der schiitischen Minderheit der Hazara an, die seit jeher gewaltsamer Verfolgung und systematischer Diskriminierung durch die tadschikische und paschtu-sunnitische Mehrheit entlang von Klassen-, Rassen- und Religionsgrenzen ausgesetzt ist. Der einzige Zeuge gegen sie ist Pashtu.
Fünf der Angeklagten waren zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung minderjährig, der sechste war erst 18 Jahre alt. Drei der fünf Minderjährigen waren jedoch bei ihrer Ankunft in Griechenland unrechtmäßig als Erwachsene registriert worden. Die drei legten dem Gericht nach ihrer Verhaftung Originalausweise vor, aus denen ihr tatsächliches Alter hervorging, und beantragten Alterseinschätzungen durch medizinische Fachleute. Trotzdem wurden die Dokumente als gefälscht zurückgewiesen und der staatliche medizinische Prüfer bewertete sie als Erwachsene, und sie wurden weiterhin vom griechischen Staat als Erwachsene behandelt.
Die beiden Angeklagten, die morgen vor Gericht stehen, sind die beiden, die zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung als Minderjährige anerkannt waren.
Es ist wahrscheinlich, dass die Fakten vor Gericht keine Rolle spielen werden. Der griechische Staat ist entschlossen, jemanden zu finden, der schuldig ist, Europas Pilotprojekt des “Hot-Spot”-Modells der Inhaftierung, der Einsperrung auf den Inseln unter höllischen Bedingungen und der Abschiebung niederzubrennen. Die staatlichen Behörden hatten ihre Schuld schon lange vor einem Prozess festgestellt. Der Minister für Migration und Asyl, Notis Mitarakis, erklärte in einem Interview mit CNN am 16. September 2020: “Das Lager wurde von sechs afghanischen Flüchtlingen angezündet, die verhaftet worden sind.” Auf eine Frage nach dem Wohlergehen der unbegleiteten Minderjährigen, die durch das Feuer obdachlos geworden waren, antwortete Mitarakis, dass zwei Minderjährige zusammen mit vier anderen laut Polizeiaufnahmen verhaftet worden seien, weil sie das Feuer verursacht hätten, und dass “der Grund, warum sie das Feuer verursacht haben, war, die griechische und andere Regierungen zu erpressen, damit sie aus Moria wegziehen.” [https://www.youtube.com/watch?v=52lWG65Wbq4]
Die Bilder des brennenden Lagers wurden in den internationalen Medien verbreitet und machten einmal mehr auf die grausamen und unmenschlichen Bedingungen aufmerksam, denen die Menschen in den griechischen Flüchtlingslagern ausgesetzt sind. Das Feuer wurde zum Symbol für das Leid und die menschenunwürdige Behandlung von Flüchtlingen am Rande Europas. Er zeigte nicht nur die Grausamkeit des europäischen Grenzregimes, sondern auch das katastrophale Versagen des griechischen Staates, Migranten Schutz zu gewähren und seiner Rolle als “Schutzschild Europas”, die der EU-Kommissar Griechenland im März 2020 zugewiesen hat, nicht gerecht zu werden.
Bislang haben zahlreiche weitere Fälle gezeigt, dass der griechische Staat die Gelegenheit nutzt, Flüchtlinge, die für Proteste verantwortlich gemacht werden, ohne Beweise zu langen Haftstrafen zu verurteilen. So wurden bereits im Sommer 2017 die Moria 35 nach großen Protesten im Lager Moria willkürlich auf der Grundlage von Racial Profiling verhaftet und neun Monate später vor dem Obersten Gericht von Chios verurteilt. In ähnlichen Fällen, wie dem der Verhaftungen der Moria 8, wurden die willkürlich Angeklagten schließlich freigesprochen, aber zuvor monatelang in Untersuchungshaft gehalten.
Wir werden nicht akzeptieren, dass die Leben von sechs jungen Menschen, die schutzsuchend nach Europa kamen, zerstört werden! Wir werden nicht zulassen, dass der Staat und die Medien sie zu dem Sündenbock für die Brutalität und Grausamkeit der europäischen Grenzpolitik der Lagerhaltung machen! Wir fordern Freiheit für alle Angeklagten!
Unterstützt die Moria 6! Ihr Kampf ist unser Kampf!
TRANSNATIONALER AUFRUF AUS LJUBLJANA FÜR SOLIDARITÄT, SPENDEN & UNTERSTÜTZUNG
(english below)
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Am Dienstag, den 19. Januar 2021, wurde das soziale Zentrum – die Autonome Fabrik Rog (AT Rog) – von gemeinsamen Kräften aus neonazistisch nahstehender privater Sicherheitsfirmen und der Polizei brutal angegriffen und anschließend mit Bulldozern zerstört. Der Angriff wurde von der Stadtverwaltung von Ljubljana orchestriert. Ohne Vorwarnung und ohne jegliche Rechtsgrundlage. Häuser wurden abgerissen oder schwer beschädigt, viele Geräte, Werkzeuge und persönliche Gegenstände weggenomen, Menschen gewaltsam geräumt.
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Das 2006 gegründete AT Rog war ein sozialer, kultureller und politischer Raum, der schnell zu einem der wichtigsten Knotenpunkte für direkte soziale Arbeit, Netzwerke für Geflüchtetensolidarität, politische Bildung & kollektives Lernen sowie Aktionen an der Basis wurde. Zusammen mit vielen anderen Praktiken sprach es die Bedürfnisse der Menschen in Ljubljana an. Das AT Rog ist entstanden, weil es einen Bedarf dafür gab. Seine authentische Verbundenheit mit den Bewohner*innen von Ljubljana spiegelt sich in einem enormen Erguss an Unterstützung von vielen Einzelpersonen, informellen Initiativen, akademischen Institutionen und vielen anderen wider. Sowie in vielen erhaltenen Spenden und anderen Unterstützungsangeboten.
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Während der gewaltsamen Räumung und der anschließenden Proteste, bei denen sich tausende Menschen dem Verbot aller öffentlichen Versammlungen wegen der Pandemie widersetzten, wurden viele Menschen verhaftet, mit Geldstrafen geahndet und es wurden einige Strafverfahren eröffnet. Es wird erwartet, dass die Kosten für Bußgelder weiter steigen werden, wenn der Staat seine Repression fortsetzt und die Kosten für Rechtsfälle steigen. All dies ist eine zusätzliche Belastung für die Gemeinschaft von AT Rog sein, die sich auch mit den unmittelbaren Problemen der Unterbringung, des gestohlenen Equipments und dem notwendigen politischen Kampf beschäftigen muss.
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WIR RUFEN DIE ANTI-AUTORITÄRE BEWEGUNG AUF DER GANZEN WELT AUF, UNS IN DIESEM MOMENT DER NOT UND DRINGLICHKEIT MIT ALLEN VERFÜGBAREN MITTELN ZU UNTERSTÜTZEN.
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Bitte verbreitet diesen Aufruf und die folgenden Links für mehr Information!
TRANSNATIONAL CALL FOR SOLIDARITY, DONATIONS AND SUPPORT FROM LJUBLJANA
On Tuesday, January 19, 2021 the Autonomous factory Rog (AT Rog) vas viciously attacked and subsequently destroyed by joint forces of neo-nazi linked private security companies and the police. Attack was orchestrated by the Municipality of Ljubljana. Without any warning and without any legal basis. Houses were demolished or seriously damaged, a lot of equipment, tools and personal belongings stolen.
Established in 2006, AT Rog was a social, cultural and political space which quickly became one of the major nodes of direct social work, migrant solidarity networks, grass-root political research and action. Together with many other practices it addressed the needs of the people of Ljubljana. Ljubljana created AT Rog because there was a need for it. Its authentic bond with the residents of Ljubljana is reflected in an enormous out-pour of support from many individuals, informal initiatives, academic institutions and many others. As well as in many donations received and other support offered.
During the violent eviction and the subsequent protests in which thousand people defied the ban on all public gatherings due to pandemic, many people were arrested, given fines and some criminal cases were opened. We expect that costs of fines will only increase as the state continues its repression and the costs of legal cases mount. All these will be an additional burden for the community of AT Rog that also needs to deal with an immediate issues of housing, stolen equipment and necessary political fightback.
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WE CALL ON THE ANTI-AUTHORITARIAN MOVEMENT AROUND THE WORLD TO SUPPORT US IN THIS MOMENT OF NEED AND URGENCY BY ANY MEANS AVAILABLE.
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Please spread the call and information about the situation of ROG!
Hiermit solidarisieren wir uns mit dem seit 2002 in Griechenland inhaftierten Dimitris Koufontinas und seinem Hungerstreik.
Wir sind empört über die staatliche Willkür, mit der die Haftbedingungen von Dimitris verschlimmert werden, und wünschen ihm Kraft & Durchhaltevermögen in seinem aktuellen und schon lebensbedrohlichen Hunger- und Durststreik!
In Solidarität mit Dimitris teilen wir den weiter unten folgenden Artikel, der durch den “Freitag” veröffentlicht wurde.
Our passion for freedom is stronger than their prisons!
Januar 2021: Griechische Polizisten schirmen das Parlament während einer Demonstration für den Inhaftierten Dimitris Koufontinas ab; Foto: Louisa Gouliamaki/AFP/Getty Images
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Seit Jahrzehnten erleben wir ein „Rollback“ des Neoliberalismus, verbunden mit dem Abbau des Sozialstaats und staatlicher Für- und Vorsorge sowie einer Verpflichtung des Individuums zum Selbstschutz. In der Corona-Krise ist das besonders deutlich geworden. Gleichzeitig gilt auch: Es gibt wenig Widerstand gegen politische Maßnahmen und die sozialen Härten, die mit ihnen verbunden sind, weder durch Streiks oder gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen noch auf der Straße, also durch Demonstrationen und Protestkundgebungen, denn die Menschen sorgen sich vor allem um sich selbst. Das verschafft den Regierenden neue Spielräume. In anderen Staaten wird die Situation der Angst vor der Pandemie noch sehr viel mehr ausgenutzt als in Deutschland. Ich will das am Beispiel Griechenlands zeigen.
Lockdown und autoritäre Maßnahmen
Die Lockdowns im Frühjahr und seit Anfang November 2020 bis heute waren und sind in Griechenland schärfer als in Deutschland und den meisten anderen europäischen Ländern. Man darf nur aus dem Haus, wenn man eine SMS geschickt (oder eine entsprechende Erklärung ausgefüllt) hat, in der man den Grund angibt. Die Polizei kontrolliert und erhebt bei Verstößen Bußgelder in Höhe von 300 Euro. Man darf nicht besuchen oder besucht werden. Wird man erwischt, drohen Bußen bis zu 3.000 Euro.
Seit Beginn der Corona-Krise sind eine Reihe reaktionärer Gesetze verabschiedet und Notverordnungen erlassen worden. So bescherte man uns ein neues Versammlungsgesetz – abgeschrieben vom entsprechenden Gesetz der Militärjunta (1967-1974) –, neue Arbeitsgesetze, die Entlassungen erleichtern und den 10-Stunden-Tag ohne Lohnausgleich erlauben, die „Weltneuheit“ einer Universitätspolizei (mit insgesamt 1.000 Polizisten) – um nur einige zu nennen.
Wider die Verfassung erließ die Polizei für vier Tage um den 17. November – Tag des Aufstands am Athener Polytechnikum 1973 und der traditionellen Demonstration gegen die amtierende Regierung, den US-Imperialismus und die US-amerikanischen Basen – ein absolutes Versammlungsverbot, vollkommen absurd begründet mit COVID-Prävention. Ein solches Verbot erging auch für den 6. Dezember, den Jahrestag der Ermordung von Alexis Grigoropoulos durch einen Polizisten 2008, an dem jedes Jahr eine Demonstration gegen staatliche Gewalt stattfindet. Gerade für den 17. November gibt es keine gesetzliche Möglichkeit der Einschränkung der verfassungsmäßig garantierten Versammlungsfreiheit. Trotzdem setzte die Regierung ihr willkürliches Verbot mit dem Einsatz von 5.000 Polizisten weitgehend durch.
Während der Corona-Krise verschärfte die rechtskonservative Regierung Mitsotakis außerdem die Lebensbedingungen für Geflüchtete in Lagern noch einmal dramatisch. Die Lager wurden teilweise für Wochen abgeriegelt, weil Corona-Fälle aufgetreten waren, ohne dass ausreichend medizinisches Personal abgestellt wurde. Die Lagerinsassen wurden einfach sich selbst überlassen. Das Lager Moria II auf Lesbos ist schlimmer als das Anfang September 2020 abgebrannte Moria I. Die Geflüchteten leben im Dreck, haben keine ausreichenden Waschgelegenheiten und ärztliche Versorgung. Viele sind krank und werden mit ihrer Krankheit allein gelassen. Die Pushbacks von Flüchtlingen zurück in die Türkei, sei es auf dem Meer oder über die Landgrenze in Nordgriechenland, haben im vergangenen Jahr weiter zugenommen.
Der Fall Dimitris Koufontinas
Das jüngste Beispiel dafür, dass der griechischen Regierung sogar ihre eigenen Gesetze gleichgültig sind, ist der Fall Koufontinas. Dimitris Koufontinas verbüßt eine Haftstrafe von 11 Mal lebenslänglich zuzüglich 25 Jahre, nachdem er als Mitglied der Revolutionären Organisation 17. November (17N) verurteilt wurde. Der 17N war in Griechenland aktiv von 1975 bis 2002, bevor er nach einem missglückten Anschlag zerschlagen wurde. Er trat zuerst mit der Erschießung des amerikanischen CIA-Chefs für Südosteuropa in Erscheinung. (Später erfolgten noch drei weitere Anschläge auf US-Offizielle.) Seitdem war die Ausschaltung des 17N eine grundlegende Forderung der USA, mit großem Druck auf die jeweiligen griechischen Regierungen. 1989 erschoss der 17N den Politiker und Journalisten P. Bakogiannis, Schwager des jetzigen Premierministers und Vater des derzeitigen Bürgermeisters von Athen.
Dimitris Koufontinas stellte sich 2002 nach der Verhaftung mehrerer Mitglieder des 17N und erklärte, er sei Mitglied der Organisation und übernehme die politische Verantwortung für deren Handlungen. Er verteidigte sich nicht und machte nie Aussagen zu seinen Mitangeklagten. Diese Haltung brachte ihm Anerkennung in breiteren Teilen der griechischen Gesellschaft, nicht nur der Linken, ein.
Ab 2002 war Dimitris Koufontinas in einem speziell für die Gefangenen des 17N hergerichteten unterirdischen Flügel des Korydallos-Gefängnisses (Athen) inhaftiert, bis er 2018 in die landwirtschaftliche Haftanstalt Volos verlegt wurde. Obwohl er seit 2010 Anspruch auf Lockerungen hatte, bekam er sie 2017 zum ersten Mal und in der Folge noch fünf weitere Male. Die Gewährung von Hafturlaub für Koufontinas wurde jedoch von bestimmten Medien, aber auch von Politikern, die mit öffentlichen Äußerungen und Interventionen unter Nennung seines Namens gegen ihn auftraten, intensiv und systematisch bekämpft. Unter ihnen waren auch der heutige Premierminister und Mitglieder seiner Familie. Heftige Interventionen gab es auch seitens der amerikanischen Botschaft.
Infolge dieser Polemik wurden die Hafturlaube ab dem Frühjahr 2019 verweigert mit Begründungen, die mit seinen politischen Überzeugungen zusammenhängen, und seiner Weigerung, Reue zu erklären – was nach griechischem Recht kein Grund für die Verweigerung von Lockerungen ist. Die Frage der Hafturlaube kam bis vor den Obersten Gerichtshof (Areopag), der entschied, dass die Ablehnung der entsprechenden Anträge nicht vom Gesetz gedeckt sei. Das für die Gewährungen von Lockerungen zuständige Gericht in Volos änderte jedoch seine Auffassung nicht und so wurden die Hafturlaube ab 2019 endgültig verweigert.
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Der Präsident der jetzt regierenden Partei Neue Demokratie, Kyriakos Mitsotakis, hatte vor den Wahlen 2019 öffentlich versprochen, dass er diesen bestimmten Häftling, wenn er an die Macht käme, von Lockerungen und von der Strafverbüßung in Landwirtschafts-Gefängnissen ausschließen werde. Tatsächlich wurde im Dezember 2020 das Gesetz 4760/2020 veröffentlicht, in dem eine Bestimmung enthalten ist, die die Gewährung von Hafturlaub für Personen, die wegen „terroristischer“ Straftaten verurteilt wurden, sowie deren Inhaftierung in Landwirtschafts-Gefängnissen ausschließt.
Einziger Verurteilter dieser Kategorie in einem Landwirtschaftlichen Gefängnis war Koufontinas. Während der Gesetzesdebatte im Parlament wurde er namentlich als Adressat benannt. Am 21. Dezember 2020 wurde Koufontinas aus dem Landwirtschaftlichen Gefängnis in das Gefängnis Domokos verlegt, in Art einer Entführung (ohne Ankündigung, ohne Kontakt mit seiner Familie aufnehmen zu können und ohne Zeit zu haben, seine persönlichen Sachen zu packen und sich zu verabschieden). In Domokos wurde er mit anderen Gefangenen in eine erstickend kleine Zelle gesperrt, in der er weder Raum und Zeit für sich selbst hatte und das Rauchen und die anderen Bedürfnisse der Mithäftlinge aushalten musste. So durchlebte Dimitris Koufontinas, jetzt 63 Jahre alt, eine dramatische Verschlechterung seiner Haftbedingungen.
Polizeistaatsmethoden
Die Willkür staatlichen Handelns im Fall Koufontinas erkennt man daran, dass diese Überstellung in ein anderes Gefängnis sogar gegen die Bestimmungen des jüngsten nur gegen ihn gerichteten Gesetzes verstieß. Denn nach diesem Gesetz hätte er nach Korydallos zurückgebracht werden müssen, wo er die vorherigen 16 Jahre inhaftiert war. (Das ist übrigens auch das Gefängnis in der Nähe des Wohnorts seiner Familie.)
Das zuständige Ministerium erließ dazu einen Verwaltungsakt mit einer vollständig unwahren Behauptung. Demnach sei er nach Korydallos und sodann mit einer neuen Entscheidung nach Domokos verlegt worden – was nicht stimmt; er kam nie in Korydallos an. Offenbar wollte der Minister der Verlegung in das andere Gefängnis zumindest den Anschein gesetzesmäßigen Vorgehens geben. Dass er dafür dreist lügen musste, war ihm offenbar egal.
Ein Teil der Öffentlichkeit reagierte jedoch auf diese Lügen mit Unverständnis und Nachfragen, so dass sich das Ministerium zu einer weiteren Stellungnahme gezwungen sah. Diese unterschied sich von der ersten nur insofern, als die damaligen Lügen durch neue ersetzt wurden. So ist darin zu lesen, dass die Verlegung nach Domokos auf einem Beschluss des zuständigen Gefängnis-Gremiums vom 4. Januar 2021 beruhe; die Verlegung erfolgte aber bereits am 21. Dezember 2020 (s. o.). Post-truth politics, Trump hat es vorgemacht.
Aus dem politischen Kontext des Falls geht hervor, dass Koufontinas’ Verlegung auf die Rachsucht der Familie Mitsotakis-Bakoyannis und den Druck der US-Botschaft zurückzuführen ist. Mitglieder der derzeitigen Regierung hatten bereits früher angekündigt und sich darauf festgelegt, die Haftbedingungen dieses bestimmten Gefangenen zu verschlechtern. Dafür wurde das „Koufontinas-Gesetz“ erlassen.
Auch dieses Gesetz scheint jedoch der Familie und der Botschaft nicht genug zu sein. Er durfte nicht nach Korydallos zurück verlegt werden, sondern musste nach Domokos, um die Strafe innerhalb der Strafe erniedrigend und unerträglicher zu gestalten. Dafür wurde gegen die Gesetze verstoßen, sogar gegen diejenigen, die sowieso nur erlassen wurden, um die Bedingungen von Koufontinas’ Strafverbüßung zu verschlechtern. Das ist selbst für Griechenland ein wohl beispielloser Fall willkürlichen Eingriffs in das Rechts- und Justizsystem. Besonders widerlich ist, dass dieser Eingriff aus Gründen der persönlichen Rache einer politisch mächtigen Familie und der US-Botschaft erfolgte.
Hunger- und Durststreik
Nach der bewusst unrichtigen Bestätigung des Ministeriums beschloss Dimitris Koufontinas, gegen all diese ausschließlich gegen ihn gerichteten Methoden zu protestieren und zu fordern, nach Korydallos verlegt zu werden, so wie das jüngst ergangene Gesetz es vorsieht. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, trat er in den Hungerstreik. Heute (22. Februar 2021) ist der 46. Tag seines Hungerstreiks, er ist völlig abgemagert, kann sich nicht mehr bewegen, kann kaum noch sprechen, kann nicht mehr selbständig trinken und hat teilweises Nierenversagen. Er wurde am 17. Februar in die Intensivabteilung des örtlichen Krankenhauses verlegt.
Koufontinas hat heute erklärt, dass er die weitere Zuführung von Flüssigkeit durch den Tropf ablehne. Da er nicht mehr selbständig trinken kann, bedeutet das den Beginn eines Durststreiks. Das bedeutet, dass, wenn die Regierung nicht einlenkt, Dimitris Koufontinas in drei, vier, maximal fünf Tagen sterben wird.
Natürlich gab es gegen diese Behandlung von Koufontinas Proteste in der griechischen und auch der außergriechischen demokratischen Öffentlichkeit. Es haben sich Politiker, Intellektuelle, Kunstschaffende und Wissenschaftler zu Wort gemeldet. Auch im Fall Koufontinas kommt der Regierung zupass, dass sie Presse, Fernsehen und andere Medien zu Beginn der Corona-Krise weitgehend gleichgeschaltet hat. Das hat sie allerdings nicht durch Repression erreicht, sondern durch viel Geld, mit dem Vorwand, es handele sich um Zuschüsse für die Corona-Kampagne „Wir bleiben zuhause“. (Die Liste der Empfänger mit den auf die einzelnen Medien entfallenden Beträgen ist im Juni 2020 von der Regierung bekannt gegeben geworden.) Es gibt nur noch eine einzige größere regierungskritische Tageszeitung und einen Radiosender, aber keinen einzigen kritischen TV-Kanal mehr. Fast alle Medien sind heute auf Regierungskurs.
Ergebnis dieser Gleichschaltung: Obwohl die Politiker, Intellektuellen, Kunstschaffenden und Wissenschaftler klargestellt haben, dass sie weder mit den politischen Ansichten von Koufontinas und schon gar nicht seinen Taten übereinstimmen, werden sie von den regierungstreuen Medien als Terroristen-Unterstützer gebrandmarkt. Dass dies teilweise nicht zur Isolierung der Protestierenden führte, sondern noch mehr Menschen dazu brachte, die vollständig mit dem geltenden Recht in Übereinstimmung stehende Forderung von Koufontinas’ Verlegung nach Korydallos zu unterstützen, gereicht allen Unterschreibenden zur Ehre.
Das ist umso wichtiger, da die Regierung alle öffentlichen Proteste zu unterdrücken versucht. Protestdemonstrationen auf der Straße wurden und werden entweder gar nicht erst zugelassen, weil die gesamte Innenstadt von Athen voll von Polizei und der Kundgebungsplatz weiträumig abgesperrt ist. Gruppen von Protestierenden werden innerhalb von wenigen Minuten auseinandergeknüppelt beziehungsweise mit Tränengas eingenebelt. Gesetzwidrig, verfassungswidrig – es schert die Regierung nicht. Wie wir schon am 17. November und 6. Dezember gesehen haben, haben wir es unter der ND-Regierung mit Polizeistaatsmethoden zu tun. Die griechische Regierung hat sich viel von Ungarn und der Türkei abgeguckt und kann das Gelernte jetzt während des Lockdowns ohne viel Widerstand anwenden. Sozial- und Rechtsstaat werden mehr und mehr abgeschafft, Polizeierlasse treten an Stelle der sozialen Für- und Vorsorge und der geltenden Gesetze. Die gleichgeschalteten Medien spenden Beifall. So hat sich Griechenland in den letzten Jahren zu einer totalitären (parlamentarischen) Demokratie entwickelt.
Achim Rollhäuser ist Aktivist und Anwalt. Er lebt seit 1990 abwechselnd in Deutschland und Griechenland
The following Text is a cross post. Originally it was written and published by activist of Frontline Defenders: https://www.frontlinedefenders.org/en/case/pressure-family-member-migrant-rights-defender-tajana-tadic
As an anti-repression campaign we want to express our solidarity with all political activists in Croatia and everywhere of course who are fighting against the racist, highly violent and deadly European border regime. The case of Tajana and her partner is showing how the authorities are again and again trying to intimidate, controll and opress (practical) solidarity and resistance! Solidarity will win!
Croatia: Pressure on family member of migrant rights defender Tajana Tadi
30 October 2020Croatia:
Pressure on family member of migrant rights defender Tajana TadićOn 5 November 2020, the appeal hearing into the case of the partner of migrant rights defenderTajana Tadić, is scheduled to take place at the Administrative Court of Zagreb. The appealconcerns a decision issued by the Ministry of Interior on 11 May 2020 to revoke his refugee status,which was granted in 2018.Tajana Tadić is a program manager with Are You Syrious (AYS), a human rights organisationcreated in 2015 in Croatia supporting migrants on the Balkan migration route. AYS providesmigrants with legal aid and psyco-social support, runs integration programs for children and adults,produces reports and analysis denouncing violent pushbacks and other illegal practices by theauthorities, and contributes to the reshaping of policies through advocacy work. AYS is part of theBorder Violence Monitoring Network, which in January 2020, published its first annual reportalledging torture of asylum seekers by Croatian authorities at EU external borders.Her partner is an Iraqi citizen who arrived in Croatia on 26 April 2017 and was granted refugeestatus on 7 September 2018. The pair met at AYS during his asylum application process. He hasbeen volunteering with AYS, assisting asylum seekers with translation and taking part in theeducational and integration programs of the NGO.On 5 November 2020, the Administrative Court of Zagreb will deliver a decision on the appeal ofTajana Tadić’s partner against the revokation of his refugee status. The Ministry of Interior initiallyrevoked his refugee status on 11 May 2020 on allegations that he represents a “threat to nationalsecurity”. Neither he nor his attorney have been given access to a part of his file which has beenclassified as “secret”, after the Ministry of Interior objected to their requests.Tajana Tadić’s partner has been harassed by police on multiple occasions in relation to the womanhuman rights defender’s activities for the protection of migrant rights. On 9 October 2019, hereceived a phone call summoning him to the police station at Petrinjska Street No. 30 for aninterview allegedly concerning “the register of persons who have entered the Republic of Croatia”.On 10 October 2019, he arrived to the police station where he was questioned, among otherthings, about his relationship with Tajana Tadić, people who he met in the Centre for AsylumSeekers, as well as some people he’s not acquainted with. In addition, content on his mobile phonewas checked by a police officer, without a warrant. During the interview, he was asked by a policeofficer to meet informally at a cafe and was told that he should help police by providing them withinformation about other refugees. When he refused, the police officer reportedly started to threatenhim with revocation of his refugee status, and deportation to Iraq. Following the interrogation, thepolice officer confiscated his residence permit despite the fact that such an action was illegal, andreturned it only after Tajana Tadić’s intervention. AYS and Tajana Tadić have been targetted by Croatian authorities since 2018, when the Minister ofthe Interior, Davor Božinović, sent a written reply to Member of Parliament Peđa Grbin to hisquestion about the circumstances surrounding the death of Madina Hussiny, a six-year old Afghangirl, at the Croatia-Serbia border. In the letter, the Minister accused AYS of encouraging illegalmigration to Croatia. The statement by Minister Božinović was reported by numerous media,seriously damaging the reputation of the NGO. Not long after its publication, AYS was subjected tojudicial harassment,where the Ministry of Interior implicitly sought to ban the work of AYSassociation.
In 2018, AYS were been subjected to several instances of police harassment, police questioning ofstaff members and beneficiaries and vandalism of its premises. On 17 April 2018, the eveningbefore a press conference hosted by AYS and the Centre for Peace Studies on police pressure andintimidation, police officers arrived at the private address of Tajana Tadić’s parents. Theysummoned Tadić to an interview with officers from theCroatian National Police Office forSuppression of Corruption and Organised Crime scheduled to take place at the same time as thepress conference. The interview was linked to a case filed by Madina Hussiny’s family againstunidentified perpetrators in the ranks of the Croatian police, accusing them of death by negligence.Front Line Defenders believes that the revocation of Tajana Tadić’s pertner’srefugee status may bein retaliation for her peaceful and legitimate human rights work. Front Line Defenders is deeplyconcerned by the apparant lack of a safe and enabling environment for migrant rights defenders inCroatia, who face judicial harassment and stigmatisation for their legitimate human rights activities.Front Line Defenders urges the authorities in Croatia to:1.Immediately reverse the revokation of the refugee status of Tajana Tadić’s partner, as it isbelieved to be linked to his connection with the migrant rights defenders movement inCroatia;2.Take measures to ensure that government officials or other public figures refrain frommaking statements or declaration stigmatising the legitimate work of human rightsdefenders;3.Guarantee in all circumstances that all human rights defenders in Croatia are able to carryout their legitimate human rights activities without fear of reprisals and free of allrestrictions, including judicial harassment.
Vorgestern, am 19.Januar 2021 wurde das ROG eine schon jahrelang besetzte alte Fahrradfabrik in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana gewaltsam geräumt. Damit wurde ein wichtiger Ort der linken und emanzipatorischen Bewegung in Ljubljana und international angegriffen und zerstört!Als Antirepressionskampagne wollen wir uns solidarisieren mit den von Polizeigewalt betroffenen Personen und allen Aktivist*innen und Menschen, denen ein wichtiger Ort sozialer Kämpfe genommen wurde.
Sie können Häuser räumen – doch: they can’t evict solidarity!
Räume können zerstört werden – nicht aber unsere Solidarität! Wir stehen solidarisch an der Seite unserer Genoss*innen in Ljubljana! Der Kampf für besetzte, selbstorganisierte, queere, feministische und antirassistische Räume bleibt!
The day before yesterday, on January 19, 2021, the ROG, an old bicycle factory in the Slovenian capital Ljubljana that had been occupied for years, was violently evicted . With this, an important place of the left and emancipatory movement in Ljubljana and internationally was attacked and destroyed! As an anti-repression campaign, we want to show solidarity with the people affected by police violence and all activists and people who were deprived of an important place of social struggles.
They can evict houses – but: they can’t evict solidarity!
Spaces can be destroyed – but not our solidarity! We stand in solidarity with our comrades in Ljubljana! The struggle for squatted, self-organized. queer, feminist and antiracist spaces continues!
Folgender Artikel wurde veröffentlicht auf dem enoughisenough-Blog unter: https://enough-is-enough14.org/2021/01/19/lubljana-slowenien-autonome-fabrik-rog-geraeumt/
Ljubljana, Slowenien: Autonome Fabrik Rog geräumt
Ljubljana. Slowenien. 19. Januar. 2021. In den frühen Morgenstunden tauchten Bereitschaftspolizisten bei der autonomen Fabrik Rog auf. Sie begannen, die besetzte Häuser ohne Ankündigung und ohne rechtliche Grundlage zu räumen.
Im Jahr 2002 kaufte die Stadtverwaltung von Ljubljana den 7.000 Quadratmeter großen Komplex mit mehreren Gebäuden in der Innenstadt von Ljubljana, nutzte ihn aber nie. Die ehemalige Fahrradfabrik wurde 2006 besetzt und wird seitdem als autonomes soziales Zentrum genutzt.
Heute Morgen kamen die Sicherheitskräfte von Valina um 07:00 Uhr und begannen mit der Räumung des Rog und verletzten dabei mehrere Personen. Polizist:innen begannen, Zäune um die Rog zu installieren und begannen, Menschen vor dem Gelände zu schlagen. Mindestens neun Personen wurden verhaftet. Drei Menschen mussten mit Verletzungen ins Krankenhaus.
Die Stadt Ljubljana hat die Tatsache, dass die Nutzer:innen von Rog seit Beginn der Autonomen Fabrik in 2006 eine Stadt für die Menschen gezeigt haben, nicht toleriert. Die Stadtbehörden wollen ihre Gentrifizierungspolitik fortsetzen, die Ljubljana in ein touristisches Disneyland verwandelt, um Profit zu machen. Die Rog-Nutzer:innen schrieben: „Deshalb haben sie uns den Krieg erklärt.“
Der Angriff auf Rog findet nicht in einem politischen Vakuum statt, da es in den letzten Monaten eine Reihe von Angriffen auf Rog gegeben hat Zivilgesellschaft, Radio Študent, Metelkova 6 und andere sozialkritische Akteure.
Die rechtsextreme Regierung von Janez Janša hat es auf unsere Genoss:innen abgesehen, die antiautoritäre Bewegung in Slowenien braucht unsere Solidarität und Unterstützung.
Moria ist bis auf das Letzte niedergebrannt. Die Brände, die am 8. September das Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos zerstörten, rückten die unmenschliche und rassistische Politik der EU und des griechischen Staates an den europäischen Grenzen in den Blick der Weltöffentlichkeit. Die aufgebrachte Reaktion des griechischen Staates auf diesen verzweifelten und zugleich selbstermächtigenden Widerstand der Menschen, die jahrelang in dem überfüllten Lager unter menschenverachtenden Bedingungen leben und leiden mussten, bedeutet erneut noch mehr Repression und Kriminalisierung.
Ein neues geschlossenes Lager riesigen Ausmaßes wurde aus dem Boden gestampft und die Bewohner*innen von Moria wurden gezwungen, sich in die katastrophalen Lebensbedingungen dieses Lagers zu begeben. Zudem wurden nach dem Brand sechs Menschen willkürlich festgenommen und angeklagt (https://cantevictsolidarity.noblogs.org/post/category/brand-in-moria-2020/) . Diese sechs sollen nun als Sündenböcke für die todbringende Politik an der europäischen Außengrenze herhalten. Fünf von ihnen sind noch minderjährig, der sechste nur knapp volljährig. Die Staatsanwaltschaft konnte keinerlei Beweise gegen sie vorbringen etwas mit dem Brand zu tun zu haben und hat sie dennoch in Untersuchungshaft genommen. Nur eine einzige Person erhob Vorwürfe gegen die Festgenommenen, wobei davon auszugehen ist, dass sie sich davon eigene Vorteile erhofft. Im Gefängnis erwarten die sechs geflüchteten Jugendlichen nun ihren Prozess.
Zahlreiche weitere Fälle haben bisher gezeigt, dass der griechische Staat nicht davor zurückschreckt Geflüchtete, die für Proteste verantwortlich gemacht werden, ohne Beweise zu langen Haftstrafen zu verurteilen. So wurden im Sommer 2017 bereits die Moria 35 nach großen Protesten im Lager Moria willkürlich aufgrund von racial profiling verhaftet und neun Monate später im obersten Gericht von Chios verurteilt. In ähnlichen Fällen, wie dem der Festnahmen der Moria 8, wurden die Betroffenen zwar schließlich freigesprochen, aber zuvor monatelang in Untersuchungshaft festgehalten.
Proteste auf Chios und die Vial 16
Auch auf der Insel Chios gab es kürzlich einen ähnlichen Fall: Eine 47-jährige irakische Frau wurde im April 2020 mit Corona-Verdacht ins Krankenhaus eingeliefert, dann aber zurück in das Hotspot Camp Vial transferiert, wo sie in Isolation in einem Container starb. Daraufhin brachen Proteste aus, bei denen Fahrzeuge zu Bruch gingen und Teile des Camps in Flammen aufgingen. Erneut wurden mindestens zehn Personen verhaftet und inhaftiert, sechs weitere wurden im April noch von der Polizei gesucht und sind evtl. mittlerweile auch bereits verhaftet.
Wir als Antirepressionskampagne “You Can’t Evict Solidarity” versuchen die Betroffenen zu unterstützen – mit einer Rechtsvertretung, Prozessbegleitung und Öffentlichkeitsarbeit. Um die Anwält*innen und die Gerichtskosten zu finanzieren, benötigen wir dringend Unterstützung! Widerstand ist kein Verbrechen. Nicht die Geflüchteten sind für das Sterben an der EU-Außengrenze und die katastrophalen Zustände in den Lagern verantwortlich. Wir werden nicht hinnehmen, dass sie als Sündenböcke verurteilt. Unterstützt die Arbeit der solidarischen Anwält*innen und Unterstützungsstrukturen!
Wir fordern die sofortige Freilassung aller Gefangenen, die an den EU-Außengrenzen kriminalisiert werden!
Wir fordern die Schließung aller Lager und Gefängnisse!
no border – no nation – just people: Spendenaufruf im Dezember 2020
Liebe Freund*innen, Genossen*innen und alle da draußen, die ebenso fassungslos und empört über die rassistische und tödliche Migrationspolitik an den EU-Außengrenzen sind,
zunächst einmal Danke an alle, die gespendet und Solidarität gezeigt haben und unseren Spendenaufrufenin denWintern 2018 und 2019 und nach dem Brand im Lager Moria auf Lesbos im September 2020folgten. Die Spendenbereitschaft war überwältigend und immer wieder berührte uns diebreite Solidarität.
Menschen sterben und die Welt schaut weg…
Im Zuge der strategisch-machtpolitischen “Grenzöffnung” Erdogans im März 2020, dann der Pandemie Covid-19 und nach dem Brand in Moria gab es zwar wieder vermehrt mediale Aufmerksamkeit. Doch das öffentliche Interesse an der aktuellen Situation an den EU-Außengrenzen und den Zustände in überfüllten Lagern in Griechenland oder festsitzenden Menschen an der bosnisch-kroatischen Grenze flacht schnell wieder ab. Eine Empörung über die konstante Missachtung von Menschenrechten bleibt aus.
Nun steht der Winter wieder vor der Tür und damit die Verschärfung der ohnehin schon menschenverachtenden Bedingungen für Menschen auf der Flucht – auf dem wohlhabenden Boden der EU. Weiterhin sterben hunderte von Menschen auf der gefährlichen Überfahrt, werden massenweise und illegal zurückgepusht, sind dem Corona-Virus in den überfüllten Lagern und Faschist*innen auf den Straßen ausgeliefert oder werden kriminalisiert und zu unsagbaren Haftstrafen verurteilt.
EU unterstützt die Tödlichkeit von Fluchtwegen
Fluchtursachen und -gründe bestehen weiterhin. Auch die EU ist weiterhin aktiv daran beteiligt, durch (imperialistische) bilaterale Abkommen mit Herkunftsländern die “Migrationskontrolle” auszubauen, zu militarisieren und Fluchtwege zunehmend lebensgefährlicher zu machen. Als Reaktion auf entstehende Fluchtbewegungen wird die Abschottung und Überwachung der EU-Grenzen immer restriktiver und das Leiden der Menschen auf der Flucht, die immer riskantere Wege wählen müssen, größer.
Erst in den letzten Monaten bekam die direkte Beteiligung der “Grenzschutzagentur” FRONTEX an der jahrelangen und jetzt immer brutaler umgesetzten Praxis von Pushbacks auf offener See in der Ägäis und an Landesgrenzen (z.B. der bosnisch-kroatischen) große Öffentlichkeit. Geändert hat sich daran allerdings nichts, zusammen mit der griechischen und türkischen Küstenwache setzt Frontex ihr illegales Treiben fort und nimmt den Tod der Menschen auf dem Wasser in Kauf. Groß finanziert durch die EU – und mit geplanter weiterer Aufrüstung laut des neuen Migrationspaktes.
Unmenschliche Bedingungen in den Lagern
Vor wenigen Wochen ist das Camp Moria auf Lesbos abgebrannt. Für 3000 Menschen gebaut saßen dort mehr als 15.000 Erwachsene und Kinder unter katastrophalen Zuständen über Monate oder Jahre fest. Nun hat die Regierung und das Militär auf einem alten Übungsplatz am Meer auf Waffenresten ein neues Lager gebaut, in dem die Menschen unter noch schmlimmeren Bedingungen leben müssen. Mit Corona als vorgeschobenen Grund dürfen die Menschen das Camp nur begrenzt oder gar nicht mehr verlassen, auch nicht um sich mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Bei den einsetzenden Herbst- und Winterstürmen sind große Teile des Camps und der Zelte überschwemmt worden. Ähnliches spielt sich auf Chios, Samos und den anderen griechischen Inseln ab. Entlang der Balkanroute müssen hunderte Menschen u. a. an der bosnisch-kroatischen Grenze bei Minusgraden, Schnee und Regen, ohne sanitäre Anlagen auf der blanken Erde schlafen und sind der Gewalt und Willkür von Grenzpolizist*innen und Militär ausgesetzt.
Unsere Antwort heißt Solidarität
Dennoch nehmen Aktivismus und Widerstand gegen das brutale Grenzregime nicht ab. Noch immer gibt es an verschiedenen Orten, wo Menschen feststecken, Unterstützungsstrukturen und praktische Solidarität. Menschen organisieren sich gemeinsam, dokumentieren Gewalt und Pushbacks, es braucht aktive Zeug*innenschaft, wenn die Medien Geschehnisse nicht mehr zeigen und es werden ganz praktische Sachen wie Lebensmittel zum Kochen, medizinische Versorgung, Kosten für Anwält*innen zur Verteidigung basaler Rechte gedeckt; eigene Öffentlichkeit geschaffen.
Unsere Solidarität wird niemals enden. Die Situation für Menschen auf der Flucht wird immer prekärer, der Zugang zu teilweise basalen Bedürfnissen wird durch die Pandemie stark eingeschränkt – und die Spendengelder sind fast aufgebraucht.
Deshalb wenden wir uns heute nochmal an euch mit der Bitte, uns (weiterhin) zu
unterstützen.
Was haben wir mit euren Spenden in 2020 erreicht?
Die No Border Kitchen Lesbos und weitere lokale Initiativen haben in 2020 erneut – u. a. mit euren Spenden und insgesamt vielen tausend Euro Spendengeldern – die dort festsitzenden Menschen durch warme Mahlzeiten, Getränke, Decken und Kleidung praktisch solidarisch unterstützt. Wir können ihnen zwar nicht ihre Würde zurückgeben, aber das Gefühl, dass sie nicht alleine sind, und, dass es in Europa auch Menschen gibt, die sich mit ihnen solidarisieren. Inzwischen haben sich dem Kollektiv auch Geflüchtete aus aller Welt angeschlossen; ohne sie wäre der Support vor Ort nicht in diesem Maße leistbar.
Wir haben mit euren Spenden des Weiteren auch soziale Initiativen entlang der sogenannten Balkanroute und in Griechenland und der Türkei unterstützt, in denen Geflüchtete wohnen, die Menschen auf der Flucht unterstützen bzw. sich für die Rechte Geflüchteter und Bewegungsfreiheit einsetzen.
Wir konnten durch eure Unterstützung Vieles bewegen. Um unsere Vorhaben auch jetzt und in Zukunft weiter realisieren zu können, bitten wir alle unsere Freund*innen, Genoss*innen und solidarische Menschen, uns nach ihren Kräften und Möglichkeiten mit Spenden zu unterstützen oder zu überlegen, wie und wo ihr in eurem Umfeld Gelder besorgen könnt, damit bei uns weiterhin der Kessel dampft. Teilt diesen Aufruf gerne auch überall.
In Solidarität,
“You can’t Evict Solidarity” als Teil der Kampagne “No Border – No Nation – Just People”